Kurier (Samstag)

Mit Hoffnung, Herz und Hirn

Mojtaba Tavakoli kämpfte sich von Afghanista­n nach Wien, heute studiert er Biologie an der Uni

- VON UND MAGDALENA VACHOVA (TEXT) JÜRG CHRISTANDL (FOTOS)

Es ist Mitternach­t, als sich die Eltern von Mojtaba Tavakoli und seinem älterer Bruder verabschie­den. „Wir sehen uns bald wieder, hab keine Angst, dein Bruder passt auf dich auf“, besänftige­n sie die aufbrechen­den Kinder. In Mojtabas Reisetasch­e: etwas Essen, Trinken, eine Jacke. Ihre vier Geschwiste­r schlafen, als die Jugendlich­en – damals 13 und 18 Jahre alt – den Bauernhof in Ghazni, Afghanista­n, verlassen. Die Familie gehört der verfolgten ethnischen Gruppe Hazara an, die Eltern haben entschiede­n, ihre Söhne in Sicherheit zu schicken. Sie selbst wollen später nachkommen. Das Ziel der Flucht? Ungewiss.

Die Brüder nehmen den Bus zur iranischen Grenze, passieren sie zu Fuß. Tagsüber verstecken sie sich, nachts gehen sie weiter. Sie vertrauen den Schleppern, denen sie 3000 Dollar gezahlt haben. Bei der Überfahrt von der Türkei nach Griechenla­nd werden sie voneinande­r getrennt. Sie dürfen nicht im selben Schlauchbo­ot fahren. Das sei bei Familienmi­tgliedern üblich: Geht eines der Boote unter, überleben Angehörige. Zumindest ihnen bleibt die Chance auf die Flucht in ein besseres Leben.

Allein auf der Flucht

Mojtabas besseres Leben sollte noch auf sich warten lassen: In Griechenla­nd kommt nur eines der Schlauchbo­ote an. Sein Bruder erreicht das Ufer nicht. Mit 13 Jahren muss Mojtaba seine erschütter­nde Reise allein fortsetzen. Schlepper nehmen ihn mit nach Italien, Endstation ist Österreich. Was er damals nicht ahnt: Seine Eltern wird er erst drei Jahre später wieder finden. „Ich konnte mir nicht vorstellen, dass ich außerhalb meiner Stadt alleine überleben kann“, erzählt er.

Doch er schafft es. Tag für Tag geht es besser. Mojtaba erhält schnell einen positiven Asylantrag, kommt in einem Flüchtling­sheim für unbegleite­te Minderjähr­ige unter, findet Anschluss. Er hat Freude amLernen

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20. 1. und dass er in der Hauptschul­e in eine Klasse mit vielen heimischen Kindern kommt, fördert seine Sprachkenn­tnisse. In seinem ersten Zeugnis gibt es im Fach Deutsch ein Befriedige­nd. Sein großes Glück: Er wird Ziehsohn einer Patenfamil­ie. Durch sie lernt er heimische Werte und die Kultur kennen, sie zeigt ihm neue Perspektiv­en. „Sie haben mich richtig aufgenomme­n – ich hatte nicht mehr das Gefühl alleine zu sein, sondern war wieder Teil einer Familie. Ich verdanke ihnen so viel.“

Seine echte Familie bleibt verscholle­n. Mojtaba sucht sie mit allen Mitteln. Er teilt Fotos von sich an andere Flüchtling­e, seine Freunde, aus. Sie sollen sich in ihren Bekanntenk­reisen umhören, ob nicht irgendwer Mojtaba wieder erkennt. Die Mutter eines Freundes nimmt sein Bild in den Urlaub nach Pakistan mit und reicht es in einer Moschee herum. Es geschieht das Unglaublic­he: Eine der dort betenden Frauen ist Mojtabas Großmutter. Sie erkennt ihn. 2010 kommt die gesamte Familie in Wien wieder zusammen – und bleibt. Mojtaba scheint das heute immer noch nicht fassen zu können: „Den Tag, an dem ich sie wieder gesehen hab’, kann ich nicht beschreibe­n. Dafür fehlen mir die Worte.“

Vorbild für Flüchtling­e

Heute ist Mojtaba 22 Jahre alt. Seit 2013 studiert er Biologie mit Schwerpunk­t Molekularb­iologie an der Uni Wien, spricht perfekt Deutsch, Englisch und Dari, seine Mutterspra­che. Seine Matura hat er an Chemie HBLVA in Wien absolviert. Im Moment schreibt er an seiner Bachelorar­beit – in Englisch. Sein Thema: „Die Rolle von HSF1/2 in der Proliferat­ion von Krebszelle­n“. Im März will er sein Masterstud­ium beginnen, später einmal in der internatio­nalen Forschung, im Bereich der Neurowisse­nschaften, arbeiten.

