DAS PHARAO-PROJEKT 2.0
Erst als die traditionelle Forschung nicht mehr weiterkam, erlaubten die Ägypter Dna-analysen an Königsmumien. Mittlerweile ist die ganze 18. Dynastie im Rahmen des „Egyptian Mummy Project“untersucht worden. Jetzt wird es mit der 19. und 20. Dynastie fort
Als die Forschung nicht mehr weiter kam, erlaubte Ägypten Dna-analysen an Königsmumien. Jetzt wird das Mumienprojekt fortgesetzt. Molekulare Ägyptologie boomt.
RÜCKBLICK. Die Arbeitsteilung war klar: Die Proben für die Genanalyse am berühmtesten Pharao entnahmen ausschlieſslich geschulte Ägypter. „Direkt an die Mumie durfte man als Ausländer nicht“, erinnert sich Carsten Pusch. Es war dann aber doch der Humangenetiker aus Tübingen, der gemeinsam mit Albert Zink von der Europäischen Akademie Bozen das Erbgut von Tutanchamun analysierte. „Wir waren die klassischen Teacher“, sagt Pusch. Im September 2007 hatte sich ein Team von zehn Forschern darangemacht, die letzten Rätsel um den Pharao zu lüften. Von elf Mumien aus der Verwandtschaft Tutanchamuns und von fünf weiteren Mumien wurden Gewebeproben aus dem Knocheninneren entnommen. In zweijähriger Arbeit haben die Mumienforscher die DNA extrahiert und genetische Fingerabdrücke für alle 16 Körper erstellt.
Das Ergebnis war ein Fünf-generationen-stammbaum der Familie Tutanchamuns: So führt eine direkte männliche Linie von Tutanchamun zurück zu Juja, dem Urgroſsvater. Seine Urgroſsmutter hieſs Tuja. Amenhotep III. war der Groſsvater des Kind-pharaos und Königin Teje dieGroſs mutter. Die beiden hatten einen Sohn namens AmenhotepIv.,d er sich später echnaton nannte. Auſserdem identifiziert: dessen Schwester, eine Frauen-mumie aus der Grabkammer KV35 (Kings’ Valley). Die„Young er Lady“mit der wissenschaftlichen Bez eich nungKV35YL lag dort mit ihren Eltern und ist Tutanchamuns Mutter. Damit stand fest: Tutanchamuns Eltern waren leibliche Geschwister, Echnaton und „Younger Lady“– wohl der Hauptgrund für die vielen Wehwehchen des Kindkönigs. Wer „Younger Lady“war, blieb weiter rätselhaft: „Das wird Inhalt weiterer Forschungen sein“, sagte Zahi Hawass damals. „Wir versuchen auch, Nofretete, die Stiefmutter Tutanchamuns, zu identifizieren. Eine Mumie in KV 21 zeigt bemerkenswerte Ähnlichkeiten mit den beiden Töchtern, Föten aus dem Grab von Tut. Es könnte bedeuten, dass es sich dabei um Anchesenamun handelt, die Frau Tutanchamuns und gleichzeitig Tochter Nofretetes. Wenn wir ihre Mumie finden, können wir auch Nofretete identifizieren.“ Die dazu gehörige Studie publizierte das Wissenschafter-team 2010 im renommierten Journal of the American Medical Association (JAMA) .
