Kurier Magazine - Tennis

MÄRCHEN? EHER THEATER!

Deutschlan­ds bester Tennisspie­ler blickt auf ein Jahr mit vielen Turbulenze­n und wenigen Höhepunkte­n zurück. Alexander Zverev will im nächsten Jahr die Dramaturgi­e umschreibe­n und wieder eine klare Linie finden.

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» Es war der falscheste Moment, um noch einmal von den Dämonen der Vergangenh­eit gepiesackt zu werden. Alexander Zverev lag 5:6 im ersten Akt des Wm-halbfinale­s gegen Dominic Thiem zurück, er hatte einen Satzball gegen sich, er machte sich zu seinem zweiten Aufschlag bereit. Und dann passierte, was so oft in dunkleren Phasen dieser verwirrend­en, verworrene­n, oft auch verstörend­en Saison passiert war. Zverevs Nerven versagten, er schlug – sichtlich zaudernd und zögernd – einen Doppelfehl­er, der erste Satz warverlore­n. Undwenigsp­äter war dann auch alles vorbei, die Hoffnung auf einen erneuten Überraschu­ngscoup beim Saisonabsc­hluss der acht Besten, der Traum von einer Titelverte­idigung und einem sehr versöhnlic­hen Serienende im Jahr 2019. „Dieses Jahr war nicht das beste für mich“, sagtezvere­vspäter, nachseiner 5:7-3:6-Niederlage gegen Thiem.

Zverevs Ende bei diesem Championat war symbolisch aufgeladen, denn es spiegelte ziemlich exakt eine Spielzeit wider, in der der 22-jährige Hamburger zu oft an eigenen Problemen laborierte und nicht wirklich eine Bedrohung für die anderen Elitespiel­er darstellte. Zverevs Berg-und-talfahrt ging bis auf die Zielgerade weiter, bis zur Weltmeiste­rschaft in Londons O2-arena – zwei Siege, zwei Niederlage­n, zwei starke Auftritte, zwei eher durchwachs­ene

SYMBOLISCH.

Vorstellun­gen. Eswarnicht­bitterentt­äuschend, aber es war auch nicht gut genug, um mit den sogenannte­n Momentum-spielern der Branche mitzuhalte­n – mitdenbril­lantauftru­mpfenden Endspielri­valen Thiem und Stefanos Tsitsipas. Das Ende des Jahres sei dennoch alles in allem „ganz gut“gewesen, befand Zverev, darauf könneer für die Saison 2020 aufbauen. Allerdings hat Zverev in den letzten Monaten Terrain verloren im Machtspiel rund umdentenni­sgipfel. Nicht unbedingt, weil er selbst dramatisch an Niveau eingebüßt hätte abseits seinernerv­enschwäche. Sondernwei­ldie Konkurrenz aufgeholt hat, besser und besser gewordenis­t– währender, Zverev, eben gerade den Punch bei den sogenannte­n „Big Points“verloren hat. In vielen kritischen, kniffligen, wirklich entscheide­nden Situatione­n fehlte ihm die zupackende Attitüde, die souveräne Haltung und Ausstrahlu­ng, um sich gegen seine hochkaräti­gen Gegner durchzuset­zen. Das ganze Kulissenth­eater im Team Zverev – die Auseinande­rsetzungen mit dem Ex-manager Patricio Apey, das Gerangel zwischen Supercoach

Ivan Lendl und Trainervat­er Alexander Zverev senior – schlug direkt auf Zverevs Psyche: 385 Doppelfehl­er addierte der Hamburger bis zu jenem Samstagabe­nd auf, bis zu seinem traurigen Abgang aus dem Veranstalt­ungspalast imlondoner Osten. 2018 waren es lediglich 210 gewesen bis zum Triumphzug in der O2-arena. Oft produziert­e Zverev in in den letzten Monaten zehn und mehr Doppelfehl­er in einzelnen Partien, beim Masters in Cincinnati im Sommer schrammte er mit 20 Doppelfehl­ern nurhaarsch­arfamewige­natp-negativrek­ord vorbei (23).

Zverev lebte noch einmal auf, im Herbst, nach seinem Auftritt beim Schauturni­er Laver Cup. Aber trotz einer leicht aufpoliert­en Matchbilan­z im Endspurt bleibt nun die Frage, mit welchem Personal der 22-jährige die nicht leichter werdenden Herausford­erungen der kommenden Saison bewältigen will. Als Lendl sich aus dem Team Zverev verabschie­dete, lag es nahe, erst einmal zum Status quo zurückzuke­hren, zur Betreuung durch Vater Alexander. Undnun, schlägt jetzt dochdiestu­nde für die oft und gern herbeispek­ulierte Zusammenar­beit von Zverev und Boris Becker? Es gäbe tatsächlic­h kaum einen besseren Moment für den Tennis-kanzler, um seinen vielverspr­echendsten Erben noch etwas tatkräftig­er zu

AUFGELEBT.

unterstütz­en. Denn wenn nicht alles täuscht, steht 2020 die Hierarchie im Welttennis tatsächlic­h auf dem Prüfstand. Und Zverev muss aufpassen, um mit den ebenfalls gegen die alten Herren anstürmend­en Kollegen wie Thiem, Tsitsipas oder Daniil Medwedew und Matteo Berrettini Schritt zu halten. Anfang 2020 wolle man sich unterhalte­n, hieß es in London von Zverev, als er auf eine möglicheli­aison mit Becker angesproch­en wurde.

Denkbar, dass bis dahin auch Becker Klarheit schaffen will, welche Aufgaben und Positionen er überhaupt übernehmen kann.

Zverevs Saison war offiziell beendet, ohne schon vorbei zu sein. Am17. Novemberfl­ogermitrog­er Federer, der ebenfalls im WMHalbfina­le ausgeschie­den war, Richtung Südamerika, wo vier Schaukämpf­e des Duos in Chile, Kolum

NACHSPIEL.

bien, Mexiko und Ecuador auf dem Programm standen. Die Pause wird sogar nochkürzer­als geplant sein, weil Zverev sich einer Augenopera­tion in Newyork unterziehe­n muss – seit geraumer Zeit machtihmei­neschwerer­e Form der Hornhautve­rkrümmung (Astigmatis­mus) zu schaffen, sie behindert ihn vor allem, wenn er Kontaktlin­sen trägt. Zumindest medizinisc­h könnte der Deutsche danach die Welt wieder klarer sehen. «

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