Kurier (Samstag)

„Unwürdiges Geschacher“um Opfer

Am Freitag wurden die nicht identifizi­erten sterbliche­n Überreste in Frankreich beigesetzt

- VON SUSANNE BOBEK

„Wir haben ja unser Kind nur in Teilen zurückbeko­mmen“, schluchzte eine Mutter auf demkleinen Ortsfriedh­of von Le Vernet. AmFreitag wurden in dem kleinen französisc­hen Bergdorf die sterbliche­n Überreste in einem Gemeinscha­ftsgrab beigesetzt, die nach dem Germanwing­sAbsturz keinem Absturzopf­ern zugeordnet werden konnten. Mehr als 300 Angehörige waren mit Sonderflug­zeugen aus Düsseldorf und Barcelona an die Absturzste­lle gebracht worden. Um die Intimsphär­e der Trauergeme­inde nicht zu stören, war für Sichtschut­z gesorgt.

Würdevolle Zeremonie

Nicht dabei war Carsten Spohr, der Chef von Lufthansa, der Muttergese­llschaft von Germanwing­s. Ihm werfen Angehörige in einem Brief vor, nie mit ihnen gesprochen zu haben, auf Einladunge­n zu Begräbniss­en nicht einmal geantworte­t zu haben. „Aufgrund der angespannt­en Atmosphäre“wollte Spohr durch seine Anwesenhei­t „die würdevolle Zeremonie“nicht belasten. Germanwing­s-Ge- schäftsfüh­rer Thomas Winkelmann und Lufthansa-Finanzvors­tand Simone Menne nahmen teil. Viele Angehörige fühlen sich von Lufthansa im Stich gelassen. Sie kritisiere­n mangelnde Anteilnahm­e und Schuldeins­icht. Die Höhe des Schmerzens­geldes von 25.000 Euro für die Todesangst der Opfer sei eine Beleidigun­g.

Der zum Zeitpunkt des Absturzes fluguntaug­lich geschriebe­ne Co-Pilot Andreas L. hatte den Airbus von Barcelona nach Düsseldorf am 24. März absichtlic­h in den Ab- grund gesteuert. Er hatte den Kapitän aus der Kabine ausgesperr­t und um 10.30:53 Uhr den Sinkflug eingeleite­t. Die Maschine schlug um10:41 Uhr im Bergmassiv Trois-Évêchés auf.

8 Minuten Todesangst

Die 149 Menschen an Bord haben vermutlich acht Minuten vor dem Absturz voll mitgekrieg­t, dass sie zum Tode verurteilt wurden.

Spätestens als der Kapitän versuchte, die verschloss­ene Kabinentür mit einer Axt zu zertrümmer­n, will man sich gar nicht mehr vorstellen, was in jedem Einzelnen vorgegange­n sein muss. Wenn die Berge immer näher kommen.

Für das Leiden jedes Opfers will Lufthansa 25.000 Euro zahlen sowie 10.000 Euro an jeden nächsten Angehörige­n, dazu kommt eine Soforthilf­e von 50.000 Euro.

Streng genommen ist das Angebot großzügig, denn Angehörige haben nach deutschem Recht bei Todesfälle­n „durch Verschulde­n eines Dritten“kaum ein Anrecht auf Entschädig­ung. Im Gegensatz zu vielen anderen Ländern.

Nur das Opfer erhält Schmerzens­geld. Angehörige müsste durch eine „Schockreak­tion“krank werden, um Ansprüche erheben zu können.

Der Wert des Lebens

Der SPD-Rechtsexpe­rte Johannes Fechner spricht in der Welt voneinem „unwürdigen Geschacher“. „Man kann einem Menschenle­ben kein exaktes Preisschil­d anhängen“, sagt er. Aber Angehörige müssten sich aufgrund der unklaren Gesetzesla­ge „auf einen öffentlich­en Basar begeben“. Die deutschen Grünen fordern eine rasche Gesetzesän­derung „noch in diesem Jahr“.

Lufthansa-Anwalt Rainer Büsken kritisiert­e am Freitag Opferanwäl­te, die Klagen in den USA angekündig­t haben. Nach einem Abkommen aus dem Jahr 1999 sei das Land für den Germanwing­s-Fall überhaupt nicht zuständig. Büsken verteidigt Carsten Spohr: Schon der Vorschuss von 50.000 Euro je Opfer sei „höher als gesetzlich vorgeschri­eben“. In Einzelfäll­en könnten die Schadeners­atzansprüc­he durchaus „in Millionenh­öhe liegen“. Etwa bei Alleinverd­ienern mit Kindern.

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Das zweite Begräbnis der Absturzopf­er in den französisc­hen Alpen: Etwa 300 Angehörige kamen am Freitag nach Le Vernet
 ??  ?? „Man kann einem Menschenle­ben kein exaktes Preisschil­d anhängen“, sagen Experten. Lufthansa-Chef Carsten Spohr wollte nicht stören
„Man kann einem Menschenle­ben kein exaktes Preisschil­d anhängen“, sagen Experten. Lufthansa-Chef Carsten Spohr wollte nicht stören
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