RASEND IN KREMSMÜNSTER
» Kleinod ist der treffende Begriff für die Anlage in Kremsmünster. Ein wenig versteckt liegt der Aktivpark Stadlhuber am Rande der Landstraße, der kleine Parkplatz neben der Linkskurve kann selbst bei Tageslicht leicht übersehen werden. Betritt man aber das Areal, so erstreckt sich bergab, quasi zu seinen Füßen, ein kleines, feines Tenniszentrum. Vielleicht nicht den Ansprüchen moderner BoutiqueHotels gerecht werdend, versprüht es den Charme der 1970er- und 1980erJahre, bietet gestressten Menschen mit Sport und Landschaft aber ein ideales Idyll zur Entschleunigung. Der Swimmingpool ist noch nicht eingelassen, die Sandplätze sind bereit für den finalen Schliff, die zwei Rasenplätze weiter links unten sind brettleben gewalzt und wie mit der Nagelschere gestutzt. Auf 4,3 Millimeter. Auf dem Weg dorthin geht es über eine kleine Brücke über einen Bach und an einer Pferdekoppel vorbei, ehe man endlich einen Hauch von Wimbledon inhalieren kann. Es ist ein Wochenende Anfang Juni, die Sonne kündigt mit ihrer Kraft den bevorstehenden Sommer an. Wer die freiliegende Haut nicht mit einer Cremeschützt, wird an diesem Tag als Indianer-häuptling den Platz verlassen. Eine Gruppe von sechs Tennis-freaks hat sich einquartiert in das MiniWimbledon in Oberösterreich, die zwei Rasenfelder gehören ihnen ganz allein. Zwei der Racket-artisten müssen wegen Verletzungen gleich vorab passen– warumsollesdenhobbyspielern nicht wie den Profis ergehen währendeineratp-saison? Siewerdendafürdenschiedsrichtergeben, Outbälle anzeigen und unqualifizierte Kommentare zum durchwachsenen Spiel der anderen abgeben. Quiet, please! Niki sieht man den Federer-fan auf den ersten Blick an, elegant – und vor allem weiß – die Kleidung, dazu ein Stirnband Marke „Maestro“. Leichtfüßig die Bewegungen, butterweich die Volleys, nur die Rückhand kann mit jener von Federer nicht ganz mithalten an diesem Tag. Im Jahr »
Siewollenwimbledon-feelinginösterreich? Siewollenüberdenrasenschweben wie Roger Federer? Sie wollen nach einer gekonnten Becker-rolle butterweich auf dem saftigen Grün landen? Willkommen in Oberösterreich.
zuvor endete für den Hobbyspieler ein intensiv geführtes Doppel im Unfallkrankenhaus Wels. Einen wunderbaren Lob seines Bruders wollte er unbedingt erreichen, bohrte sich aber bei dem aussichtslosen Versuch mit der Schulter in den heiligen Rasen von Kremsmünster. Die sechsmonatige Pause merkt man ihm jetzt aber nicht mehr an. Der Sieg bei den stets ernst geführten Jux-spielen führt einmal mehr über ihn. Martin wiederum punktet mit seinem Aufschlag und der gepeitschten Vorhand, spricht bei Fehlern gerne mit sich selbst oder aber auch mit dem Gegner, den er so aus dem Konzept bringen möchte. Ein Freundschaftsspiel? Mitnichten. Irgendwann werden sie alle rasend auf dem saftigen Grün. Brad Gilbert („Winning ugly“) lässt herzlich grüßen. Christian kam am Vorabend direkt aus einem Tennis-trainingslager in Kroatien, seine körperlichemüdigkeit(„ichbinfürchterlich überspielt“) versucht er mit seinem Feingefühl im Händchen auszugleichen. Die „geschnipselte“Rückhand gräbt sich praktisch in den Rasen ein, der Gegner muss beim Schlag in die Knie gehen, bis die Sehnen quietschen. Slice me nice!
