Hirntot nach Medikamententest
Dramatische Folgen nach Einnahme eines neuen Schmerzmittels. Sechs Personen im Spital
„Es ist ein Schock für alle, die auf diesem Gebiet tätig sind. Und es ist ein absolut außergewöhnlicher Fall.“So kommentiert Univ.-Prof. Michael Wolzt, Leiter des Koordinationszentrums für Klinische Studien an der MedUni Wien, den tragischen Ausgang einer Phase-I-Medikamentenstudie in Frankreich: Nach der Einnahme eines neuen schmerzstillenden Mittels (entgegen ersten Meldungen enthielt es kein Cannabinoide, wirkt aber auf das sogenannte Endocannabinoid-Systems des Nervensystems) liegt ein Teilnehmer hirntot auf der Intensivstation des Uniklinikums Rennes. Bei vier weiteren befürchten die Ärzte ebenfalls unumkehrbare Schäden. Insgesamt sind sechs von 90 Studienteilnehmern im Spital.
Das testende Unternehmen Biotrial erklärte, alle Vorschriften eingehalten zu haben. Biotrial hatte das Präparat für ein europäisches Pharmalabor getestet.
In Österreich finden jährlich 300 Studien mit Arzneimitteln statt, sagt Wolzt. „Ein derart schwerer Zwischenfall ist mir nicht bekannt.“Bevor eine Studie durchgeführt werden darf, muss sie von einer Ethikkommission und zusätzlich vom Bundesamt für Sicherheit im Gesundheitswesen (BASG) genehmigt werden. BASGVerfahrensleiterin Christa Wirthumer-Hoche: „Nur wenn beide Seiten ein positives Gutachten erstellen, gibt es grünes Licht für eine Studie.“Wolzt ergänzt: „Viele Augen schauen darauf, bevor es zur ersten Verabreichung eines Wirkstoffes kommt. Die Vorgaben sind sehr streng.“Bei vier Fünfteln der Studien sind Pharmafirmen die Auftraggeber, bei ei- nem Fünftel nicht kommerzielle Forschungsinstitute.
2006 war es in Großbritannien zu einem ähnlich schweren Zwischenfall gekommen: Wenige Stunden nach der Einnahme eines Wirkstoffes gegen Multiple Sklerose stellten Ärzte bei sechs von acht Männern multiples Organversagen fest, sie schwebten tagelang in Lebensgefahr, ein Mann lag drei Wochen im Koma. „Seither darf die erste Dosis einer neuen Arznei nur mehr zwei Personen verabreicht werden“, sagt Wolzt. Auch muss die Dosierung niedriger sein.
In Phase I wird die Sicherheit eines neuen Wirkstoff an gesunden Freiwilligen getestet (siehe re.). „Dabei wird mit ganz niedrigen Dosierungen begonnen“, betont Wolzt. Sie werden mit Umrechnungsfaktoren von Dosierungen aus Tierversuchen abgeleitet – „und dann wird die errechnete Dosis nochmals zumindest um den Faktor 10 reduziert“. Anfangs werde auch nur eine Dosis ein Mal gegeben – und abgewartet. Erst danach werden Dosis und Häufigkeit der Verabreichung langsam gesteigert.
Eng überwacht
„Patienten in Studien sind sehr engmaschig überwacht“, betont Wolzt. „Die Zahl der Kontrolluntersuchungen wird vorab genau festgelegt.“Bei gesunden Personen treten in der Regel maximal Kopfschmerzen, Schwindel oder Hautausschläge auf. In den Phasen II und III werden die neuen Wirkstoffe dann an Kranken eingesetzt (bei Krebsmedikamenten auch in Phase I). Wolzt betont: „Patienten, die an Studien teilnehmen, profitieren von den neuen Wirkstoffen und der engmaschigen medizinischen Überwachung durch die vielen Kontrolluntersuchungen.“