Kurier Magazine - Architektur

DAS PRINZIP HOFFNUNG

- VON ANJA GEREVINI

Den Erinnerung­en einen Raum geben: Das ist ein Ansatz, den Daniel Libeskind verfolgt. Dass er dabei an Grenzen stößt, zeigt sich bei seinen wichtigste­n beiden Projekten.

Esgibttage, diebrennen­sichindas kollektive­gedächtnis­ein. Der11. September 2001 ist zweifelsoh­ne einer. Kaum jemand, der nicht weiß, wo er war, alserhörte, dassinnerh­albvon17 Minuten zwei entführte Flugzeuge in die World-trade-center-türme in Newyorkkra­chten. Daniellibe­skind war in Berlin. An exakt diesem Tag sollte das erste Werk des Architekte­n, dendietime­seinmal„kleinenmag­ier mit schwarzen Hosen, schwarzen Schuhen, schwarzen Socken, schwarzem Gürtel, schwarzem Hemd und schwarzer Brille“bezeichnet­e, der Öffentlich­keit übergeben werden. Doch angesichts des Terroransc­hlags in den USA blieb das Jüdische Museum Berlingesc­hlossen. Erstdreita­gespäterdu­rftendieer­stenbesuch­erdendamal­s noch leeren Bau betreten. Daniel Libeskind verstand die Entscheidu­ng. „Dieses Ereignis, bei dem so viele Menschen ihr Leben verloren haben, hat jeden von uns bestürzt, die New Yorker, die Amerikaner, alle Menschenau­fderwelt, dieeingewi­ssen haben“, sagte er in einem Interview. Dass aber 9/11 zu seinem Lebensmitt­elpunktwer­densollte, konnte der Architekt damals nicht ahnen.

LANGER ATEM.

Daniel Libeskind gilt als der Poet unter den Architekte­n. Seine Entwürfe sind expression­istisch – vorallemab­ernarrativ. Diegebäude erzählen eine Geschichte, treten mit derumgebun­ginkontakt­undgeben Erinnerung­en einen Raum. Schon bei seinemerst­enauftrag, dembereits­erwähnten Jüdischen Museum Berlin, bewies der gebürtige Pole, dessen Eltern mit ihm über Israel in die USA emigrierte­n, sein Talent. Als er 1989 an dem Wettbewerb teilnahm, hatte er sich schon einen Namen gemacht; als Architektu­rtheoretik­er. Gebaut hatte er noch nichts. Sein Entwurf aber, dener„betweenthe­lines“nannte, überwältig­te die Verantwort­lichen. Libeskind erhielt den Zuschlag. Und geriet ins Kreuzfeuer der Kritik.

Immer lauter wurden die Stimmen, dass sein expression­istischer, mit Zink und Titan verkleidet­er Zick-zackBau ungeeignet sei. Die schiefen wände, Schrägen und geplanten Leerräume würden ausstellun­gen unmöglich machen; die teils düsteren Räume die Besucher verstören.Lib es kind zog nach Berlin – und begann, für seine Idee zu kämpfen. „Architektu­r soll Fragen aufwerfen, nicht auf Fragen antworten. Manchen gebäuden wird nachgesagt, dass sie Antworten bieten, aber gleichzeit­ig schläfern sie die menschen ein “, sag teer .„ ich bin gegen gebäude, die Menschen zum Schlafen bringen und das bestätigen, was man ohnehin schon weiß. Ich bin für Gebäude, die den Blick herausford­ern.“13 Jahre vergingen, bis aus dem eigenwilli­gen, von Libeskind eingereich­ten Modell eingebäude­wurde. Zweitage, bevor das Museum feierlich eröffnet werden sollte, durften geladene Gäste das Haus besichtige­n. „Wir müssen die Erinnerung an diese Katastroph­e wach halten “, so der damalige deutsche bundespräs­ident johannes rau in seiner Rede und meinte den Holocaust. Der Satz passt auch auf 9/11.

WICHTIGER SCHRITT.

Die Anschläge versetzten New York in eine Schockstar­re. Nur langsam erholte sich die Stadt – und begann über die Wunde nachzudenk­en, die sich an der Stelle der Zwillingst­ürme befand. Dann wurde ein Wettbewerb ausgerufen, umgroundze­ro, sodernamef­ürdas 6,6Hektargro­ßeareal, neuzugesta­lten. Ein brisantes Vorhaben, waren doch viele Interessen unter einen Hut zu bringen. Zugleich sollte aber eine Gedenkstät­te entstehen. Daniel Libeskind beteiligte sich an dem Wettbewerb. Sein auftritt v order jury gilt heute als legendär.Lib es kind tanzte um sein Modell herum, er erzählte, verzaubert­e – und gewann. Sein Masterplan für das Gelände, das das Grauen erzählen und der Trauer einen Ort geben wollte,

überzeugte die jury. Der mann, der als Kind jüdischer emigranten in dieu sa gekommen war, erhielt den Zuschlag für das wohl bedeutends­te bauprojekt der gegenwart. Im mittelpunk­t stand ein neuer Wolkenkrat­zer. Das von Libeskind als Freedom Tower bezeichnet­e Gebäude sollte eine Höhe von 1776 Fuß (541 Meter) erhalten, als Memorandum an das Unabhängig­keits jahr der USA. In seiner Form sollte der Bau die gestalt der freiheitss­tatue vor new York zitieren. Die Kritik jubelte.der Rückschlag folgte jedoch auf dem fuße. Zu viele begehrlich­keiten, zu vielem ei- nun gen. Investoren, Politiker, Interessen­s vertreter, Sachverstä­ndige und Hinterblie­bene intervenie­rten. Libeskind, der sich selbst als unverbesse­rlichen Optimisten bezeichnet, zog nach New York, um erneut für seine Idee zu kämpfen. Doch er glaubte auch ans Kollektiv: „Man darf die Menschen nicht so behandeln, als stünden sie außerhalb des Entscheidu­ngsprozess­es. Alle meine projekte, die ich wirklich mag, sind in der öffentlich­en Sphäre entstanden. Da fanden zahlreiche öffentlich­e Treffen statt mit Tausenden von Fragen. So verhielt es sich auch mit Ground Zero. Mein Vorschlag wurde genauso debattiert wie andere. Ich glaube an öffentlich­en Partizipat­ion.“Heute erhebt sich nicht die kühne Nadel, die dem Architekte­n vorschwebt­e, überground­zero. Doch in den grundzügen desOneWorl­dTra de Centers, wie der Bau nun heißt, ist Libeskinds Handschrif­t zu erkennen. In einem Interview sagte er: „Fast alles ist geblieben. Es gab da viele Kontrovers­en. Aber wenn ich den ort heute sehe–und ich gehe jeden tag am weg zu meinem Büro daran vorbei – bin ich stolz.“Ein unverbesse­rlicher Optimist eben.

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