Der Schlüssel heißt Bildung
Wie wird Österreichs Wirtschaft 2030 dastehen? Expertinnen und Experten antworten
Hohe Arbeitslosigkeit, unbewältigte Flüchtlingsströme, eine vom Zerfall bedrohte und in Nationalismen abdriftende EU: Gründe dafür, sorgenvoll in die Zukunft zu blicken, gibt es viele. Wiewird Österreich bis 2030die großen wirtschaftlichen Herausforderungen bewältigen? Das KURIERWirtschaftsressorts hat dazu fünf Ex- Für gut und breit qualifizierte Jugendliche mit Auslandserfahrung sind die Chancen erfreulich. Das Zauberwort ist Flexibilität: Arbeitgeber erhalten Höchstleistung, wenn sie sie brauchen – Arbeitnehmer dafür Auszeit für Familie, Bildung oder Reise. Oder sie können die Arbeit auf vier Tage konzentrieren. Probleme erhält, wer wenig qualifiziert und unf lexibel ist oder sich nicht einbringt. Normalität werden ein späterer Arbeitsbeginn sowie mehr Unterbrechungen sein. Die Spreizung zwischen Mini- und Höchstpensionen wird geringer. Wer kürzer arbeiten will, muss sich selbst versichern oder höhere Abschläge in Kauf nehmen. Fallen immer höhere Sozialabgaben an und wird der Faktor Arbeit noch mehr belastet, wird die Arbeitslosigkeit steigen. Österreich ist heute wettbewerbsstark und wird dies noch stärker bleiben, wenn in Ausbildung, Forschung, Umwelttechnologie und soziale Innovationen investiert wird. Qualitätswettbewerb statt Kostendumping ist das Ziel. Österreich kann so das Problem der Überalterung und der unfinanzierbaren Pensionen lösen. Dazu müssen Migranten schnell Deutsch lernen und rasch in den Arbeitsprozess eingegliedert werden. Die Kinder müssen in das Schulsystem rasch eingegliedert werden, und dürfen nicht – wie viele Österreicher mit 14 Jahren – unfähig sein, sinnerfassend zu lesen. Die Gefahr besteht, man kann ihr entgegenwirken durch Qualifizierung. Unterschiede in den Startchancen durch Herkunft und Einkommen der Eltern kann die Politik vermeiden. Niedrige Einkommen sollten weniger Sozialabgaben bezahlen, Betriebsgründungen sollten leichter sein. pertinnen und Experten befragt. Zwei Sachen fallen auf. Erstens: Der Tenor ist überraschend positiv – die Chancen werden durchwegs stärker betont als die Gefahren. „Österreich gehört zu den wohlhabendsten Ländern der Welt, undwir haben gute Voraussetzungen dafür, dass dies auch 2030 so sein wird“, sagt dazu stellvertretend Alice Kundtner von der Arbeiterkammer Wien. Wie heute auch wird die Qualifikation über Jobchancen entscheiden. Dazu kommt, dass sich die demografische Entwicklung 2020 bis 2030 bemerkbar machen wird: Die „Babyboomer“scheiden aus dem Erwerbsleben aus, womit sich die Beschäftigungschancen für junge, gut qualifizierte Menschen verbessern könnten – vorausgesetzt, die Wirtschaft entwickelt sich stabil. Die Industrie ist sehr wettbewerbsfähig, sie ist seit 2010 um zehn Prozent gewachsen – mehr als jene der Eurozone. Ein gutes Ausbildungssystem für alle ist die wichtigste Voraussetzung zur Sicherung der qualitativen Wettbewerbsfähigkeit. Entscheidend ist, ob die hohen Exportgewinne in Löhne, Beschäftigung und Investitionen umgesetzt werden und damit allen Menschen nutzen. Diese Frage wird in den nächsten Jahren entschieden: Je besser die Lösung der Wohnungsfrage und die Integration in den Arbeitsmarkt gelingt, desto geringer werden die gesellschaftlichen und sozialen Folgen sein. In unmittelbarer Zukunft ist die Frage des Spracherwerbs, die rasche Integration in den Arbeitsmarkt und das Vermitteln der Grundregeln entscheidend. Die steigende Ungleichheit zwischen dem obersten Prozent der Haushalte, das mehr als ein Drittel des Vermögens besitzt, und den anderen 99 Prozent bedroht die Demokratie, den sozialen Zusammenhalt und die Wirtschaft. Die Gefahr kann durch einen umfassenden Sozialstaat, ein öffentliches Bildungssystem und eine Steuer auf Vermögen und Erbschaften gebannt werden.
