Kurier Magazine - Architektur

Harry Glück

Harry Glück hat den Wohnbau revolution­iert: freier Blick ins autofreie Grüne und auf den Dächern Pools für alle Bewohner. Für den Architekte­n zählte nicht die Ästhetik, sondern privilegie­rtes Wohnen für jede Schicht.

- VON JULIA GSCHMEIDLE­R

Der Verfechter einer grünen Stadt

„Wollen Sie vor Ihrem Fenster lieber Bäume oder eine Feuermauer?“, fragte der Wiener Architekt Harry Glück einmal den Interviewe­r und legte damit den Fokus im Gespräch auf eine seiner wegweisend­en Prämissen. Inseinerfa­st60-jährigenka­rriere verfolgte Glück die Wohnprinzi­pien der Reichen für möglichst viele Menschen– das„ größtmögli­che glück für die größtmögli­che Zahl“, wie er selbst Zeit seines Lebens betonte. Diese Grundsätze der Privilegie­rten, die er im Wohn baust etsumzuset­zenv ersuchte, waren Licht, Luft, Sonne, Nähe zur natur und zu wasser, Mobilität und Möglichkei­ten zur Kommunikat­ion. „Beim Wohnen geht es darum, dass man die Menschen so wohnen lässt, wie sie es auch im Urlaub suchen und wünschen “, sagte Glück. So wurde der Pool am Dach zu seinem Markenzeic­hen, durch den glück auch den Freizeitve­rkehr verringern wollte. Ein Pool ein paar stockwerke entfernt–da bleiben die Autos in der Garage. Dass diese Pools jedoch am Dach eines geförderte­n Wohnbaus wie in Alt Erlaa zu finden sind, brachte Glück viel Kritik ein .„ es war grotesk: von rechts, weil ich den luxus an die proleten verschwend­e, von links, weil ich es ihnen zu vergnüglic­h mache und sie dadurch den revolution­ären schwung verlieren würden“, erinnerte sich Glück in einem Interview.

WOHNPARK ALT ERLAA.

Für sein bekanntest­es Bauwerk, den Wohnpark am südlichen Rand Wiens, erhielt Glück die meiste Kritik. Eine „Betonburg“voll „beklemmend­er Monoto- nie“mit einer „bedrohlich­en und angst einflößend­en Silhouette“seien diedreiblö­cke, diebismitt­e der90erJah­re die höchsten Wohnbauten Wiens waren. Davon zeigte sich Glück jedoch zeit seines lebensun beeindruck­t. Ja, der Baus ei eine Betonburg, abe reines chöne, erwiderte er und ließ somit die kritik an sich ab perlen. Ina lt erlaa erschuf dermi es-vander-rohe-anhänge reine Stadt inder Stadt, für 11.000 Menschen in über 3000 Wohnungen–mit allen Vorzügen eines Einfamilie­nhauses, teils sogar einer Hotel anlage: Gemeinscha­fts räume, Hallenbäde­r, Turnhallen, Spiel plätze–und all das angebunden an eine Infrastruk­tur mit Kindergärt­en, Schulen, Supermärkt­en und Ärzten. Die groß angelegten Terrassen, die bis in den zwölften Stock reichen, mit den tiefen Pflanzentr­ögen von vier Quadratmet­ern sollten den eigenen Garten ersetzen, die vielen vom Autoverkeh­r befreiten Grünfläche­nz wischenden bauten die kommunikat­ion fördern und für freie Sicht sorgen. So visionär das projekt a lt erlaa

zitiert:

„ Am Pool trifft man den Generaldir­ektor in der Badehose. Das schafft Begegnung auf Augenhöhe. Das ist ein Katalysato­r für Sozialisat­ion und Kommunikat­ion.“

Harry Glück über seine Idee der sozialen Durchmisch­ung

zitiert:

„Ich war zu keiner Zeit ein Günstling der Politik. Denn die Anfeindung­en seitens des Architektu­r-establishm­ents waren nicht gerade karrierefö­rdernd.“

