Auf den Schnitt kommt es an
Wohnbedürfnisse ändern sich im Lauf der Zeit. Wie sieht der ideale Grundriss aus?
Darf man es sich aussuchen, plant man den verfügbaren Wohnraum effizient und nahe an die Bedürfnisse der Bewohner angepasst. Doch wie sieht der ideale Grundriss überhaupt aus?
» Regt sich in uns ein Bedürfnis, ist dies meist ein Verlangen, ein Wunsch, der sich derart essenziell anfühlt, sodass man ihn meist nicht lange im Alltag unterdrücken kann. Und das Nichterfüllen dieses Bedürfnisses macht uns mindestens eines: unrund. Mag sich der Drang nach dem neuesten Modeteil, dem Schokocroissant oder der Reise in ferne Länder dringend anfühlen, so ist das „dringende Wohnbedürfnis“eine offizielle Bezeichnung aus dem Mietrecht. Dieses tritt für Mieter in Kraft, wenn sie auf die Wohnung „angewiesen“sind, wenn die Eltern verstorben sind, wenn die Ehe ein unschönes Ende nahm »
oder es ist eben nicht gegeben, wenn der Mieter die Wohnung leer stehen lässt und mehrere Wohnsitze als Ausweichquartiere besitzt.
Da knapp 45 Prozent der Österreicher keineZweit-odersogarDrittwohnungen besitzen, erhöht sich für sie die Bedeutung ihres Eigenheims umso mehr. Es gilt also, das Optimum aus den vier Wänden herauszuholen was Kostenminimierung und Wohlfühlmaximierung betrifft. Diese Entscheidungen stehen und fallen mit dem Grundriss der Wohnung schon lange vor dem Kistenschleppen. Die Draufsicht auf die räumliche Aufteilung entscheidet oft schon auf den ersten Blick, ob die Wohnung überhaupt infrage kommt, denn der Grundriss ist das Fundament für ein Ja oder Nein. Entspricht dieser nicht den Anforderungen und Bedürfnissen der Bewohner, wird der Rückzugsort bald zum tagtäglichen Nervtöter.
GEBORGENHEIT. Auf dem Weg zur Spitze der Maslowschen Bedürfnispyramide, der Selbstverwirklichung, fällt Wohnen in die Basis unserer physiologischen Grundbedürfnisse. Im Laufe eines Lebens kann sich jedoch auch die äußere Gestalt dieses Bedürfnisses verändern: Aus dem WG-Zimmer wird die erste gemeinsame Wohnung, wird der Arbeitsraum, wird das erste und das zweite Kinderzimmer. Um den steten Wandel der Bedürfnisse eines Menschen zu illustrieren, begleitet uns durch diesen Artikel ein fik- tives Pärchen, das genau 100 Quadratmeter Wohnfläche zur Verfügung hat. Und deren Wohnungsgrundriss wächst das gesamte Leben mit. Entworfen hat das sich stets wandelnde Szenario Verena Mörkl, Architektin und Geschäftsführerin vom Architekturbüro Superblock in Wien: Die Wahl und die Gestaltung der eigenen vier Wände hänge „sehr stark von der Persönlichkeit der Bewohner ab und reicht vom extrovertierten Präsentationsraum bis zum geborgenen Rückzugsbereich – sehr oft auch in Kombination.“Ein Single mit einem großen Einkommen, der sportlich aktiv ist und sich für Kunst interessiert, wird zu einer Wohnung mit 60 Quadratmetern oder mehr tendieren, keine Türen haben wollen (denn: vor wem soll er sie schließen?) und viele hohe Wände, um seine Gemälde zu platzieren. Eine räumliche Aufteilung auf zwei Stockwerke mit Stiegen wird ihm nichts ausmachen, dem Seniorenpärchen hingegen wird dafür jede Stufe zur täglichen Hürde und wenn die Enkel zur Pyjama-Party zu Besuch kommen, wollen sie ihre Schlafzimmertür auch gerne einmal schließen können. »
WOHNUNGSBÖRSERL. Neben den individuellen Bedürfnissen spielt auch das Budget eine große Rolle in der Gestaltung oder Wahl eines Eigenheims. „Es macht einen großen Unterschied, ob man für eine alleinstehende Investmentbankerin plant, oder die gleiche Wohnung für eine sechsköpfige Familie eines Alleinverdieners“, konstatiert Mörkl. Um für ihre Kunden die perfekten Eigenheime zu planen, braucht die Architektin vor allem eines: „Viele und lange Gespräche!“In diesen Gesprächen geht es vordergründig darum, den Kunden ihre eigenen „Wohngewohnheiten bewusst zu machen und sehr persönliche Vorlieben und Abneigungen“herauszufinden. Stehen diese fest, plant der Architekt noch die effizienteste Nutzung des verfügbaren Lichtes und schon ist der erste Grundriss, zwar noch nicht auf Grund und Boden, aber auf Papier gebracht. »
SPIELRAUM. So sehr wie sich die individuellen Bedürfnisse von Mietern oder Hausbesitzern unterscheiden können, so sehr können diese auch von sozialen Gefügen beeinflusst sein. Am Beispiel der Küche sieht man: Aus der zentralen Herdstelle, die vor allem auch zum Heizen wichtig war, wurde in der Nachkriegszeit die abgeschlossene Arbeitsküche. Heute sind Küchen im Grundriss tendenziell mit mehr Quadratmetern eingeplant als noch vor 50 Jahren, da sie oft auch zum Verweilen gedacht sind. Das beste Beispiel hierfür ist Architektin Verena Mörkl selbst: „Wirhaben keinen Fernseher und daher auch nicht das Bedürfnis nach einer klassischen Wohnlandschaft. Unser familiärer Treffpunkt ist ein großer Esstisch und eine gemütliche Küche, dort steht dann auch das Sofa.“Das klassische Wohnzimmer, das sich aus dem Salon zur guten Stube entwickelt hat, das heute nur mehr zum abendlichen Fernsehen genutzt wird, hat bei diesem Grundriss nur mehr wenig Platz.
Vor jedem Umzug gilt also, sich selbst zu fragen: Was mag ich und was mag ich nicht? Wofür brauche ich Platz und worauf kann ich verzichten?
PERSÖNLICHE NOTE. Ist die Raumaufteilung erst einmal unter Dach und Fach, empfiehlt Mörkl vor allem eines: „Nicht gleich zu Beginn alles fertig einrichten und bis ins letzte Detail gestalten. Man braucht eine gewisse Zeit, bis man sich an die Wohnung oder das Haus gewöhnt hat.“Mit dem passenden Grundriss stehen dann jeglichem Gestaltungsspielraum Tür und Tor offen. «