EIN EWIGES SCHAUKELN
Wie das Designhaus Fritz Hansenwege ins Dickicht der eigenenvergangenheit schlägt und von einem Schaukelpferd überraschtworden ist.
» Charles und Ray Eames haben es schon vor knapp 80 Jahren vorgezeigt. Der kniehohe Elefant, den das legendäre Designer-duo im Jahr 1945 aus dreidimensional verformtem Sperrholz kreierte (und der bis heute bei Vitra erhältlich ist), hat bewiesen: Das Zeug zum modernen Designklassiker haben längst nicht nur edle, lederbezogene Lounge Chairs oder futuristisch anmutende Leuchten. Auch Spielmöbel können Renommee genießen – sofern sie Handwerkskunst, Design und Innovation auf ebenso raffinierte Weise vereinen. Das Potenzial zum Klassiker könnte auch im Schaukelpferd der dänischen Marke Fritz Hansen schlummern. Auch wenn dessen Ursprünge ebenso weit zurückreichen wie die des kleinen (gar nicht so grauen) Riesen von Eames, steht dieses Tier aber erst am Start seiner potenziellen Erfolgsgeschichte.
Weiß man, dass der renommierte Hersteller Fritz Hansen bereits 1872 in Kopenhagen gegründet wurde und sich mit visionären Designern wie Arne Jacobsenundhansj. Wegenereinen Namen machte, kann man sich vorstellen, wie groß das Hausarchiv sein muss. Als sich anlässlich des
LÄRM IN DER STARTBOX.
150-jährigen Bestehens ein eigens kreiertes„heritage-team“aufmachte, in der Firmengeschichte zu wühlen, stieß es in einem Möbelkatalog aus dem Jahr 1946 auf zwei Fotos eines Schaukelpferdes. Was beim Betrachten der kleinen Schwarz-weiß-bilder auffällt: Das abgebildete Holztier steht nicht wie üblich auf vier gespreizten Beinen und zwei gebogenen Holzstücken. Vielmehr ist die Schaukelfunktion geschickt in den Körper des Pferdes eingearbeitet. Ausholzgefertigt, hat es eigentlich keine Beine und wirkt wie aus einem Guss – dennoch ist das Pferd mit den aufstehenden Lederohren immer noch eindeutig als solches erkennbar. Ida Leisner, Kuratorin und Researcher von Fritz Hansen, setzt die Entdeckung des skulpturalen Spielzeugs mit dem Auffinden einer Schatzkiste gleich: „Es war eine inspirierende Entdeckung, die uns erneut an unsere Liebe zum Handwerk und Erbe erinnerte.“Das so im eigenen Stall unverhofft aufgespürte Tier war eigentlich nie für die Produktion vorgesehen, wurde aber wohl aufgrund seiner– für die damalige Zeit – bemerkenswerten Handwerkskunst im Möbelkatalog festgehalten. Der Wermutstropfen an der Sache: Während man zum Beispiel im Fall von Charles und Ray Eames weiß, wer einen der originalen Prototypen des Elefanten bekam – nämlich die damals vierzehnjährige Tochter Lucia –, findet sich bei Fritz Hansen keine Spur »
mehr zum im Foto abgebildeten Original. Vermutet wird, dass ein Handwerker es als persönliches Projekt in der Werkstatt anfertigte und es nach der Fertigstellung bei einem Kind oder Enkelkind ein Zuhause fand. War der Prototyp damit nicht mehr auffindbar, wurde dem Designentwickler und Projektleiter Mads-ulrikhusumdie schwierigeaufgabezuteil, dempferderneut echtes, dreidimensionales Leben einzuhauchen.
Da jegliches weitere Dokumentationsmaterial fehlte, musstehusum allein anhand der vorliegenden Fotos die Proportionen, den Maßstab und die Details bestimmen – und traf bei der Umsetzungaufsomancheherausforderung. „Wir haben uns bei der Ermittlung der Krümmung des Stücks von jahrhundertealten Techniken inspirieren lassen, die bei der Herstellungvonmusikinstrumenten wie Celli und Violinen verwendet werden“, gibt Husum ein Beispiel. „Als wir begannen, das Schaukelpferd als Musikinstrument zu betrachten, konnten wir uns dem Design aus einer neuen Perspektive nähern und für die perfekte Krümmung Kreise und Linien verwenden. Sobald wir uns dieser Methode bedienten, waren viele unserer Probleme gelöst.“Im Lauf eines fast dreijährigen Entwicklungsprozesses wurden zwölf Modelle angefertigt
EIN PFERDWIRDZUMCELLO.
sowieformundgrößeimmerwieder verbessert.
In derneuauflageistdaspferdaucheine Hommage an Fritz Hansen selbst. Mit einem Korpus aus druckgeformtem Furnier kommt jenes Material zuranwendung, mitdemschonarne Jacobsen in den 1950ern experimentierte, und das die Marke berühmt machen sollte. Jacobsens Stapelstühle mit den dünnen, aus einem Stück Holz organisch geformten Sitzschalen gingen um die Welt. Nach dem Zweiten Weltkrieg aber steckte die Holzbiegetechnik für Möbel, die sich für die industrielle Massenproduktion eigneten und stilistisch dennoch von hoher Qualität waren, noch in den Kinderschuhen. In seinem Schaffen baute Jacobsen unter anderem auf den Erkenntnissen von Charles und Ray Eames auf. Wie sehr er deren Arbeit schätzte, versteckte er nicht. Imgegenteil, wie zum Beweis (und zur Inspiration) stand der Eames-stuhl „LCM“in Jacobsens Studio. Waren hier Sitzund Rückenschale bereits ergonomisch geformt, aber noch in zwei Teile getrennt, perfektionierte Jacobsen die Holzbiegetechnik und kreierte Sitz- und Rückenlehne aus einer einzigen, elegant gebogenen Sperrholzplatte. Im aktuellen Kapitel der Firmengeschichte schaukelt das wiederentdeckte Pferd damit auch am Scheitelpunkt zwischen Vergangenheit und heute. «