Zweitens: Das Bindeglied aller Themen lautet Bildung, Bildung und noch einmal Bildung. Damit steht und fällt Österreichs Zukunft. Berufliche Qualifikation ist entscheidend, damit der Einzelne auf dem Arbeitsmarkt besteht. Damit Österreich sich im globalen Wettbewerb behauptet. Damit die Integration vieler Menschen aus unterschiedlichen Kulturen klappt. Und damit die Schere von Arm Vor allem im Bereich der Industrie 4.0 (intelligente, digitalisierte Produktion und Logistik) oder dann schon 5.0 (?) wird es einen massiven Bedarf an qualifizierten Menschen mit digitalen Kenntnissen geben. Auch bei hoch qualifizierten Dienstleistungen ist durchaus weiteres Potenzial. „Traditionelle“Jobs werden nach wie vor vorhanden sein, wenn auch nicht mehr so gefragt wie bisher. Bildung und Qualifikation werden die Schlüsselfaktoren zur Wettbewerbsfähigkeit sein. An Rohstoffen ist Österreich reich an Holz und Wasser, die geopolitische Lage im Herzen Europas ist eine gute Voraussetzung. Es wird an uns allen liegen, diese positiven Gegebenheiten mit Umsicht zur Weiterentwicklung der Wettbewerbsposition zu nützen. Unabhängig von der aktuellen Flüchtlingsthematik wird die Globalisierung voranschreiten und die Migration zunehmen. Das stellt Integrationsmodelle und soziale Sicherungssysteme zusätzlich auf die Probe – nicht nachhaltige Mechanismen geraten schneller unter Druck. Auf der anderen Seite ergeben sich Chancen durch kulturelle Vielfalt und gegenseitiges Lernen. Weniger innerhalb der Nationalstaaten, sondern eher global werden Unterschiede in Einkommen und Vermögen auffälliger. Diese suchen über Marktmechanismen einen Ausgleich und schlagen sich in Form von Migrationsbewegungen oder Wachstumsunterschieden im BIP nieder. Die Gesellschaft wird eine transparente und ehrliche Diskussion über die Zielvorstellungen führen müssen. Die Bereiche Bildung, Wissenschaft und Forschung werden aus meiner Sicht aufgrund der steigenden Nachfrage und notwendigen Investitionen ein wachsendes Arbeitsmarktsegment sein und Arbeitsplätze schaffen. Die Restrukturierung der Arbeitsorganisation infolge der Digitalisierung wird uns beschäftigen – und die Frage, was das für den Generationenvertrag bedeutet. Österreich könnte auf dem globalen Markt eine wichtige Rolle als Zentrum von Innovationen durch Wissenschaft und Forschung spielen, indem in diese Bereiche massiv investiert wird. Vor allem die Diversität der Bevölkerung in Österreich wird bis 2030 weiter gestiegen sein. Auch wird der Altersschnitt gesenkt, weil viele Jüngere und Familien zuziehen. Idealerweise sind bis 2030 bereits Maßnahmen gesetzt worden, die die Bildungs- und damit die gesellschaftlichen Teilhabechancen für die heute schlechter gestellten Personengruppen erhöhen. Dadurch wird sich die Kluft verringern. und Reich nicht weiter auseinanderklafft. Der KURIERhat den Ökonomen freigestellt, ein weiteres Thema zu benennen. Am öftesten fielen die Begriffe Klimawandel, Nachhaltigkeit und Energiewende. 2030 sollte der Einsatz fossiler Energie „praktisch beendet“sein, fordert WIFO-Chef Karl Aiginger. Zähle Österreich dabei zu den Vorreitern, könne das ein „Wettbewerbsvorteil und eine Kostenbremse“werden. Dienstleistungen, kreative Bereiche und Gesundheitswesen werden wichtiger, bei harter Arbeit entlasten uns Roboter. Die Arbeitszeit kann bis dahin kostenneutral etwas sinken, damit die Beschäftigung sicher bleibt. Gleichzeitig braucht es mehr Flexibilität und Differenzierung. Es gibt nur einen Weg für Wettbewerbsfähigkeit und hohe Einkommen: große Erfolge bei Innovation und Bildung. Der Staat muss mehr Basisinvestitionen tätigen, damit sich digitale Wirtschaft, Umwelttechnologie und neue Formen von Dienstleistungen in Österreich durchsetzen. Der Zustrom wird die Zahl der Mitbürger mit ausländischen Wurzeln steigern, aber in einer europäischen Lösung kontrolliert bleiben. Wenn wir in die Flüchtlinge investieren, werden sie spätestens in der nächsten Generation zu überzeugten Österreichern. Das Land wird bunter, kulturell reicher, weltoffener und spannender sein. Nicht alle können gleich gut von Innovation und Wachstum profitieren. Aber ein leistungsorientierter Sozialstaat mit progressiven Steuern sichert Beschäftigung und hält die Ungleichheit unter Kontrolle. Freier Wettbewerb sichert allen eine Chance und hält den unverdienten Reichtum in Schach.