„AUF ANTIQUITÄTEN GEBAUT“
Bereits vor 3000 Jahren plünderten Grabräuber die letzten Ruhestätten der Pharaonen. Heute lässt die Armut das Problem wieder auferstehen. Forscher fürchten, dass bis 2040 alle Kulturstätten am Nil betroffen sein könnten.
Bereits vor 3000 Jahren plünderten Grabräuber die letzten Ruhestätten der Pharaonen. Heute lässt die Armut das Problem wieder auferstehen.
LOKALAUGENSCHEIN. Fauzi ist ein älterer Herr in grauer Dschallabija mit einem ansteckenden Lächeln um Mund und Augen. Normalerweise führt er Touristen in die Gräber in Saqqara, beleuchtet die Highlights an den Wänden mit seiner Taschenlampe und weist auf Besonderheiten hin, etwa auf das Fresko, das ein Nilpferd zeigt, das gerade ein Baby bekommt. Gegen ein bisschen Bakschisch ist er aber durchaus auch bereit, von Grabräubern zu erzählen. Als die Touristen verschwunden sind, führt er uns hinter die Gräber, zeigt auf ein Loch und sagt: „Erst vergangene Woche haben ein Niederländer und ein Ägypter versucht, hier etwas zu finden. Sie wurden erwischt.“ „Das gesamte Niltal war auch in der Antike an beiden Seiten besiedelt. Daher besteht überall die Möglichkeit, etwas zu finden. Die Versuchung der Grabräuber ist also groſs“, weiſs der Ägyptologe Tarek Tawfik. Wie viele Fälle von Raubgrabungen es pro Jahr sind? „Wir müssen leider sagen: Hunderte. Es ist auch relativ kostspielig, all diese Fälle vor Gericht zu bringen. Aber wir setzen damit ein Zeichen, dass Raub und Handel mit Artefakten nicht toleriert werden.“Allzu viel hilft es nicht. Das belegen Satellitenbilder, die Sarah Parcak ausgewertet hat. 1100 der bekannten archäologischen Stätten sind stark beschädigt, hat die Us-anthropologin von der Universität Alabama herausgefunden und erzählt vom Areal rund um die Pyramide des Amenemhet III. in Dahshur. 2009 gab es dort noch gar keine Zeichen von illegalen Grabungen. Im Mai 2011 waren es etwa ein Dutzend Löcher. Im September 2012 war die Gegend groſsflächig mit Löchern übersät wie ein Schweizer Käse. 2016 hat Indy from Space (so nennt sich Parcak auf Twitter in Anlehnung an Indiana Jones) eine Studie vorgelegt, in der sie erschreckende Zahlen nennt. Im Jahr 2008 zählte ihr Team auf den Satellitenbildern nur 3247 illegale Grabungslöcher, in den Jahren 2009/10 kamen etwa 34.500 dazu und seit 2011 sind es sogar jährlich etwa 38.000 neue Löcher. „Wenn die Zerstörung so weitergeht, werden bis zum Jahr 2040 alle bekannten Stätten in Ägypten betroffen sein“, sagt Parcak. Und analysiert: Der erste signifikante Anstieg nach 2008 sei auf die globale Rezession zurückzuführen, die auch für die Tourismusbranche und damit für die ägyptische Bevölkerung drastische wirtschaftliche Einbuſsen mit sich brachte. Und weil sich die lokalen Dorfbewohner der antiken Kultur oft nicht verbunden fühlen, plündern sie die Vergangenheit, um ihr Überleben in der Gegenwart zu sichern.
NOT. Ja, die Armut spiele natürlich eine Rolle, beobachtet auch Monica Hanna. Die 36-jährige Archäologin ist führend bei der Aufdeckung der Plünderungen, die seit der »
„Du kannst eine ganze Generation auslöschen, du kannst ihre Häuser niederbrennen – irgendwie werden sie immer noch ihren Weg zurück finden. Aber wenn du ihre Geschichte zerstörst, zerstörst du ihre Errungenschaften. Dann ist es, als ob sie nie existiert hätten.“Aus dem Film „Monument Men“
ägyptischen Revolution 2011 explodiert sind. Sie erscheint im ägyptischen Fernsehen und diskutiert mit Regierungsbeamten, nimmt Reporter mit zu geplünderten Stätten, ermutigt die Ägypter, ihr Erbe zu schützen – und hält Vorträge im Ausland, zuletzt auch im Kunsthistorischen Museum in Wien. „Abu Sir, Dahshur, Saqqara, Alexandria“, Hanna zählt unzählige Orte auf: „Überall in Ägypten gibt es Plünderungen. Abu Sir al Malaq, etwa 100 Kilometer südlich von Kairo, ist eine reiche Kulturstätte, aber nie untersucht worden. Jetzt ist sie völlig zerstört und geplündert. Überall, wo Grabräuber den Wissenschaftern zuvorkommen, haben wir keine Ahnung, was verloren gegangen ist“, sagt Hanna und zeigt Bilder von zerbrochener Keramik, zerfledderten Sarkophagen und geschändeten Mumien. „Diese Leute müssen erkennen, dass sie das kulturelle Erbe ihrer Kinder stehlen“, sagt die Frau, die bereits als 15-Jährige bei der Restaurierung von Mumien mitarbeitete. „Ich habe geholfen, die Zehen von Thutmosis III. zu reparieren.“Heute arbeitet Hanna mit drei Gruppen zusammen, um archäologische Stätten zu überwachen. Mitunter wurde sie auch schon mit Waffen bedroht, während sie mit dem Jeep vor Grabräubern flüchtete, die sie ertappt hatte. Ihr Engagement sei entstanden, sagte sie, weil ausländische Archäologen Angst vor dem Verlust der Arbeitserlaubnis hätten, sollten sie sich zu Wort melden. Antiquitäteninspektoren, die von Plünderungen berichteten, würden in der Regel ignoriert. „Wenn wir Ägypter unser Erbe nicht schützen, wer dann?“
