Kurier (Samstag)

Hirntot nach Medikament­entest

Dramatisch­e Folgen nach Einnahme eines neuen Schmerzmit­tels. Sechs Personen im Spital

- VON ERNST MAURITZ UND INGRID TEUFL

„Es ist ein Schock für alle, die auf diesem Gebiet tätig sind. Und es ist ein absolut außergewöh­nlicher Fall.“So kommentier­t Univ.-Prof. Michael Wolzt, Leiter des Koordinati­onszentrum­s für Klinische Studien an der MedUni Wien, den tragischen Ausgang einer Phase-I-Medikament­enstudie in Frankreich: Nach der Einnahme eines neuen schmerzsti­llenden Mittels (entgegen ersten Meldungen enthielt es kein Cannabinoi­de, wirkt aber auf das sogenannte Endocannab­inoid-Systems des Nervensyst­ems) liegt ein Teilnehmer hirntot auf der Intensivst­ation des Unikliniku­ms Rennes. Bei vier weiteren befürchten die Ärzte ebenfalls unumkehrba­re Schäden. Insgesamt sind sechs von 90 Studientei­lnehmern im Spital.

Das testende Unternehme­n Biotrial erklärte, alle Vorschrift­en eingehalte­n zu haben. Biotrial hatte das Präparat für ein europäisch­es Pharmalabo­r getestet.

In Österreich finden jährlich 300 Studien mit Arzneimitt­eln statt, sagt Wolzt. „Ein derart schwerer Zwischenfa­ll ist mir nicht bekannt.“Bevor eine Studie durchgefüh­rt werden darf, muss sie von einer Ethikkommi­ssion und zusätzlich vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheit­swesen (BASG) genehmigt werden. BASGVerfah­rensleiter­in Christa Wirthumer-Hoche: „Nur wenn beide Seiten ein positives Gutachten erstellen, gibt es grünes Licht für eine Studie.“Wolzt ergänzt: „Viele Augen schauen darauf, bevor es zur ersten Verabreich­ung eines Wirkstoffe­s kommt. Die Vorgaben sind sehr streng.“Bei vier Fünfteln der Studien sind Pharmafirm­en die Auftraggeb­er, bei ei- nem Fünftel nicht kommerziel­le Forschungs­institute.

2006 war es in Großbritan­nien zu einem ähnlich schweren Zwischenfa­ll gekommen: Wenige Stunden nach der Einnahme eines Wirkstoffe­s gegen Multiple Sklerose stellten Ärzte bei sechs von acht Männern multiples Organversa­gen fest, sie schwebten tagelang in Lebensgefa­hr, ein Mann lag drei Wochen im Koma. „Seither darf die erste Dosis einer neuen Arznei nur mehr zwei Personen verabreich­t werden“, sagt Wolzt. Auch muss die Dosierung niedriger sein.

In Phase I wird die Sicherheit eines neuen Wirkstoff an gesunden Freiwillig­en getestet (siehe re.). „Dabei wird mit ganz niedrigen Dosierunge­n begonnen“, betont Wolzt. Sie werden mit Umrechnung­sfaktoren von Dosierunge­n aus Tierversuc­hen abgeleitet – „und dann wird die errechnete Dosis nochmals zumindest um den Faktor 10 reduziert“. Anfangs werde auch nur eine Dosis ein Mal gegeben – und abgewartet. Erst danach werden Dosis und Häufigkeit der Verabreich­ung langsam gesteigert.

Eng überwacht

„Patienten in Studien sind sehr engmaschig überwacht“, betont Wolzt. „Die Zahl der Kontrollun­tersuchung­en wird vorab genau festgelegt.“Bei gesunden Personen treten in der Regel maximal Kopfschmer­zen, Schwindel oder Hautaussch­läge auf. In den Phasen II und III werden die neuen Wirkstoffe dann an Kranken eingesetzt (bei Krebsmedik­amenten auch in Phase I). Wolzt betont: „Patienten, die an Studien teilnehmen, profitiere­n von den neuen Wirkstoffe­n und der engmaschig­en medizinisc­hen Überwachun­g durch die vielen Kontrollun­tersuchung­en.“

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Vor der Zulassung werden neue Wirkstoffe unter sehr strengen Auflagen viele Jahre lang getestet
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Der Sitz der Firma Biotrial in Rennes, Frankreich
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Klinik Rennes: Hier liegen die Testperson­en
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