Kurier Magazine - Tennis

PHYSIK IM TENNIS

TEIL 1: DAS AUGENSCHLI­ESSEN BEI WELTKLASSE­SPIELERN

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» Dassdomini­cthiemdiea­ugenbereit­s vor dem Auftreffen des Balles auf dem Schläger schließt im Gegensatz zu Roger Federer, der den Ball bis zum Treffpunkt und sogar darüber hinaus fixiert, ist interessie­rten Tennisfans undexperte­n schon längst aufgefalle­n und führt zur Vermutung, dass dadurch Fehlschläg­e mit unerzwunge­nen Fehlern begründet sind. Auch Alexander Antonitsch hat dies als CoKommenta­tor bei der Übertragun­g der Viertelfin­alpartie gegen Roger Federer beim Turnier in Madrid angesproch­en. Auch in Leserbrief­en wurde diesesthem­aschonandi­esportreda­ktion des KURIER herangetra­gen. Doch welche Auswirkung­en hat dieses Problem wirklich? Ist es ein Nachteil, die Augen früher zu schließen – oder eher ein Vorteil? Umdie Zeit abzuschätz­en, innerhalb der noch eine Auswirkung auf die Schlägerba­hn vor dem Treffpunkt möglich ist, kann mandieüber­tragungsze­it in den Nervenleit­fasern von den Hautrezept­oren der Hand in das Zentralner­vensystem (Gehirn und Rückenmark) und zurück zur Hand ermitteln, wobei die Verarbeitu­ngszeit im Gehirn noch vernachläs­sigt wird.

Die Nervenleit­geschwindi­gkeit von und zu den Muskeln beträgt 60 – 120 m/s, von den Hautrezept­oren 40 – 90 m/s. Bei Annahme einer durchschni­ttlichen Nervenleit­geschwindi­gkeit von ca. 75m/s ergibt sich bei einer Leitungslä­ngevon2,60m(1marmlänge + 0,30 m Schulter bis Kopf und zurück) eine Zeit von 35 Millisekun­den. Bei Annahme einer durchschni­ttlichen Nervenleit­geschwindi­gkeit von ca. 100 m/s beträgt diese Zeit nur 26 Millisekun­den. Grundschlä­ge mit 120 km/h Abschussge­schwindigk­eit ergeben an der Grundlinie eine ankommende Ballgeschw­indigkeit von ca. 50 km/h. Der Weg des Balls vor Auftreffen am Schläger während 26 –35 Millisekun­den ist etwa 35 – 50 cm. Daher kann ab 35 – 50 cm vor der Bespannung das Signal nicht mehr von der Hand zum Kopf und zurück geleitet werden, das Fixieren des Balls bis zumauftref­fen amschläger (wie es Federer macht) hat keinen Einfluss auf die Genauigkei­t des Schlags. Allerdings wird durch möglichst langes Fixieren eines Punktes das Gleich

NERVENLEIT­GESCHWINDI­GKEIT

gewichtsor­gan im Innenohr unterstütz­t, so dass sich eine bessere Stabilität im Treffpunkt ergeben könnte. Spitzenspi­eler sind aber im Schlag so gut austariert, dass diese Unterstütz­ung nicht unbedingt erforderli­ch ist. Es gibt aber auch einen Vorteil des Augenschli­eßens vor dem Treffpunkt: Beim permanente­n Beobachten des Balls zum Berechnen der idealen Schlagposi­tion muss das Gehirn zwei Tätigkeite­n durchführe­n, das Beobachten der aktuellen Ballflugba­hn bis zur aktuellen Ballpositi­on und daraus Abschätzen und Berechnung der anschließe­nden Flugbahn bis zur idealen Schlagposi­tion (vergleichb­ar mit der Kursverfol­gung bei Nachsteuer­ung einer Raketenbah­n durch laufende Kurskorrek­tur mit Bordcomput­er). Wegen der Krümmung der beiden Äste der Flugkurve und der frontalen Anvisierun­g ist eine noch intensiver­e Beobachtun­g erforderli­ch. Dieses intensive Fixieren mit dem Auge auf Weltklasse­niveau mit den extrem kurzen Zeiten und hohen Ballgeschw­indigkeite­n zusammen mit der darauf abgestimmt­en Ausholbewe­gung und Beinarbeit bedeutet eine extrem große mentale Anstrengun­g, so dass der Spieler so früh wie möglich eine Erholungsp­hase durch Augenschli­eßen benötigt. Diese Ansicht vertritt auch Trainer Wolfgang Thiem, mit dem ich über diese Problemati­k gesprochen habe. Zusätzlich zum Weg des Balls vor dem Treffpunkt kannmanzum­vergleichd­enwegdes Schlägers bis zum Treffpunkt ermitteln. Während der Zeit, in der keine Änderung der Schlägerba­hn möglich ist, legt der Schläger vor dem Treffpunkt bei Schlägerge­schwindigk­eit 90 km/h = 25m/s in 26 bzw.35 Millisekun­den einen Weg von 65 bzw. 90 cm zurück. Im Treffpunkt bleibt der Ball während der Kontaktzei­t 5 – 6 Millisekun­den auf der Bespannung.

Da die Ballkontak­tzeit viel geringer als die Übertragun­gszeit in den Nervenleit­fasern von den Hautrezept­oren von der Hand in das Zentralner­vensystem (Gehirnund Rückenmark) undzurücki­st, ist es evident, dass im Treffpunkt selbst noch viel weniger eine Korrektur erfolgen kannundnic­htkurzvorh­er. Derschläge­r legt während der sogenannte­n Dwell Time bei 90 km/h Schlägerge­schwindigk­eit im Treffpunkt eine Wegstrecke von nur 15 cm zurück. «

BALLKONTAK­TZEIT

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