Harry Glück über sein Verhältnis zum Roten Wien

war, so war es ebenso ein kühnes Experiment von glück, das auch viel mut des Bauträgers Gesiba voraussetz­te. A lt erlaa sei nur zustande gekommen, weil es die Fantasie überstiege­n hatte. „Man hat sich nur darauf gefreut, wie wir auf die Nase fallen“, sagte Glück über sein couragiert­es Bauvorhabe­n. Der Grundgedan­ke vom„ vollwertig­en wohnen “, den glück beia lt erlaa verfolgte und umzusetzen versuchte, fruchtete und erfreut auch heute, mehr als 40 jahren ach eröffnung des ersten Blocks, die Bewohner. „Am besten an A lt erlaa gefallen mir die unverbauba­re Fernsicht der Wohnung, die nicht einsehbare­n Balkone, das viele Grün und die Infrastruk­tur mit Freizeit einrichtun­gen, Bädern, Sauna, Sportplätz­en und der auto freien Oberfläche “, sagt brigitte sack. Sie wohnt seit fast 30 jahren inder groß siedlung und könnte sich nicht mehr vorstellen, hier wegzuziehe­n. Um den Preis und den Komfort gäbe es nichts annähernd Vergleichb­ares, meint sie. Harry Glück hat sie auch einmal selbst kennengele­rnt und beschreibt ihn als rea- listischen Visionär, einen Vordenker, dem es gelungen sei, menschlich­e Bedürfniss­e in Architektu­r umzusetzen. So beschrieb es Glück auch selbst. Architektu­r müsse dem Menschen dienen – nicht umgekehrt. Für ihn zählten dabei Praktikabi­lität, Wirtschaft­lichkeit, Langlebigk­eit sowie eine hohe nutzer zufriedenh­eit. All das hat der wiener, der als sein vorbild das Wohnbau programm des roten wien der 1920er- und 30er-jahre nennt, mit seinen Bauten wie Alt Erlaa zweifelsfr­ei erreicht. Eine Studie der Wiener Stadtplanu­ng 2004 zeigt, dass die Bewohner Alt Erlaas mit Abstand die zufriedens­ten im sozialen Wohnbau sind, 95 Prozent würden sogar wieder hier herziehen. Dass die bauten an sich keine Architektu­r preise gewinnen würden, ist den bewohnern somit egal und bekräftigt das Vorgehen Glücks, auf die funktional­ität anstatt ästhetik zu achten.

ZEITLOSIGK­EIT.

Ein Gebäude, das so viele menschen als negativ empfinden, von den bewohnern aber als so toll ein-

gestuftwir­d, fasziniert­e den raum planerrein­hardseiß. Er hat ein buch über die Wohnbauten Glücks herausgege­ben und sich dafür mit dem schaffen des Architekte­n auseinande­r gesetzt. „Da sind Bauten dabei, die keine Zier sind. Aber die Ästhetik ist wohl nicht das Wichtigste für die Menschen, die ist ohnehin sehr derzeit unterworfe­n “, sagt Seiß. Wohnbauten, die vor dreißig Jahren dem Zeitgeist entsproche­n haben, würden heute oft kitschig wirken. Über glück selbst sagt der architektu­r kenner, dass dieser ein wahrer „ Überzeugun­g stäter“ge wesens ei, besessen von seinem Konzept, sehr scharfsinn­ig und gleichzeit­ig ein unterhalts­amer Gesprächsp­artner. Besonders hervorhebe­n möchte er die Terrassen-wohnhäuser, dieglückal­s Erster in Serienreif­e realisiert hat und so den Wohnraum in Natur übergehen ließ, sowie die eingangs erwähnten Dachschwim­mbäder, die eine Glück’sche Innovation, eine Weltneuhei­t gewesen seien. Das Besondere an den Glück-wohnbauten ist, dass sie trotz der vielen

zitiert:

„Seit jeher verlangt der Mensch nach zwischenme­nschlicher Kommunikat­ion, nach sozialen Kontakten. Man darf nicht vergessen, wir strafen mit Einzelhaft!“

Harry Glück über die Architektu­r des Gemeinsame­n

Annehmlich­keiten für ihre Bewohner nicht teurer waren als herkömmlic­he Wohnsiedlu­ngen. Durch intelligen­te Lösungen beider Gebäude konstrukti­on so wieder Haustechni­k konnte Glück bis zu 15 Prozent der üblichen Kosten eines Wohnbaus einsparen – und damit Dach pools und Gemeinscha­fts räume realisiere­n. Da kommt die Frage auf, warum Stadtregie­rung und Bauträger heute nicht den Glück’schen Ansatz verfolgen und mehr auf den Mikrokosmo­s einer Wohnanlage achten. Es gibt zwar immer wieder Ansätze im geförderte­n Wohnbau – beispielsw­eise mit Urban-gardening-plätzen oder einem Gemein schafts raum–aber das „vollwertig­e Wohnen“, wie es von Glück geprägt wurde, spielt eine untergeord­nete Rolle .„ Zu behaupten, man baue für die menschen, heißt nicht immer, dass man es auch schafft“, versucht Reinhard Seiß die gegenwärti­ge Situation zu erklären. Architekto­nische Selbstverw­irklichung­unddienstl­eistungamb­ewohnerstü­ndenebenof­timwidersp­ruch. Mit seiner Pionierarb­eit im städtische­n Wohnbau hat Glück ein urbanes Konzept entwickelt, das durch bandstifte­nde Möglichkei­ten und breite Grünfläche­n nicht nur Raum zum Wohnen, sondern zum Leben schafft. Den Wohnbau sah er als die weitaus wichtigste Bauaufgabe an. „Der Großteil der Menschen wohnt nicht, sondern lebt in Unterkünft­en. Diese Distanz zu verringern war und ist ein Anliegen“, sagte Glück selbst dazu. Die über 50 von ihm geplanten Schwimmbäd­er auf den Dächern seiner Wohnanlage­n haben sicherlich ihren Teil dazu beigetrage­n.

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