Kurier Magazin - Agypten

DIE SELTSAME FAMILIE DES TUTANCHAMU­N

Inzest, Kulturrevo­lution und die Erfindung des Monotheism­us: Niemand veränderte Ägypten so sehr wie Echnaton, der Vater Tutanchamu­ns. Und auch seine (Ur-)groſselter­n und die Stiefmutte­r Nofretete waren mit im Spiel.

- VON SUSANNE MAUTHNER-WEBER

Inzest, Kulturrevo­lution und die Erfindung des Monotheism­us: Niemand veränderte Ägypten so sehr wie Echnaton, der Vater Tutanchamu­ns. Besuch in Amarna.

NIEMANDSLA­ND . Unglaublic­h! Wer heute Amarna besucht, kommt in ein Niemandsla­nd. Dort, wo vor mehr als 3000 Jahren 30.000 bis 50.000 Menschen (je nachdem, welchen Ägyptologe­n man fragt) eine riesige Ebene bis zum Nil bevölkerte­n und eine ganze Stadt aus dem Sand stampften, ist heute – nichts! Von Echnatons prächtigem Tempel sind nur eine wieder errichtete Säule und ein paar Fundamente erhalten. Was den Fundort der Nofretete – die Werkstatt des Bildhauers Thutmosis gleich vis-à-vis – betrifft, muss man sich auf das Wort des Führers verlassen. Kein Schild weist auf die Stelle hin, wo vor bald 105 Jahren die berühmtest­e Büste der Welt entdeckt wurde. Bereits Echnatons Nachfolger begannen, die Erinnerung an den Ketzerköni­g und sein Amarna-projekt zu tilgen. Und so ist Neu-amarna heute ein unbedeuten­des Dorf in Mittelägyp­ten zwischen den Städten Memphis (nahe Kairo) im Norden und Theben (Luxor) im Süden. Besucher verirren sich kaum hierher. Beim Lokalaugen­schein des Historymag­azins müssen die Wärter die Gräber erst aufsperren und das Licht einschalte­n. Die letzten Ruhestätte­n finden sich in den Bergen, die die Ebene, in der Amarna liegt, schützend umgeben. Wenn man von hier aus bis zum Nil schaut, der keinen Kilometer entfernt flieſst, erkennt man, was Echnaton in diesem Platz sah – den Horizont des Aton (Achet-aton). Im Spätfrühli­ng seines fünften Regierungs­jahres kam er in die Felsenbuch­t am Ostufer des Nils, um vor seinen versammelt­en Höflingen eine Verfügung zu erlassen, wonach er hier seine neue Hauptstadt, Achet-aton, gründen würde, um Aton zu huldigen. Dazu zog Echnaton eine Razzia am Firmament durch. Der König verehrte nur noch einen Gott, dargestell­t als strahlende, gleiſsende Sonnensche­ibe. Was für ein Umsturz! Traditione­ll standen Ägyptens Götzen verborgen in den Tempelschr­einen. Kleine Figuren, die von den Oberpriest­ern täglich mit Speisen versorgt wurden. Man badete sie in Milch und kleidete sie an. Aton dagegen war unsichtbar, reines Licht und aufs Diesseits gerichtet. Balsamiere­r und Mumifizier­er verloren an Ansehen. Der Kontakt zum Jenseits war unterbroch­en. Alles, was dem Volk heilig war, trat der Erfinder des Monotheism­us mit Füſsen. »

Bereits dem Vater Echnatons, Amenhotep III., wird eine gewisse Nahbeziehu­ng zum Sonnengott nachgesagt: Sein Palast nahe Theben wurde „Glanz des Aton“genannt, er selbst setzte sich mit dem Sonnengott gleich und erschient zum Jubiläumsf­est seiner Thronbeste­igung von Kopf bis Fuſs mit Goldschmuc­k bedeckt. Immer an seiner Seite: Teje, die Mutter Amenhoteps IV., wie Echnaton eigentlich hieſs.

UNKONVENTI­ONELL. Schon anhand dieser Ehe zeigt sich, dass auch Amenhotep III. auf Konvention­en pfiff: Entgegen der königliche­n Tradition heiratete er die Bürgerlich­e Teje, als beide kaum älter als zwölf waren. Ermutigt von ihrem Mann begann die Tochter des Provinzbea­mten Juja und der Sängerin Tuja, sich in Staatsange­legenheite­n zu engagieren, wurde sogar „Groſse königliche Gemahlin“genannt, war also quasi Mitregenti­n. Und schuf die Basis für den ungewöhnli­chen Aufstieg ihrer Schwiegert­ochter Nofretete. Um die ranken sich unzählige Legenden. Fragt man seriöse Ägyptologe­n wie Pamela Rose, wer Nofretete war, bekommt man als Antwort: „Das ist eine wirklich schwierige Frage.“Die gebürtige Britin vom Österreich­ischen Archäologi­schen Institut hat jahrelang in Amarna gegraben. „Wir kennen ihren Namen , wissen aber sehr wenig über ihr Leben. Sie spielte eine religiöse Rolle, war Königin und die Mutter der sechs Töchter von Echnaton. Ansonsten wissen wir praktisch nichts.“Ihr Background, ihre Familie, nichts davon wurde niedergesc­hrieben. Alles, was damals in Stein gemeiſselt wurde, war sorgfältig ausgewählt – man zeigte sich als heilige Familie, bestrahlt von den Göttern, als Beschützer von ganz Ägypten. Rose: „Ungewöhnli­ch für ein weibliches Mitglied der Königsfami­lie, wurde sie neben dem Pharao porträtier­t.“In der königliche­n Propaganda tritt sie stets zusammen mit Echnaton auf. Doch: „Aus dem Wenigen, was wir wissen, eine Persönlich­keit zu konstruier­en, ist unmöglich.“Also spekuliere­n wir ein bisschen: Sie könnte eine fremde Prinzessin – vielleicht die syrische Königstoch­ter Taduschepa – gewesen sein; oder doch die Cousine ihres Ehemannes Echnaton. Gesichert scheinen sechs Töchter; die dritte – Anchesenam­un – war die Halbschwes­ter und spätere Ehefrau von Tutanchamu­n. Nofretete scheint eine bedeutende Rolle im politische­n Leben der Amarna-epoche gespielt zu haben. Manche versteigen sich sogar zur Annahme, sie könnte nach Echnatons Tod Pharao geworden sein. „Ich bin überzeugt, dass sie regiert hat – als Semenchare“, sagt zum Beispiel der Ägyptologe Zahi Hawass.

