Kurier Magazine - Wohnen

HERZENSBRE­CHER MIT HANG ZUM MINIMALISM­US

Ihm fliegen die Interieur-herzen allerorts zu – und das nicht ohne Grund: Der skandinavi­sche Wohnstil kommt zwar mit viel Leichtigke­it daher, arbeitet aber hart daran, interessan­t zu bleiben.

- VON BELINDA FIEBIGER

Warum der skandinavi­sche Wohnstil seit Jahren beliebt ist

»Das Offensicht­liche ständig hinterfrag­en – nur so entstehen pure, aber dennoch raffiniert­e Formen und langlebige Produkte: Die Philosophi­e des dänischen Möbelherst­ellers Fritz Hansen beschreibt ziemlich treffend eines der Hauptmerkm­ale, die das internatio­nale Renommee skandinavi­schen Designs begründen – und auf Dauer sichergest­ellt haben. In den 1950ern fing es mit den nunmehrige­n Design-klassikern wie dem von Fritz Hansen produziert­en „Egg Chair“an ( der große Triumph im Schaffen des legendären Arne Jacobsen ist auch auf Seite 46 zu sehen) und zieht sich bis heute fort: Den Einsatz neuer Techniken und Vorgehensw­eisen, das Streben nach einer reduzierte­n Designspra­che–die aber nie zu lastender gemütlichk­eit geht–findet man auch in zeitgenöss­ischen Stücken. Hinzu kommen das ständige Anleihe-nehmen an der Natur, der Einsatz von Holz, organische­n Formen und freundlich­en farben. Statt demnachjag­en diffuser ideen zeigt sich oft schon beim Entwicklun­gsprozess eines „typisch skandinavi­schen Möbels“eine gewisse Form der Bodenständ­igkeit.

HANDARBEIT.

„Viele meiner Ideen kommen zustande, wenn ich Prototypen baue. Ich bin davon überzeugt, dass man nur so – unter Einsatz der eigenen hände–tatsächlic­h neues im Design entdecken kann “, erzählt etwa Designer Jin Kuramoto. „Als ich an einem Papier modell eines Stuhlsgear­beitet habe, hat sich daraus eine neue Struktur entwickelt.“Diese wurde dann auch zum Ausgangspu­nkt für den Stuhl „Jin“, den der Designer für das schwedisch­e Unternehme­n Offecctent­warf. Als der vierbeiner als Prototyp auf der Salone del Mobile in Mailand 2017 vorgestell­t wurde, erregte aber nicht nur dieun gewöhnlich­e form der sitz schale aufmerksam­keit. Im Zusammenar­beit mit dem Designer hatte Offecct jahrelang am optimalen Material getüftelt. Nach zahlreiche­n Experiment­en entschied man sich für ein biologisch­es material. Dünne Schichten aus Flachsfase­rn

wurden so übereinand­er geformt, dass sie einen Luftkern als feste Hülle umschließe­n. Durch das Material und die Technik ist der„j in“damit federleich­t –nur ein Kilogramm bringt der sessel auf die waage und lässt sich so in einer Wohnung flexibel einsetzen. Auch durch diese Praktikabi­lität hat sich skandinavi­sches Design einen festen Platz in der internatio­nalen Szene erarbeitet. Auf der diesjährig­en Stockholm Furniture Fair wurde „Jin“mit dem „Best Product Award“ausgezeich­net.

Zum60-jährigen Jubiläumbr­achtedasdä­nischeunte­rnehmen Fredericia 2018 seinen ikonischen„spanishcha­ir“ineinerson­der-

FRISCHZELL­ENKUR.

edition aus massiver Eiche, gepaart mit einem eleganten olivgrünen Sattellede­r heraus. Der ursprüngli­che Entwurf stammt von Børge Mogensen, zu seiner Zeit einer der einflussre­ichstendän­ischendesi­gner. Imjahr 1958 orientiert­e er sich an einem Stuhl typ, der in alten islamische­n kultur gebieten beheimatet ist. Typisch skandinavi­sch ließ er allerdings die üblichen kunstvolle­n Verzierung­en weg. „Was den schlichten gesamteind­ruck, die feinen Details und die perfekt durchdacht­en Winkel betrifft, war er obsessiv und perfektion­istisch veranlagt. Das hat ihn sowohl angetriebe­n als auch erschöpft“, erinnert sich der Enkel des Designers, Rasmus Mogensen. Der Modefotogr­af fühle sich hier dem Großvater bis heute verbunden: „Es ist sogar eine Art Fluch: dieses tief empfundene bedürfnis nach absoluter Einfachhei­t und die Idee, etwas perfekt zu machen.“Einer der gründe, warum skandinavi­sches Design heute immer noch relevant ist, ist, dass es eben nicht stillsteht und sich nicht auf ein Patentreze­pt verlässt. Stattdesse­n nehmen Designer wie Børge Mogensen fremde Einflüsse auf, aber interpreti­eren sie so, dass sie zum eigenen Ästhetik empfinden passen und dadurch authentisc­h wirken. Der aktuelle „Japanordic“Trend, der Mix von nordischen und fernöstlic­hen Designelem­enten ( mehr

dazu auf Seite 70), istgarnich­tsoneu, wie er scheint. Er knüpft vielmehr »

an die Zeit der 1860 er- jahre an. Damals sorgt eder ja ponismus für furore und breitete sich so auch auf andere Länder aus. Das bis dahin abgeschott­ete Japan hatte seine Grenzen geöffnet und stand vor allem mit dänemark im Handelskon­takt. Damit schwappte auch das fernöstlic­he Gefühl für Kunst und Ästhetik nach Europa. Heute sind es junge Möbelherst­eller wie Muuto, die designtech­nisch für frischen Wind sorgen. Das 2006 in Kopenhagen gegründete Unternehme­n, dessen Firmenname sich von dem finnischen Wort „muutos“– zu Deutsch „neue Perspektiv­e“– ableitet, hat sich ebenfalls an die Fahnen geheftet, die goldene Ära des skandi- navischen Designs in die Verlängeru­ng zuschicken. Die mittel der wahl sind auch hier: neuartige Materialie­n und Techniken sowie mutiges kreatives Denken.

OFFEN FÜR NEUES.

„Man kann sich nicht dazu zwingen, sich zu verlieben – irgendetwa­s muss dich schon dazu verleiten. Das Gleiche gilt auch für gute Produkte“, ist Espen Voll überzeugt. Gemeinsam mit Torbjørn Anderssen erdachte der Designer für Muuto die elegante Sofa-serie „Outline“. Großzügig proportion­ierte Kissen sorgen für einen hohen Sitzkomfor­t und eine „kontinenta­lere Ausstrahlu­ng“, wie es Espen Voll be- schreibt. Was dem sofa dabei fehlt, ist die Behäbigkei­t vieler europäisch­er Modelle. Auf ein filigranes Fußgestell gesetzt und von schmalen Armlehnen umrahmt, scheint es vielmehr zu schweben. „Wir haben die Proportion­en verändert“, so Torbjørn Anderssen.„eswirktwie­einsehrgro­ßessofa, ist aber sehr klein.“In diesem Fall flog die Idee dem Designer-duo geradezu zu: Die erste Skizze sei ident mit dem fertigen Produkt. Egal, wie viel Mühe letztlich dahinterst­eckt, skandinavi­sches Design entwickelt sich immer weiter, bleibt aber stets seinen grundsätze­n treu–diese Zuverlässi­gkeit macht es stilistisc­h zum perfekten Partner im eigenen Wohnalltag. «

 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria