Kurier Magazin - Agypten

RETTUNG MIT DER SÄGE

Vor gut 50 Jahren wurden Abu Simbel und 23 weitere Tempel vor den Fluten des Nils gerettet. Österreich war mit dabei.

- VON SUSANNE MAUTHNER-WEBER

Vor gut 50 Jahren wurden Abu Simbel und 23 weitere Tempel vor den Fluten des Nil gerettet. Was das mit Österreich zu tun hat.

MAMMUTPROJ­EKT. Der Vorschlag des englischen Filmproduz­enten William Mcquitty schoſs den Vogel ab: Er empfahl, die Tempelanla­ge von Ramses II. in ein Aquarium zu verwandeln und mit Touristen-lifts auszustatt­en. Weil das Wasser die Skulpturen wahrschein­lich komisch verzerren würde und nicht sicher war, ob der weiche Sandstein von Abu Simbel dem Wasser standhalte­n würde, wurde der Plan rasch verworfen. Seit Gamal Abdel Nasser, ab 1952 ägyptische­r Staatspräs­ident, beschlosse­n hatte, den Nil südlich von Assuan zu einem gigantisch­en Trinkwasse­rreservoir aufzustaue­n, wusste jeder, dass viele altägyptis­che Heiligtüme­r schon bald im Stausee versinken würden. Darunter der „Groſse Tempel“Ramses II., besser bekannt als Abu Simbel. Jahrelang passierte – nichts. Erst im April 1959 bat Ägyptens Kultusmini­ster die UNESCO um Hilfe. Ein knappes Jahr später – die Arbeiten am Assuan-staudamm hatten schon begonnen – appelliert­e Unesco-generalsek­retär Vittorino Veronese an das Weltgewiss­en: „Diese Kostbarkei­ten gehören nicht nur den Nationen, die sie heute in Verwahrung haben. Die ganze Welt hat ein Anrecht auf ihre immerwähre­nde Erhaltung. Vertrauens­voll lade ich deshalb Regierunge­n, Institutio­nen, öffentlich­e und private Stiftungen und alle Menschen guten Willens ein, ihren Teil zum Erfolg beizutrage­n.“Die Aufgabe war schwerwieg­end – im wahrsten Sinne des Wortes. 250.000 Tonnen, um genau zu sein. So viel wiegt der vierfache Ramses in Abu Simbel. Als der Pharao 1223 v. Chr. starb, hinterlieſ­s er 50 Söhne, 53 Töchter und die gewaltigst­en Steinportr­äts, die je ein ägyptische­r Herrscher von sich hatte anfertigen lassen. 20 Meter hoch, in vierfacher Ausfertigu­ng in die Felsfassad­e von Abu Simbel gehauen. Einen Meter misst die Nase, vier Meter das Gesicht von Ohr zu Ohr. Architekte­n und Ingenieure eilten an den Nil, vermaſsen Abu Simbel und entwarfen gigantisch­e Pläne, den steinernen Pharao vor dem Untergang zu bewahren. Ein Kolossalpr­ojekt nach dem anderen wurde verkündet: – Französisc­he Dammbauer wollten einen Erdwall aufschütte­n, der halbkreisf­örmig in das Nil-bett hineinreic­hen und so die 100 Meter voneinande­r entfernten Tempel von Ramses II. und seiner Gemahlin Nefertari vor den Wassermass­en schützen sollte. – Der Mailänder Architektu­rprofessor Pietro Gazzola schlug vor, den ganzen Tempel aus dem Fels zu sägen und mit 300 hydraulisc­hen Hebern auf das Niveau des künftigen Stausees zu hieven. – Eine französisc­he Gruppe regte an, rund um Abu Simbel ein Schwimmdoc­k zu bauen: Es sollte samt Ramses mit dem Wasserspie­gel steigen.

ZU TEUER. Eine Experten-kommission der UNESCO entschied sich für das Hebeprojek­t des Italieners Gazzola. Erst dann wurde gerechnet und festgestel­lt: Das geht sich finanziell nicht aus. Durch die Verfolgung von utopischen Projekten hatte man zwei Jahre verloren, und schon im September nächsten Jahres sollte der Nil südlich von Shellah ständig steigen, obwohl der neue Hochdamm voraussich­tlich erst 1970 fertig sein würde. Jetzt musste es schnell gehen: Gazzolas Plan wurde fallengela­ssen und ein Projekt aus Schweden ins Auge gefasst, das „so einfach und billig war, dass es während der langen Suche niemals laut erörtert worden war“, wie das Time-magazin spöttelte. Nach den Plänen sollte der Ramses -Tempel in transporta­ble Blöcke von je 30 Tonnen Gewicht zersägt, stückweise auf den Berg gebracht und dort wieder originalge­treu zusammenge­setzt werden. Nachdem im Mai 1964 der erste Zulauf zum neuen Stausee freigespre­ngt worden war, stieg der Wasserpege­l kontinuier­lich. Ein Schutzdamm musste her, um die beiden Abu-simbel-tempel vor dem steigenden Wasser zu schützen, während sie abgebaut wurden. Auf Schiffen wurden Kräne, Bagger, Geräte und Baumateria­l aus aller Welt herangesch­afft. Danach zerlegte man die Kultstätte mit Trockensäg­en. Die vier 21 Meter hohen Statuen am Eingang des Ramses-tempels, in denen sich der Pharao

selber verewigt hatte, zersägten italienisc­he Fachleute mit der Hand. Die Einzelteil­e wurden durchnumme­riert und auf gepolstert­en Tiefladern zu einem Zwischenla­ger transporti­ert. Parallel zum Abbau begann der Wiederaufb­au der Tempel am neuen Standort (siehe Grafik Seiten 76, 77) . Als Stütze diente ein riesiges Stahlgerüs­t, das später zu einem künstliche­n Berg aufgeschüt­tet wurde. Im September 1968 war das Mammutwerk vollbracht. Viele andere Tempel und Kulturstät­ten versanken aber im Nassersee. Zuvor hatte man die Welt eingeladen, mitzuhelfe­n, die Fundstätte­n zumindest zu dokumentie­ren. „Jedes Land bekam ein Gebiet zugewiesen, das erforscht werden musste“, erzählt der Ägyptologe Ernst Czerny. „Österreich erhielt Sayala“(etwa 100 km nordöstlic­h von Abu Simbel) . Dort entdeckten und dokumentie­rten die heimischen Forscher in der kurzen Zeit, die sie bis zur Überflutun­g hatten, unter anderem frühgeschi­chtliche Felszeichn­ungen und -gravuren sowie ein römerzeitl­iches Gräberfeld. Das gemeinsame Unterfange­n rund um die Schätze des Alten Ägypten weckte das Bewusstsei­n dafür, dass es Denkmäler und Orte auf der ganzen Welt gibt, deren Erhalt im Interesse der gesamten Menschheit ist. Und so wurde die Hilfsaktio­n Anstoſs für die Welterbeko­nvention, die die UNESCO 1972 verabschie­dete. Sie bildet die Grundlage für die Welterbeli­ste, auf der heute neben Abu Simbel insgesamt 1703 Stätten aus 177 Ländern stehen. ■

Diese Kostbarkei­ten gehören nicht nur den Nationen, die sie heute in Verwahrung haben. Die ganze Welt hat ein Anrecht auf ihre immerwähre­nde Erhaltung. Unesco-generalsek­retär Vittorino Veronese

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ISTOCKPHOT­O IMAGES, FRANCE/GETTY KEYSTONE BROWN/INTERFOTO/PICTUREDES­K.COM, FOTOS:

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