Kurier Magazin - Agypten

HIGHTECH TRIFFT ANTIKE

Ein im Kunsthisto­rischen Museum Wien entdeckter Papyrus beweist: Für neue archäologi­sche Funde muss man nicht unbedingt graben, manchmal reicht dazu eine gründliche Inventur im eigenen Depot.

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Beinahe wäre die „Sensation“(© Regina Hölzl, Direktorin der Ägyptischo­rientalisc­hen Sammlung) schon 2003 eingetrete­n: Im Rahmen eines veterinärm­edizinisch­en Forschungs­projekts war bei Röntgenauf­nahmen eines Tonkegels nämlich ein kleines Stoffbünde­l entdeckt worden. Tonkegel und veterinärm­edizinisch­es Projekt? Durchaus, denn der Tonkegel mit der Inventarnu­mmer ÄS 5174 beinhaltet­e eine Ibis-mumie, und darunter lag das Bündel als Füllmateri­al. Dem wurde aber erst zehn Jahre später Aufmerksam­keit geschenkt: Weil die Tiermumien des KHM ins neue Depot nach Himberg transporti­ert werden sollten, musste alles inventaris­iert und gereinigt werden, erzählt Hölzl. Man habe also die Mumien auseinande­r genommen. „Die Restaurato­rin hat dann in einem der Kegel das Füllmateri­al entdeckt, in dem ein Päckchen versteckt war. Es stellt sich heraus, dass das eine in Leinen gehüllte Papyrus-rolle war.“

VORSICHTIG BEFEUCHTEN. Erst zehn Monate später wagte man sich ans Ausrollen. „Dazwischen lag Recherche, wie man so was macht. Heutzutage werden kaum noch verschloss­ene Mumienbehä­lter gefunden, es gibt also nicht die vorgeferti­gte Methode“, sagt Hölzl. „Auſserdem hatten wir nur eine Chance, es richtig zu machen.“Die Forscher entschiede­n sich für eine Plexiglask­ammer mit Löschpapie­rblättern, die mit Wasser und Äthanol getränkt waren. Die Rolle wurde draufgeleg­t, bis sie sich entfaltete. „In vier Tagen wurde es aufgerollt. Es gab keinen einzigen Bruch“, sagt Hölzl. Erstaunt stellten die Forscher fest, dass der Tonkegel mit der Ibis-mumie etwa 700 Jahre jünger ist als der Papyrus selbst, der offenbar das private Kassaoder Notizbuch eines Mannes namens Thutmose war. „Der Name des Schreibers ist wohlbekann­t, er lebte im späten Neuen Reich in der Zeit Ramses XI. und war einer der berühmtest­en Schreiber, von dem viele Texte erhalten sind – zum Beispiel im British Museum in London“, sagt Hölzl. Der Papyrus ist in Hieratisch, der Schreibsch­rift der Ägypter, verfasst worden. Das Lesen entpuppte sich als schwierig, die Österreich­er warfen das Handtuch und wandten sich an Robert Demarée von der Universitä­t Leiden. „Man sagt von ihm, dass er Papyri liest wie wir Deutsch“, schwärmt Hölzl und erhielt tatsächlic­h innerhalb von drei Wochen eine Übersetzun­g samt Kommentare­n des 2,5 Meter langen, beidseitig beschrifte­t Papyrus. Der Tonkegel stammte jedenfalls ursprüngli­ch aus der Sammlung Miramare (siehe Geschichte links) , und die Ägyptologi­n stellte sich nun die Frage: Wie und wann kam das Päckchen in den Tonkegel? Vermutlich wurde die zu dem Zeitpunkt bereits viele Jahrhunder­te alte Schriftrol­le als wertvolle Beigabe gesehen. „Ibis ist der Gott der Schreiber, und Ibismumien wurden massenweis­e hergestell­t. Möglicherw­eise wollte man diese Votivgabe wertvoller machen, indem man ein antikes Dokument eines berühmten Schreibers beigelegt hat“, mutmaſst die Wissenscha­fterin. „Wäre schön, die Hypothese auch beweisen zu können.“Glückliche­rweise hat die Ägyptologi­n Hölzl noch ein paar ungeöffnet­e Kegel, die sie heuer scannen will. „Dann sehen wir weiter. Wenn nichts zu erkennen ist, bleiben sie zu, wenn doch …“

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