Dasgeschehen bleibt nicht unbeobachtet. Gottfried Stadlhuber, der Besitzer des Aktivparks, schlüpft in die Rolle des Kiebitzes, nickt bei manchen Ballwechseln anerkennend, bei Fehlern schüttelt er lächelnd den Kopf. Demvierten Spieler imbundeattestiert er gar nicht wohlmeinend, aber durchaus zu Recht einen „Damen-aufschlag“. Seit mehr als zwei Jahrzehnten hegt und pflegt Stadlhuber, einst selbst ein guter Spieler und Senioren-landesmeister (zu
DERRASEN-FLÜSTERER.
später Stunde soll er gesagt haben: „Ich habe am Grand Slam gekratzt“), seine Rasenplätze. Den Samen erhielt er sogar tatsächlich aus Wimbledon. „Jeder hat gesagt: Das geht in Österreich nicht“, erinnert er sich heute an die damaligen Zweifel. Dabei sieht er im Rasentennis die ursprünglichste Form des Racketschwingens und kämpft vehement gegen diverse Vorurteile. „Eintennislehrer, dernochnie auf Rasen gespielt hat, ist wie ein Skilehrer ohne Slalomerfahrung.“Daher versteht er nicht wirklich, warumdieverbändenichtdiejungentalente scharenweise zu ihm schicken, weil seiner Meinung nach Rasentennis zu einer allumfassenden Ausbildung gehört. Die Leute, sagt Stadhluber, hätten durch Wimbledonaucheinfalsches Bild vom Spiel auf Rasen. Das oftmals nervige Aufschlag-volley ohneechteballwechselschrecktwomög
lich viele Interessenten ab. Dabei hat man beim gemütlichen Schlagabtausch viel mehr Zeit als sonst. „Es gibt nichts Vergleichbares. In der Natur sein, das Weiche unter den Füßen spüren, das natürliche Grün, mit einem Ball auf Rasen spielen – das ist etwas ganz Besonderes.“
Stadlhuberempfiehlt Anfängern und Hobbyspielern sogar Einheiten auf Rasen. Warum? „Weil man gezwungen ist, technisch richtig vor dem Körper zu schlagen. Die Grundtechniken werden auf Rasen perfekt vermittelt.“Erstaunlich, wie weit der Schlägerkopf bei der Grundhaltung nach unten zeigen muss, damitmanschnellaufdieflachwegspringendenbällereagierenkann. Auchdie Profis nahmenbeiihmvordemgroßen Auftritt in Wimbledon regelmäßig Schwung auf, eine Schett, eine Paulus,
STARSZUGAST.
eine Wiesner beispielsweise. Anfang Juni 2019 gab sich der Herr Gottfried kryptisch. Einer der Top-spieler will vor Wimbledon anreisen und die ganze Anlage für sich reservieren. Namen könne er freilich keinen nennen. Quellenschutz! Wochen später musste er auf Nachfrage kleinlaut zugeben: Der Superstar hatte im letzten Moment umdisponiert. Generell hat Kremsmünstervonapril bis Oktober Rasensaison, das Wetter gibt den Terminplan vor. Täglich muss sich Stadlhuber um seine Plätze kümmern, er spricht von Liebhaberei. „Nicht umsonst sind wir einzigartig in Österreich.“Das alles muss man sich einmalantun. Wiegernehätteereinen Sponsor, der ihm alles ohne viel Kopfweh ermöglichen würde. Ein Tennistagaufrasenbeginntnichtvor10oder 11 Uhr. „Weil meistens noch der Tau auf den Grashalmen hängt. Erst wenn der Rasen trocken ist, kann man gut spielen.“Dafür endet der Tag mit Einbruch der Dunkelheit. Die Plätze halten durchaus einiges anbelastung aus, ein paar Tage, weißstadlhuber, könne man durchspielen, ehe das Grün eine kleine Atem-pause benötigt. Auchdenklimawandelkanneranseinen Plätzen noch nicht ausmachen. „Sie liegen ja in unmittelbarer Nähe des Flusses, daher haben wir eine natürliche Feuchtigkeit.“Stadlhuber hat für 2020 seinen persönlichen Traum: „Für Dominic Thiem wäre es nicht schlecht, wenn er sich hier auf Wimbledon vorbereitet.“Österreichs Nummer 1 könnte mit seinem Team absolute Exklusivität genießen. „Er soll sich nur einen guten Aufschläger mitnehmen, der mit über 200 km/h serviert.“Und die 80 Euro pro Stunde wird er sich leisten können.