DIE ZUTAT NATUR
Nachhaltigkeit, Regionalität und ihre Vorbildfunktion: Drei Spitzenköchemachen sichgedanken über ihre Materialien, Zutaten und dienatur der Menschen.
» 2014saßfernsehkochjohannlafer im Flugzeug auf dem Weg zu den Olympischen Winterspielen in Sotschi. Dort kochte er zum wiederholtenmalimösterreich-hausfürdie Athleten auf. Im Flieger kam er mit einem fast Namensvetter ins Gespräch. Johannes, Artmayr im Nachnamen, entpuppte sich sehr schnell als der Geschäftsführer von Strasser Steine, einer Firma aus dem oberösterreichischen St. Martin im Mühlkreis, die der größte Verarbeiter von Küchenarbeitsplatten aus Naturstein in Mitteleuropa ist. Prompt hatte sich Lafer neu verliebt – in Mühlviertler Monolith:„wasichinsotschigesehen habe, hat mich umgehauen – eine Wahnsinns-steininsel, alles Natur, ein einemillionenjahrealtesprodukt, das so elegantundmodernverarbeitet wurde. Das ist erotisches Feeling, wennich über diese Platte fasse, das ist einzigartig und da schlägt mein Herz höher.“10.000 Meter über dem Meeresspiegel werden schon einmal Rekorde gebrochen: Vier Jahrenach Sotschi kochen die Teilnehmer in der Lafer’schenkochschuletabled’orim Guldentalbeimainzaufdermitknapp sieben Metern weltweit längsten Kochinsel aus Naturstein, gemacht aus Artmayrs Leitprodukt St-one
Überdiesteinkochinsel hinaus führte der Steirer ein komplettes Re-design seiner Kochschule im Namen der Natur durch: „Wir werden à la longue alle umdenken »
müssen – wir müssen nachhaltiger denken, leben und reagieren und deswegen sollte gerade in der Küche alles aus Natur sein: Naturholz, Naturstein, alles aus Materialien, die ewig benutzbar sind. Edelstahl zum Beispiel ist säure- undhitzebeständigund geschmacksneutral, ein Topf daraus hält ewig.“Eine ganze Wand im Guldental besteht aus Olivenholz und auch die Decke ist– ungewöhnlich für eine Küche– hölzern. Desweiterenstehen auf der Tafel – gefertigt von der Holzunddesign-manufaktur Bes Brunold – nur noch Rosenthal-porzellan und Co. Für Lafer haben die letzten Jahrzehnte auch die Kultur des Kochens beeinflusst: „Die Zukunft in der Küche ist die Antwort auf die Frage: Wie gelingt es uns, etwas Modernes, Kreatives, etwas Feinfühliges, aber nicht Abgehobenes zu schaffen, das den Produkten entsprechend volksnah, überzeugendundnachhaltigist.“
Knapp 800 Kilometer entfernt im 1. Wiener Bezirk werkt auch ein anderer Chef de Cuisine an einem völlig neuen LokalKonzept. In knapp zwei Monaten soll Paul Ivićs Restaurant Tian in neuem Kleid erstrahlen: Farb- und Lichtkonzept, Wände, Tische, Gläser, Kaffeetassen – Gourmets erwartet künftig zusätzlichzurkücheauchinderhand reine Natur: „Wir haben jetzt die Teller fast zu 100 % auf handgefertigte Keramik aus Wien umgestellt, dann haben wirmundgeblasene Zalto-gläser und auch diekaffeetassen sind aus Naturmaterial, handgefertigt und ohne jegliche Industrie“, erklärt Ivić. Naturundhandarbeitfließenimtian nahtlos ineinander. Abseits von Fisch und Fleisch setzt Ivić schon jahrelang neue Maßstäbe in der Spitzengastronomie: Ausgezeichnet mit dem einzigen Stern für vegetarische Küche in Österreich – weltweit gibt es davon vier –, folgen alle drei Standorte, Restaurant Bistro und das Tian in München, derselben Philosophie im Einklangmit Mensch, Tier und Umwelt.
CHARAKTER-GEMÜSE.
So wie sie in derhaute Cuisine momentan weltweit verschwinden, wird man auch im Tian künftig keine Tischdecken mehr finden. Aus mehreren Gründen: „Es macht das Ambiente altbacken. »
AUFGETISCHT.
