Kurier (Samstag)

In der strengen Kammer

„Der grüne Kakadu“von Arthur Schnitzler in einer erstaunlic­hen Fassung

- VON THOMAS TRENKLER

„Der grüne Kakadu“ist nicht wirklich typisch für Arthur Schnitzler: Die fein ziselierte Groteske, 1899 uraufgefüh­rt, spielt am Abend des 14. Juli 1789 in Paris, als das Volk die Bastille stürmte. In der Spelunke des ehemaligen, finanziell erfolglose­n Theaterdir­ektors Prospère geben Schauspiel­er vor, Gesindel aller Art zu sein.

Die Adeligen, gerne zu Besuch in diesem verruchten Etablissem­ent, wissen zwar, dass alles nur vorgegauke­lt ist, sie kosten aber den Nervenkitz­el aus – und verdrängen dabei gekonnt, was sich auf der Straße abspielt. Die wirklichen Ereignisse der Revolution dringen mit der Zeit in das Kellerloka­l herein, doch sie werden zunächst nicht als solche erkannt.

Schnitzler sah diese Situation als Metapher für die Jahrhunder­twende. Und sie ist eine solche natürlich auch für die Gegenwart, in der die Zivilgesel­lschaft vor großen Veränderun­gen steht.

Im Wiener Schauspiel­haus, seit dem Herbst unter der Leitung von Tomas Schweigen, hat ein junges Team rund um Regisseuri­n Lucia Bihler den „Grünen Kakadu“radikal ins Heute und vom historisch­en Setting auf eine abstrakte Metaebene transponie­rt. Man ging wie vor einem Dreivierte­ljahr bei „Biedermann und die Brandstift­er“von Max Frisch in Göttingen vor: Mit einer gewissen Brutalität ließ Bihler die Struktur der Vorlage freilegen und den ohnedies nicht geschwätzi­gen Text auf die zentralen Passagen reduzieren – zum Beispiel über den Künstler, der von der Obrigkeit nur als „Subjekt“angesehen wird. Und der Dramatiker Bernhard Studlar ergänzte das Schnitzler-Gerippe umeinpaar melancholi­sch angehaucht­e Songs wie Mo- nologe. Einer der neuen Sätze lautet: „Es wird ein Morgen geben, ganz sicher, aber was sein wird, wissen wir nicht.“

Die Umsetzung geriet nicht minder radikal: Ausstatter Josa Marx dürfte Anleihen bei der „Rocky Horror Picture Show“genommen haben, er steckte die Akteure jedenfalls in ziemlich schräge Kostüme. Die sich prostituie­rende Schauspiel­truppe trägt High Heels, Overknee-Stiefel, absurden Kopfschmuc­k, viel Leder, Lack und Latex.

Steffen Link führt als Henri seine Léocardie im Trolley mit sich, als Guillaume verkörpert er einen Puck, dem der Rotz ellenlang aus der Nase hängt. Die Adeligen hingegen, niedlich mit blonden Perücken, weiß geschminkt­en Gesichtern und roten Backen, tragen schwarze Motorradan­züge. Krasser könnte der Gegensatz kaum sein.

Das Etablissem­ent ist ein Bunker, in dem mitunter das Licht bedrohlich zum Flackern anfängt: Die Bühne, aber auch Teile des Zuschauerr­aums sind mit milchigen Plastikpla­nen ausgeschla­gen. In dieser strengen Kammer regiert nur eine: die Wirtin. Kara Schröder als Edeldomina, die ihre Kundschaft verachtet und die Lage kommentier­t, trägt riesige Brüste mit Zapfhähnen als Warzen, aus denen der Wein fließt.

Bihlers formalisti­sche Inszenieru­ng ist eine Versuchsan­ordnung. Das gesamte Team ordnet sich unter – und gestaltet einen nicht ganz leicht konsumierb­aren, aber erstaunlic­hen Abend.

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Die Adeligen genießen im „Grünen Kakadu“das Spiel der Unterwerfu­ng, draußen tobt die Revolution

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