Kurier Magazine - Routen fur Geniesser
REIF FÜR DIE INSEL
Elbas felsige Buchten, lange Sandstrände, Weinberge und Olivenhaine sorgen für großes Italien-Feeling im Kleinen.
Haken wir’s gleich zu Beginn ab, das Napoleon-Thema. Um den Kaiser der Franzosen wird auf Elba nämlich noch heute ein ordentliches Remmidemmi gemacht. Es gibt ihm gewidmete Museen, ein Mineralwasser, zahlreiche Hotels und Cafés – und sie alle versuchen, den Aufenthalt Napoleons touristisch auszuschlachten. Das ist insofern erstaunlich, als der Ex-Kaiser in den zehn Monaten seiner Anwesenheit offenbar nichts dringender wollte, als Elba zu verlassen – keine tolle Werbung aus dieser Perspektive. Andererseits, wenn man Gefallen am Thema Weltherrschaft gefunden hat, kann einem dieses Inselchen im toskanischen Archipel schon zu klein werden. Für uns ist Elba hingegen genau richtig. Die Insel ist einerseits groß genug für eine breite Vielfalt an Landschaften und Straßentypen, andererseits so intim, dass man sich nicht monatelang auf eine Reise vorbereiten muss. Außerdem ist man auf verschiedenste Weise rasch hier und profitiert von einem Klimabonus, den man schon in der Römerzeit kannte: Im Sommer ist es nicht so heiß wie am Festland, im Winter nicht so kalt. Ein schneller Einschub an Zahlen gibt eine konkretere Idee der Dimensionen: Elba liegt rund 9 Kilometer von der Küste der Toskana entfernt und wird von mehreren Fährunternehmen in einer knappen Stunde Transferzeit angebunden. Von Ost nach West misst die Insel knapp 30, von Nord nach Süd knapp 20 Kilometer. Die Küstenlinie beträgt 147 Kilometer, die Einwohnerzahl 30.000. Im Sommer wird sie durch Touristen mehr als verdoppelt. Italien mag Italien sein, aber eine Insel ist eine Insel. Es ist einfach etwas Besonderes, wenn man von der Fähre herunterrollt, nachdem man sich zuvor schon an Deck die Augen aus dem
Kopf gestarrt und die ersten Highlights erspäht hat: dunkelgrüne Hügelflanken, kleine Buchten, Strände und obendrauf, als Kirsche auf der Landschaftstorte, die Ruinenfestung Volterraio. Dann kommt Portoferraio ins Bild, ein natürlicher Hafen, den vor den Römern schon die Etrusker genutzt haben. Die imposanten Festungsanlagen stammen aus dem 16. Jahrhundert, als man die ständigen Piratenüberfälle satt hatte. Danach war in dieser Hinsicht Ruhe. Jetzt wirkt die Festung wie hingemalt, fast kitschig, und wie das so ist auf Inseln, merkt man plötzlich: Der Alltag mit all seinen Problemchen hat offenbar kein Fährticket gelöst, sondern ist auf dem Festland zurückgeblieben. Urlaub! Der beginnt hier mit kleinem, städtischem Trubel: Portoferraio ist nicht nur das politische, sondern auch das geschäftliche Herz der Insel. Hier findet man den größten Hafen und den Sitz der wichtigsten Verwaltungsbehörden. Ein Rundgang ist Pflicht und Lust zugleich: Die kleinen Gassen öffnen sich überraschend zu lauschigen, romantischen Plätzen.
J etzt aber ab ins erste Hotel, nach Porto Azzurro. Das kurze InselCrossing führt durch eine flache, fruchtbare Ebene im Herzen der Insel, die für Wein- und Olivenanbau genützt wird. Dank der leichten Hügelkuppen versetzt sie einen gedanklich in die Toskana; den schönsten Ausblick hat man vom kleinen, sauber renovierten Kirchlein San Stefano. Geschmackssache, klar, aber für uns ist Porto Azzurro neben Portoferraio das hübscheste Örtchen der Insel. Das war nicht immer so. Porto Azzurro hieß nämlich bis 1947 Porto Longone und war eher unhip. Grund dafür: eine Strafanstalt, die noch heute im Forte Longone betrieben wird. Damals war der Ausdruck „Pass auf, sonst kommst du nach Porto Longone!“in Italien ein Synonym für Handschellen und Fußfesseln. Wer will hier schon Urlaub machen? Niemand. Also benannte man den Ort kurzerhand ins schlagermäßig klingende Porto Azzurro um und siehe da: Jetzt brummt’s. Porto Azzurro ist auch das Tor zur Halbinsel Calamita, dem Finger, der unten rechts ins Meer ragt. Hier befand sich vor einem halben Jahrhundert die Hochburg des Erzabbaus. El- ba ist nämlich reich an Mineralien, vor allem an Eisenerz. Die Hochöfen in der Hauptstadt wurden allerdings (zum Glück) im Zweiten Weltkrieg zerstört und das Schürfen zahlt sich auch schon lange nicht mehr aus. Die Folge davon ist, dass die Halbinsel Calamita heute zu den ruhigsten Flecken der Insel zählt. Und weil hier rund um die höchste Erhebung, den Monte Calamita, eine Vielzahl an herrlichen Schotterstraßen zu finden ist, gilt diese Region auch als Mekka der Endurofahrer und Mountainbiker.