Dann möchte ich Waschmittel einsparen, undichgebeaucheinenhohen Betrag für Tischwäsche im Jahr aus und der fällt weg. Und ich stehe einfachaufholztische, dietaugenmirirrsinnig“, schwärmt Ivić. Seit zwei Wochen wird im Tian auch in neuer Fairtrade-bio-baumwolle-kochmontur gerührtundauchbeimschuhwerkgeht Ivić mit Ethletics für alle Mitarbeiter dennächsten„step“: „Je längermanim Thema Natur drin ist, umso schärfer wird man in seinen Entscheidungen. Aber man muss sich bei diesem komplexen Thema auch Spielraum eingestehen. Dasistwieindernatur: einpermanenteswachstum“, so Ivić.
Ähnlich wie Ivić und Lafer sieht auch knappe vier Kilo-
VORBILDFUNKTION.
meter weiter Lukas Mraz modernes, natürliches Kochen als Teil eines größerenpolitikums. Mrazhaterstvorein paarmonatenalsküchenchefdercordobar Berlin den Rücken gekehrt und istnachbrigittenauandenheimischen Herdinsmraz& Sohnzupapamarkus Mraz – der Sohn in Mraz & Sohn, der vorknapp28jahrenmitseinemvater Karl-heinz das Lokal eröffnete und sich seither zwei Sternen erkocht hat – zurückgekehrt. Auch der ältere Brudermanuel ist als Gastgeber und Restaurantleiter in derwallensteinstraße daheim. Dasnatürlichsteamberufist für Mraz unübersehbar die Familie. Für Lukas schlägt diese auch die Brücke inseineküche. Sich zudenkulinarischen Minimalisten zählend, fühlt er sich zu 100% der Root-to-leaf-, bzw. Nose-to-tail-philosophie in der Küche zugehörig: „Wir schöpfen unsere Kreativität hier oft in den Sachen, die wir eben nicht wegschmeißen. Das ist ein Familienbetrieb und alles in 30 Jahren harter Arbeit aufgebaut worden. Da wurde nichts weggeschmissen. Das beginnt bei Tischen oder bei Küchengeräten, die so alt sind wie ich. Wir leben aktuell in einer Wegwerfgesellschaft und das ist bei der Ernährung wahrscheinlich am allerschlimmsten.“Im Mraz & Sohn wird viel mit der Natur gearbeitet: „Die Natur gibt uns eigentlich die Karte vor. Es läuft auch meistens darauf hinaus, dass die besten Produkte die natürlichstensind.“Vonfoodtrendshält Mraz nicht viel, und die Fahne Regionalität würde in der Brigittenau zwar nicht wehen, wird aber gelebt: „Wir sind kein regionales Restaurant, aber wir versuchen, nur gute Produkte zu benutzen. Das kann dann auch sein, dass dieses Produkt aus Frankreich kommt. Wir kaufen aber das meiste von unserem Gemüse von Bauern im Umfeld, weil das einfach besser ist.“Wenn die Bauernmit der Ernte nicht nachkommen, rücken diemraz-männer auch einmal ausundpflücken Kirschenundco. selbstvondenbäumen.
„In der Fine-dining-küche ist die größte Problematik die, dass die Natur das Unkonstanteste ist, das es gibt. Deswegen weiß ich nie, was ich nächsten Monat kochen werde.“Das ist auch der Grund, warum man im Mraz & Sohn Menüs mit den Namen „Asche
UNKONSTANTE KONSTANTE.
zuasche, Lauchzulauch“oder„flusskrebs/kohlrabi“bestellt. Was auf demteller landet, kannvariieren.„im Endeffekt ist der Überfluss das Problem. Wirhabenkeinevorfreudemehr aufdenweißenspargel, weil der Erste, der ihn in derkarte hat, istdergewinner. Wenn die Spargelsaison noch nicht einmal begonnen hat, ist der Kunde schon übersättigt, so Mraz. „Aberdaseigentlicheproblemist, dass niemandmehr weiß, wann Erdbeeren überhauptsaisonhaben. Sogarinmeiner Kochlehre sind Regionalität, Naturprodukte und Co. niewirklich thematisiert worden. Ich selbst wusste auch nicht, was wann Saison hat.“
Worin sich alle dreiköcheeinig sind: Diethemenernährung und damit einhergehend das Umweltbewusstsein gewinnen immermehrrelevanz. Mrazfasstzusammen: „Kochen war noch nie so gehyped, wie das aktuell der Fall ist. Ich habe in der Schule noch gelehrt bekommen: Sprich als Koch oder Kellner nie über Politik, Religion und etwas Drittes, das ich jetzt vergessen habe. Aberwenndukochgewordenbist, warst du eigentlich eintrottel. Heute existiert schon eine Art Vorbildfunktion. Undwennsich nur20% von den Leuten, diemitmirinderküchearbeiten, mit dieser natürlichen Art und Weise identifizieren können, die ja nicht ewig bei mir bleiben, dann verbreitet sich das schon.“«
VORBILDFUNKTION.