GESCHICHTE. Der Beruf des Grabräubers hat eine lange Tradition. Berühmt geworden sind die Papyri, die 14 Prozessakten aus der Zeit von Ramses IX. und Ramses XI. wiedergeben. Akten also, die über 3000 Jahre alt sind und etwa vom Steinmetz Amunpa-nefer und seiner Bande berichten. Amun-pa-nefer wurde erwischt, die von seiner Bande aufgebrochenen Gräber neu versiegelt. Was aus den Dieben wurde, ist nicht überliefert. Nichts Gutes sicherlich. Die Ägypter kannten keine Haftstrafen, nur die Verstümmelung oder den Tod durch Pfählen, bei dem dem Delinquenten ein Pfahl in den Leib gerammt wurde. Anschlieſsend richtete man den Pfahl auf, und das Opfer war dazu verurteilt, sich langsam aufzuspieſsen. Man braucht sich nichts vorzumachen – die unvorstellbar kostbaren Grabbeigaben der Pharaonen riefen oft bereits Wochen nach der Bestattung Grabräuber auf den Plan. Die interessierten sich nicht nur für das Gold, sondern auch für Parfüm und edle Weine. Oft lieſs die Nekropolenpolizei die Räuber im Tausch gegen einen Beuteanteil gewähren. Das könnte auch den ehemaligen Reichtum des Dorfes Al-gurna erklären. Bis vor 300 Jahren war die »
Das gesamte Niltal war auch in der Antike an beiden Seiten besiedelt. Daher besteht überall die Möglichkeit, etwas zu finden. Die Versuchung der Grabräuber ist also groſs. Tarek Tawfik, Ägyptologe
Welt der Lebenden von jener der Toten durch den Nil streng getrennt. Die Westbank Thebens war die Seite der Toten. Im 17. Jahrhundert aber siedelten Menschen erstmals hier. Heute kleben nur noch ein paar ihrer Häuser – mittlerweile leer und verfallen – am Hang am Eingang des Tals der Könige. 3000 Familien wurden vor gut zehn Jahren zwangsweise abgesiedelt. Zu exponiert war die Lage. Früher erstreckte sich Al-gurna nämlich über den ganzen Berg. Die Menschen schliefen in den Gräbern, nutzen sie als Wohnzimmer oder Viehunterstand. Und waren stolz darauf, in einer Grabkammer geboren zu sein. Aber Gelegenheit macht auch Diebe: „Sie konnten direkt runtergraben“, sagt Tawfik. Und so galt der Ort lange als Heimstatt der „gröſsten Grabräuber aller Zeiten“. Manch eine Familie hat nach Napoleons Ägypten-feldzug 1798 begonnen und blickt auf acht Generationen Grabräuberei zurück. Doch das erfährt man nur hinter vorgehaltener Hand. Offiziell kann man dafür das Grab des Ramose besichtigen – es liegt direkt unter dem Grabräuberdorf. Dort erfährt man auch, dass die danebenliegende Kammer als Klo diente. Bereits in den 1950er-jahren wachte die Antikenbehörde übrigens mit Argusaugen über das Tal der Könige. Der Chef des Grabräuber-clans Rassul, Ali, sah seine Lebensgrundlage bedroht und setzte einen einmaligen Schritt: Er beantragte eine Grabungsgenehmigung. Im Oktober 1960 trieb sein Team einen 136 Meter langen Stollen ins Erdreich und stieſs auf einen behauenen Steinblock, der von drei Quadersteinen gestützt wurde – so hatten die Pyramidenbauer die Zugänge zu den Grabkammern der Pharaonen versperrt. 65° C im Inneren des Stollens, akuter Sauerstoff- und Geldmangel zwangen die Rassuls aber zur Aufgabe.
ANDERE ZEITEN. Heute wäre so etwas unvorstellbar: „Das war eine andere Zeit mit einem anderen Verständnis für Kultur. Besonders vor der Dechiffrierung der Hieroglyphen verstand man nicht, was man da zerstört“, sagt Archäologe Tarek Tawfik. Mittlerweile wird das Gelände von französischen Archäologen betreut, die nach weiteren unentdeckten Gräbern suchen. Die Zahl könnte in die Hunderte gehen, hört man. Trotzdem ist die Grabräuberei kaum in den Griff zu bekommen. „In Ägypten kann man in seinem Vorgarten graben und Antiquitäten finden – Assuan, Edfu, Sohag“, sagt der Ägyptologe Zahi Hawass. „Die Leute haben ihre Häuser auf Antiquitäten gebaut.“Sarah Parcak hat auf ihren Satellitenbildern auch die fortschreitende Besiedelung festgestellt, die dafür verantwortlich ist, dass Häuser, Friedhöfe und landwirtschaftliche Flächen immer dichter an die archäologischen Stätten heranrücken. Das erleichtert es den Plünderern, dicht an die Tempel und Gräber heranzukommen. So wurde wohl auch der Raub der ägyptischen Edelfrau Schesepamuntajescher möglich. Ihr Sarkophag wurde – in vier Teile zerschnitten – per Luftpost in die USA geschickt. Monate später entdeckten ihn Zollfahnder in der Wohnung eines New Yorker Antikenhändlers. 2015 kam Schesepamuntajescher zurück in ihre Heimat. Und das Ägyptische Museum Kairo widmete ihr und anderen wiederbeschafften Schätzen ein Ausstellung. Auch diese Grabräuber-geschichten gibt es. ■