MOLEKULARE ÄGYPTOLOGIE. Sofort waren sich Forscher einig, dass die wahre Bedeutung der ersten Dnastudie an einer Königsmumie nicht darin lag, dass man den Stammbaum der königlichen Familie und Tutanchamuns Todesursache entdeckt hatte. Die „molekulare Ägyptologie“ermöglicht Wissenschaftern einen exakten Blick auf die Lebensumstände vor 3300 Jahren. „Als Kind dachte ich: ‚Ein Pharao, wow! Er war sicher reich und schön‘“, sagte Pusch. In Wahrheit humpelte er wenig königlich, vielleicht mit der Hilfe seiner Frau, auf Krücken dahin. „Er war also eher ein leidender Bub denn ein Held.“Dass seine Gene nach Jahrtausenden viel besser erhalten sind als sonst bei ägyptischen Mumien üblich und daher viel mehr Aussagekraft haben, liege an der besonderen Balsamierung. Mit ihr bewahrten Priester die Körper der gottgleichen Pharaonen vor dem Zerfall. „Das Arbeiten mit königlichen Mumien ist ein ganz anderes Spiel“, sagte Pusch. „Vor uns hat noch keiner gezeigt, dass man mit solchen Mumien arbeiten kann. Ehrlich, ich glaube, das war die Arbeit meines Lebens!“
GEMEINSCHAFTSGRÄBER. Um zu verstehen, warum es überhaupt nötig ist, Mumien mithilfe von Hightech zu identifizieren, hilft ein Blick in die Fundgeschichte: 30 Dynastien gab es im Alten Ägypten. Königsmumien sind aber nur aus dem Neuen Reich erhalten – der 18., 19. und 20. Dynastie. Diese Pharaonen erkoren ab etwa 1500 v. Chr. das Tal der Könige als Begräbnisstätte. Am Ende der 20. Dynastie, um 1000 v. Chr., passierte der Frevel: Es gab eine Welle von Grabplünderungen. Die Folge: Alle Gräber wurden von Staats wegen geöffnet. Man kontrollierte, ob sie noch intakt waren und konfiszierte eventuell vorhandene Schätze. Die toten Pharaonen wurden von den Priestern neu eingewickelt, auf Holz-halsketten wurden ihre Namen vermerkt – soweit man sie kannte. Dann wurden die Pharaonen in geheime, schlichte Gemeinschaftsgräber umgebettet. »
Zwei dieser Cachettes haben die Forscher entdeckt: DB 320, in den Bergen direkt hinter dem Totentempel der Hatschepsut, beinhaltete mehr als 50 Mumien, darunter Thutmosis I. bis III. und Ramses I. bis III. sowie Ramses IX.; Ramses IV. bis VI. dagegen liegen im zweiten Massengrab, KV 35, im Tal der Könige. Gemeinsam mit drei unbekannten Mumien. „Als Howard Carter der Chefinspektor von Luxor war, brachte er jede Mumie, die einen Namen hatte, nach Kairo ins Museum, ausgenommen Tutanchamun. Die, die keinen Namen hatten, blieben in den Gräbern“, erzählt Ägyptologe Hawass. „Die habe ich per Ct-scan untersucht. Die einzige königliche Mumie, die wir identifizieren konnten, war Ramses IV.“Mittlerweile hat Hawass seine Skepsis der Dna-analyse gegenüber abgelegt. „Die 18. Dynastie ist untersucht“, sagt er. Sogar die berühmte
Hatschepsut wurde 2007 mittels Dna-analyse in Gestalt einer Mumie identifiziert, die 1903 im Tal der Könige ausgegraben und wieder vergessen worden war. Hawass weiter: „Nun bereiten wir die Dynastien 19 und 20 für die Untersuchung vor.“Start war im vergangenen November. Wobei Albert Zink relativiert: „Wir haben bereits an die 50 Mumien untersucht. Wir hatten auch angefangen, uns mit Mumien der 19. Dynastie zu beschäftigen.“Beim Mumien-projekt 2.0 sei er aber nicht dabei, sagt er im Interview mit dem KURIER. Und bedauert: „Ich glaube nicht, dass sie schon so weit sind, das alleine zu stemmen.“
KONKURRENZ. Genau das wollen die Ägypter aber. Hawass: „Wir haben zwei Dna-laboratorien – ausschlieſslich, um Mumien zu untersuchen. Die Ägyptologie wurde in der Vergangenheit von Ausländern beherrscht. Ich versuche, den Glanz der Ägyptologie nach Ägypten zurückzubringen. Dazu müssen unsere Forscher aber mit den ausländischen konkurrieren. Daher sagte ich ihnen: ‚Ihr wollt euch messen? Dann müsst ihr gut sein!‘“Die Man-power sei aber nicht das einzige Problem, sagt Mumien-experte Zink: „Es gibt ganz neue Methoden und Sequenziermaschinen. Das müsste man aufrüsten. Man müsste das ganze Labor updaten.“
Abseits der chauvinistischen Unter töne steht aber fest, dass dieHighte ch forschungs methoden eine neue Ära historischer Wissenschaften eröffnet haben: Es wird zwar immer Platz für Schaufel und Spitzhacke geben, doch die moderne Werkzeugkiste muss auch Mikroskope, Computertomografen und Genlabors enthalten. Denn der wahre Schatz für die Wissenschafter liegt in der DNA verborgen. ■