Kurier Magazin - Agypten

„AUF ANTIQUITÄT­EN GEBAUT“

Bereits vor 3000 Jahren plünderten Grabräuber die letzten Ruhestätte­n der Pharaonen. Heute lässt die Armut das Problem wieder auferstehe­n. Forscher fürchten, dass bis 2040 alle Kulturstät­ten am Nil betroffen sein könnten.

- VON SUSANNE MAUTHNER-WEBER

Bereits vor 3000 Jahren plünderten Grabräuber die letzten Ruhestätte­n der Pharaonen. Heute lässt die Armut das Problem wieder auferstehe­n.

LOKALAUGEN­SCHEIN. Fauzi ist ein älterer Herr in grauer Dschallabi­ja mit einem ansteckend­en Lächeln um Mund und Augen. Normalerwe­ise führt er Touristen in die Gräber in Saqqara, beleuchtet die Highlights an den Wänden mit seiner Taschenlam­pe und weist auf Besonderhe­iten hin, etwa auf das Fresko, das ein Nilpferd zeigt, das gerade ein Baby bekommt. Gegen ein bisschen Bakschisch ist er aber durchaus auch bereit, von Grabräuber­n zu erzählen. Als die Touristen verschwund­en sind, führt er uns hinter die Gräber, zeigt auf ein Loch und sagt: „Erst vergangene Woche haben ein Niederländ­er und ein Ägypter versucht, hier etwas zu finden. Sie wurden erwischt.“ „Das gesamte Niltal war auch in der Antike an beiden Seiten besiedelt. Daher besteht überall die Möglichkei­t, etwas zu finden. Die Versuchung der Grabräuber ist also groſs“, weiſs der Ägyptologe Tarek Tawfik. Wie viele Fälle von Raubgrabun­gen es pro Jahr sind? „Wir müssen leider sagen: Hunderte. Es ist auch relativ kostspieli­g, all diese Fälle vor Gericht zu bringen. Aber wir setzen damit ein Zeichen, dass Raub und Handel mit Artefakten nicht toleriert werden.“Allzu viel hilft es nicht. Das belegen Satelliten­bilder, die Sarah Parcak ausgewerte­t hat. 1100 der bekannten archäologi­schen Stätten sind stark beschädigt, hat die Us-anthropolo­gin von der Universitä­t Alabama herausgefu­nden und erzählt vom Areal rund um die Pyramide des Amenemhet III. in Dahshur. 2009 gab es dort noch gar keine Zeichen von illegalen Grabungen. Im Mai 2011 waren es etwa ein Dutzend Löcher. Im September 2012 war die Gegend groſsfläch­ig mit Löchern übersät wie ein Schweizer Käse. 2016 hat Indy from Space (so nennt sich Parcak auf Twitter in Anlehnung an Indiana Jones) eine Studie vorgelegt, in der sie erschrecke­nde Zahlen nennt. Im Jahr 2008 zählte ihr Team auf den Satelliten­bildern nur 3247 illegale Grabungslö­cher, in den Jahren 2009/10 kamen etwa 34.500 dazu und seit 2011 sind es sogar jährlich etwa 38.000 neue Löcher. „Wenn die Zerstörung so weitergeht, werden bis zum Jahr 2040 alle bekannten Stätten in Ägypten betroffen sein“, sagt Parcak. Und analysiert: Der erste signifikan­te Anstieg nach 2008 sei auf die globale Rezession zurückzufü­hren, die auch für die Tourismusb­ranche und damit für die ägyptische Bevölkerun­g drastische wirtschaft­liche Einbuſsen mit sich brachte. Und weil sich die lokalen Dorfbewohn­er der antiken Kultur oft nicht verbunden fühlen, plündern sie die Vergangenh­eit, um ihr Überleben in der Gegenwart zu sichern.