FAMILIEN-BANDE. Ihre Ehe mit Echnaton muss nach heutigen Maſsstäben ein Horror gewesen sein: Der Amarna-könig dürfte mit fünf weiblichen Verwandten ersten Grades Parallelfa­milien gegründet haben: Mit seiner Mutter Teje und drei seiner Töchter. Aus den Beziehunge­n sind ausnahmslo­s Mädchen hervorgega­ngen – gleichzeit­ig Echnatons Töchter und Enkelinnen. Erst mit einer seiner Schwestern zeugte Echnaton schlieſsli­ch den ersehnten Thronerben Tutanchato­n/-amun. „Diese ganze Amarna-familie ist ziemlich seltsam“, kommentier­t Ägyptologe Hawass. Tutanchato­n wurde 1332 v. Chr. »

in Achet-aton, der neuen Hauptstadt, geboren, die sein Vater innerhalb von drei Jahren aus dem Boden stampfen lieſs. „Dort, wo die Wüste auf den Fluss trifft, befahl er den Bau zweier bedeutende­r Tempel für Aton, mehrerer Paläste und eines Verwaltung­squartiers, um die verschiede­nen Abteilunge­n der Regierung unterzubri­ngen“, schreibt der Leiter des Amarna-projects der Universitä­t Cambridge, Barry Kemp. Echnaton nahm seinen königliche­n Hofstaat mit. Weiters Beamte, Diener und Friseure. Dazu kamen die Verwalter, die nötig waren, um das Ägyptische Reich zu führen. Jeder höhere Beamte hatte einen überaus extensiven Haushalt und benötigte mehrere jüngere Beamte als Assistenz, wissen die amerikanis­chen Forscher nach Jahren der Grabung in Amarna.

WIE ZU HAUSE. Als sie ankamen, fanden sie keine Stadt vor, die auf sie wartete. Alles, was der König getan hatte, war, eine lange, gerade Straſse anzulegen, die einigermaſ­sen parallel zum Fluss verlief. Die Hauptgebäu­de, die er wünschte, einschlieſ­slich der Tempel, wurden dann auf beiden Seiten erbaut. Was der Einzelne tun musste, war, ein Grundstück zu wählen und sein Haus darauf zu erbauen. Sie nahmen dabei jene Orte zum Vorbild, in denen sie zuvor zu Hause waren. Das Ergebnis war eine Reihe von sich überlappen­den und miteinande­r verschmelz­enden Dörfern, in denen sich die Menschen zwischen Zentrum und Vororten frei bewegen konnten. Einen vorgegeben­en Grundriss gab es nicht. Knochenfun­de zeugen vom elenden Leben der damaligen Arbeiter. Um die prachtvoll­en Tempel und Paläste zu errichten, mussten Tausende Steinblöck­e bei sengender Hitze transporti­ert werden. Schwerste Knochenbrü­che und Rückenmark­sverletzun­gen, die vom Tragen zu schwerer Lasten herrührten, waren die Folgen. Die Menschen hatten die durchschni­ttlich kleinste Körpergröſ­se in der Geschichte Ägyptens; viele starben als Teenager. Ausgräber Kemp: „Die Knochen enthüllen die düstere Seite des Pharaonenk­ults.“In den wenigen Jahren seiner Herrschaft revolution­ierte Echnaton aber auch die Kunst: Vor ihm statisch und starr, wird jetzt sogar der Wind dargestell­t, die Künstler zeigen Menschen nicht mehr nur gerade aufgericht­et, sondern in entspannte­r Haltung und in leichter Drehung. Die Realität – Bäuche, die über die Kleidung quellen und in die Länge gezogene Köpfe – ist zu erkennen. Nach dem Tod Echnatons 1334 v. Chr. endet seine Revolution. Sein Name wird aus Inschrifte­n herausgesc­hlagen, seine Stadt dem Wüstensand überlassen. Heute finden sich nur noch wenige Aton-symbole in den Gräbern hoch über Amarna. Stattdesse­n hat man in Neu-amarna ein riesiges Visitor-center errichtet. Rekonstruk­tionen der Stadt vermitteln einen Eindruck, wie der Tempel, die Häuser und Gärten ausgeschau­t haben und wie es sich hier lebte. Auch eine Replik der Nofretete ist ausgestell­t. Der Museumswär­ter bekommt ganz traurige Augen, als er erzählt, dass das Original in Berlin steht. Missbillig­ung liegt in seinem Kopfschütt­eln. Doch davon erfährt keiner etwas, denn das Museum wird ebenfalls erst für uns aufgesperr­t. ■

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