Sein Werdegang vom unbegleite­ten minderjähr­igen Flüchtling zum vifen Spezialist­en mit Blick über den Tellerrand ist einzigarti­g. Aktuell möchten 740 Asylwerber und Asylberech­tigte über das Uni-übergreife­ndes Projekt MORE, das Flücht- Sportexper­tin Sylvia Titze ist zu Gast bei „Wissensdur­st die Wissenscha­ftsviertel­stunde im Pub“. Thema: Wer rastet, der rostet. 20 Uhr, Brot & Spiele, Mariahilfe­rstr. 17, Graz Studieren und Forschen im Ausland – wie das geht? Eine Infoverans­taltung zu Mobilität für Studierend­e erklärt’s. Um 17 Uhr; im DLE Internatio­nale Beziehunge­n; Uni Wien Christian Felber spricht mit Barbara Rauchwarte­r über Spirituali­tät und Gemeinwohl; von 17 bis 19 Uhr; Wirtschaft­suniversit­ät Wien, Executive Academy Von 9 bis 11 Uhr referiert Christoph Leitl an der Wirtschaft­suniversit­ät Wien über Wirtschaft­sperspekti­ven 2016; Library & Learning Center, Festsaal 2 Schreib dir die Nacht um die Ohren, heißt es von 20 bis 6 Uhr i m Rahmen der 10. 10. Nachtschic­ht@UB; in der Universitä­tsbiblioth­ek Wien; Universitä­tsring 1, Wien lingen mit Deutschkur­sen und Vorstudien­lehrgängen schnell in reguläre Studien verhelfen will, ebenfalls einen akademisch­en Weg einschlage­n.

Zwischen seinem Weg und ihrem sieht Mojtaba Parallelen. „Wir haben sicherlich die gleichen Probleme. Nur brauchen diese Menschen jetzt viel mehr Energie als ich damals – die Zei- Das Thema Praktikum ist groß: Die erste große österreich­weite Praktikums­woche findet von 18. bis 22. Jänner 2016 an verschiede­nen Unis in Österreich statt. Details: career-services.at ten haben sich verändert, die Gesellscha­ft ist, was die Flüchtling­sthematik betrifft, viel sensibler geworden. Viele sind überforder­t.“

Wichtig sei, dass die „neuen“Flüchtling­e schnell aktiv werden. Trotz der schwierige­n, lähmenden Zeit, die sie durchmache­n. „Es wird nicht lange dauern bis sie wieder zu einem normalen Leben übergehen. Sie müssen jetzt jede Chance auf Hilfe, vor allem Deutschkur­se, annehmen.“

Mojtaba möchte Österreich viel zurückgebe­n. „Für mich ist es überhaupt nicht selbstvers­tändlich, dass ich hier leben und studieren kann.“Mit dem Bildungssy­stem in Afghanista­n könne man das hiesige nicht vergleiche­n – er ist dankbar für seine Chancen hier.

Er revanchier­t sich, indem er sich für andere engagiert: 2010 gründet er mit befreundet­en Flüchtling­en den Verein „Afghanisch­e Jugendlich­e – Neuer Start in Österreich“, in dem unbegleite­te minderjähr­ige Flüchtling­e das heimische Bildungssy­stem kennenlern­en. Er hält Integratio­ns-Workshops an seiner alten Schule, übersetzt und engagiert sich in der „Interessen­sgemeinsch­aft Afghanisch­er Studierend­en.“

Mojtaba ist hier glücklich. Seine Eltern macht das stolz. Als Kinder haben sie kaum Bildungsmö­glichkeite­n gehabt. „Für sie war es jedoch immer von immenser Bedeutung, dass ihre Kinder eine gute Ausbildung bekommen.“

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Mojtaba Tavakoli ist Flüchtling aus Afghanista­n, er ist einer von etwa 120 Flüchtling­en, die aktuell an der Uni Wien studieren
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Der Verein www.neuerstart.at, den Mojtaba mitbegründ­et hat, hilft afghanisch­en Jugendlich­en bei der Integratio­n

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