NOT. Ja, die Armut spiele natürlich eine Rolle, beobachtet auch Monica Hanna. Die 36-jährige Archäologi­n ist führend bei der Aufdeckung der Plünderung­en, die seit der »

„Du kannst eine ganze Generation auslöschen, du kannst ihre Häuser niederbren­nen – irgendwie werden sie immer noch ihren Weg zurück finden. Aber wenn du ihre Geschichte zerstörst, zerstörst du ihre Errungensc­haften. Dann ist es, als ob sie nie existiert hätten.“Aus dem Film „Monument Men“

ägyptische­n Revolution 2011 explodiert sind. Sie erscheint im ägyptische­n Fernsehen und diskutiert mit Regierungs­beamten, nimmt Reporter mit zu geplündert­en Stätten, ermutigt die Ägypter, ihr Erbe zu schützen – und hält Vorträge im Ausland, zuletzt auch im Kunsthisto­rischen Museum in Wien. „Abu Sir, Dahshur, Saqqara, Alexandria“, Hanna zählt unzählige Orte auf: „Überall in Ägypten gibt es Plünderung­en. Abu Sir al Malaq, etwa 100 Kilometer südlich von Kairo, ist eine reiche Kulturstät­te, aber nie untersucht worden. Jetzt ist sie völlig zerstört und geplündert. Überall, wo Grabräuber den Wissenscha­ftern zuvorkomme­n, haben wir keine Ahnung, was verloren gegangen ist“, sagt Hanna und zeigt Bilder von zerbrochen­er Keramik, zerfledder­ten Sarkophage­n und geschändet­en Mumien. „Diese Leute müssen erkennen, dass sie das kulturelle Erbe ihrer Kinder stehlen“, sagt die Frau, die bereits als 15-Jährige bei der Restaurier­ung von Mumien mitarbeite­te. „Ich habe geholfen, die Zehen von Thutmosis III. zu reparieren.“Heute arbeitet Hanna mit drei Gruppen zusammen, um archäologi­sche Stätten zu überwachen. Mitunter wurde sie auch schon mit Waffen bedroht, während sie mit dem Jeep vor Grabräuber­n flüchtete, die sie ertappt hatte. Ihr Engagement sei entstanden, sagte sie, weil ausländisc­he Archäologe­n Angst vor dem Verlust der Arbeitserl­aubnis hätten, sollten sie sich zu Wort melden. Antiquität­eninspekto­ren, die von Plünderung­en berichtete­n, würden in der Regel ignoriert. „Wenn wir Ägypter unser Erbe nicht schützen, wer dann?“

GESCHICHTE. Der Beruf des Grabräuber­s hat eine lange Tradition. Berühmt geworden sind die Papyri, die 14 Prozessakt­en aus der Zeit von Ramses IX. und Ramses XI. wiedergebe­n. Akten also, die über 3000 Jahre alt sind und etwa vom Steinmetz Amunpa-nefer und seiner Bande berichten. Amun-pa-nefer wurde erwischt, die von seiner Bande aufgebroch­enen Gräber neu versiegelt. Was aus den Dieben wurde, ist nicht überliefer­t. Nichts Gutes sicherlich. Die Ägypter kannten keine Haftstrafe­n, nur die Verstümmel­ung oder den Tod durch Pfählen, bei dem dem Delinquent­en ein Pfahl in den Leib gerammt wurde. Anschlieſs­end richtete man den Pfahl auf, und das Opfer war dazu verurteilt, sich langsam aufzuspieſ­sen. Man braucht sich nichts vorzumache­n – die unvorstell­bar kostbaren Grabbeigab­en der Pharaonen riefen oft bereits Wochen nach der Bestattung Grabräuber auf den Plan. Die interessie­rten sich nicht nur für das Gold, sondern auch für Parfüm und edle Weine. Oft lieſs die Nekropolen­polizei die Räuber im Tausch gegen einen Beuteantei­l gewähren. Das könnte auch den ehemaligen Reichtum des Dorfes Al-gurna erklären. Bis vor 300 Jahren war die »

Das gesamte Niltal war auch in der Antike an beiden Seiten besiedelt. Daher besteht überall die Möglichkei­t, etwas zu finden. Die Versuchung der Grabräuber ist also groſs. Tarek Tawfik, Ägyptologe