Zurück auf den Asphalt, denn auch hier gibt’s genügend lustige Kurven. Das bringt uns kurz zu unserer KTM EXC-F 350. Bekanntlich würde man das Modell nicht unter die Top Ten der Reisemotorräder reihen (und natürlich sind wir nicht auf Achse damit hierher gefahren), aber auf Elba selbst ist das zierliche Ding in seinem Element. Hier gibt’s ja kaum einen Meter, der in gerader Richtung verläuft, und somit auch keinerlei Highspeed-Passagen. Für die verwinkelten Etappen über die Berge und den streckenweise miserablen Asphalt ist das Leichtgewicht aber wie geschaffen. Bei einer Erkundung des Südens ist die erste Anlaufstation der größte Sandstrand der Insel bei Lacona, eine echte Augenweide und außerhalb der Saison völlig menschenleer. Über den Passo di Monumento sind wir flugs in Marina di Campo; von hier sieht man auch den alles überragenden Gipfel der westlichen Inselhälfte: den 1019 Meter hohen Monte Capanne. Und so stellt sich die Frage: Sollen wir ihn bezwingen oder umrunden?
Wir entscheiden uns für beides und beginnen mit der Umrundung. Die Küstenstraße über Seccheto und Fetovaia sollte man nämlich keinesfalls auslassen. Hier zeigt sich Elba so, wie man sich das in der Fantasie ausgemalt hat: wilder, romantischer, ungestümer. Die Flanken des Capanne fallen mit Bestimmtheit hinab und zwingen der Küstenstraße anmutige Kurven auf, die mit einem angenehmen Asphaltband gedeckt und entsprechend forsch zu befahren sind. Auch die Vegetation wird hier von zäheren Burschen bestimmt: Ohrwaschelkakteen, Zistrosen und die geliebten Gewürze
wie Rosmarin und Thymian gedeihen hier auf dem sonnigen, aber felsigen Terrain. An der Westflanke wird’s noch karger. Hier brausen die Winde heftig heran und machen den tapfersten Pflänzchen den Garaus. Sobald man den Nordwesten erreicht hat, tänzelt die Natur wieder ins Mollige. Und schon findet man auch wieder ein paar Buchten, die man zur Kontemplation ansteuern kann. Solchermaßen erfrischt muss nun der Monte Capanne fallen. Munter plätschert die Straße bergauf Richtung Marciana und die KTM singt ihr Lied so befreit, dass die Wildschweine flüchten. Die Borstenviecher sind hier auf Elba übrigens gern gesehene Gäste auf der Speisekarte und eine schöne Abwechslung zu den Fischen und Meeresfrüchten, die von den Fischern jeden Morgen angelandet werden.
Ganz hinauf auf den Capanne führt die Straße nicht; wer den Ausblick vom mächtigen Tausender genießen will, muss entweder den Wanderstock schwingen oder mit der Seilbahn ab Marciana hinauffahren. Wir pfeifen auf beides und knattern weiter an der Flanke des Berges entlang. Toller Aussichtspunkt ist der Torre di San Giovanni an der Ostseite. Von hier blickt man weit über Marina di Campo hinweg, sogar über den Golf bis zur Calamita-Halbinsel. Flugs ist schon fast die ganze Insel erobert. Ein Teil fehlt aber noch: der Finger, der sich am nordöstlichen Ende ins Meer streckt. Die schönste Strecke führt vom malerisch am Hügel kauernden Rio nell’Elba über den Bergkamm zurück nach Westen. Auf dem höchsten Punkt thront die Ruinenfestung Volterraio, die wir schon bei unserer Ankunft von der Fähre aus gesehen haben; und ein paar Meter weiter genießt man im goldenen Licht der späten Sonne einen herrlichen Weitblick über das Land, das Meer und das elegante Portoferraio in der Ferne. Von dort wird irgendwann wieder unsere Fähre aufbrechen.Irgendwann – aber nicht heute.