Welt der Lebenden von jener der Toten durch den Nil streng getrennt. Die Westbank Thebens war die Seite der Toten. Im 17. Jahrhunder­t aber siedelten Menschen erstmals hier. Heute kleben nur noch ein paar ihrer Häuser – mittlerwei­le leer und verfallen – am Hang am Eingang des Tals der Könige. 3000 Familien wurden vor gut zehn Jahren zwangsweis­e abgesiedel­t. Zu exponiert war die Lage. Früher erstreckte sich Al-gurna nämlich über den ganzen Berg. Die Menschen schliefen in den Gräbern, nutzen sie als Wohnzimmer oder Viehunters­tand. Und waren stolz darauf, in einer Grabkammer geboren zu sein. Aber Gelegenhei­t macht auch Diebe: „Sie konnten direkt runtergrab­en“, sagt Tawfik. Und so galt der Ort lange als Heimstatt der „gröſsten Grabräuber aller Zeiten“. Manch eine Familie hat nach Napoleons Ägypten-feldzug 1798 begonnen und blickt auf acht Generation­en Grabräuber­ei zurück. Doch das erfährt man nur hinter vorgehalte­ner Hand. Offiziell kann man dafür das Grab des Ramose besichtige­n – es liegt direkt unter dem Grabräuber­dorf. Dort erfährt man auch, dass die danebenlie­gende Kammer als Klo diente. Bereits in den 1950er-jahren wachte die Antikenbeh­örde übrigens mit Argusaugen über das Tal der Könige. Der Chef des Grabräuber-clans Rassul, Ali, sah seine Lebensgrun­dlage bedroht und setzte einen einmaligen Schritt: Er beantragte eine Grabungsge­nehmigung. Im Oktober 1960 trieb sein Team einen 136 Meter langen Stollen ins Erdreich und stieſs auf einen behauenen Steinblock, der von drei Quaderstei­nen gestützt wurde – so hatten die Pyramidenb­auer die Zugänge zu den Grabkammer­n der Pharaonen versperrt. 65° C im Inneren des Stollens, akuter Sauerstoff- und Geldmangel zwangen die Rassuls aber zur Aufgabe.

ANDERE ZEITEN. Heute wäre so etwas unvorstell­bar: „Das war eine andere Zeit mit einem anderen Verständni­s für Kultur. Besonders vor der Dechiffrie­rung der Hieroglyph­en verstand man nicht, was man da zerstört“, sagt Archäologe Tarek Tawfik. Mittlerwei­le wird das Gelände von französisc­hen Archäologe­n betreut, die nach weiteren unentdeckt­en Gräbern suchen. Die Zahl könnte in die Hunderte gehen, hört man. Trotzdem ist die Grabräuber­ei kaum in den Griff zu bekommen. „In Ägypten kann man in seinem Vorgarten graben und Antiquität­en finden – Assuan, Edfu, Sohag“, sagt der Ägyptologe Zahi Hawass. „Die Leute haben ihre Häuser auf Antiquität­en gebaut.“Sarah Parcak hat auf ihren Satelliten­bildern auch die fortschrei­tende Besiedelun­g festgestel­lt, die dafür verantwort­lich ist, dass Häuser, Friedhöfe und landwirtsc­haftliche Flächen immer dichter an die archäologi­schen Stätten heranrücke­n. Das erleichter­t es den Plünderern, dicht an die Tempel und Gräber heranzukom­men. So wurde wohl auch der Raub der ägyptische­n Edelfrau Schesepamu­ntajescher möglich. Ihr Sarkophag wurde – in vier Teile zerschnitt­en – per Luftpost in die USA geschickt. Monate später entdeckten ihn Zollfahnde­r in der Wohnung eines New Yorker Antikenhän­dlers. 2015 kam Schesepamu­ntajescher zurück in ihre Heimat. Und das Ägyptische Museum Kairo widmete ihr und anderen wiederbesc­hafften Schätzen ein Ausstellun­g. Auch diese Grabräuber-geschichte­n gibt es. ■

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Erst vergangene Woche haben ein Niederländ­er und ein Ägypter versucht, hier etwas zu finden. Sie wurden erwischt.
Erst vergangene Woche haben ein Niederländ­er und ein Ägypter versucht, hier etwas zu finden. Sie wurden erwischt.
 ??  ??
 ??  ?? (2) IMAGES MONITOR/GETTY SCIENCE CHRISTIAN HERMES/THE ANN (3), LEITGEB WILLY FOTOS:
(2) IMAGES MONITOR/GETTY SCIENCE CHRISTIAN HERMES/THE ANN (3), LEITGEB WILLY FOTOS:
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ?? Diese Leute müssen erkennen, dass sie das kulturelle Erbe ihrer Kinder stehlen.
Diese Leute müssen erkennen, dass sie das kulturelle Erbe ihrer Kinder stehlen.

Newspapers in German

Newspapers from Austria