Wer zündelt, schadet dem ganzen Land
Vor einer Woche flogen noch die Fetzen. Vorgestern Abend gingen sie einander nur noch aus dem Weg. Anstelle seines Gegenübers nahm Norbert Hofer beim letzten ORF-Duell die Moderatorin ins Visier: „Wollen Sie jetzt auch kandidieren?“Vier Monate nach Wahlkampfstart ist alles mehr als gesagt. Das letzte Wort hat morgen der Wähler. Zeit, Bilanz eines der spannendsten Wahlkämpfe seit Langem zu ziehen.
Lektion 1: It’s the personality, stupid. Fünf ernsthaft wählbare Kandidaten machten die Wochen vor dem ersten Wahlgang kurzweilig und spannend. Nachträglich noch bitterer für die gescheiterten Vollprofis Rudolf Hundstorfer und Andreas Khol, dass Werner Faymann nicht schon vor dem 24. April Geschichte war.
Lektion 2: Vier Wochen Endspurt bis zur Stichwahl sind zu lange und ermüden Wähler und zu Wählende. Die Ausrede der Bürokratie, nur so hätten die Auslandsösterreicher ausreichend Zeit, um ihre Stimme abzugeben, gilt im Zeitalter von eMail und eVoting nicht mehr.
Lektion 3: Für Politiker-Verdrossenheit gibt es noch immer reichlich Nahrung, aber keine Spur von PolitikVerdrossenheit. Die Medien überboten sich mit neuen Info(tainment)-Formaten. Das Publikum honorierte diese mit hohen Zugriffs- und Zuschauerquoten.
Lektion 4: Politik ist kein Beauty-Contest, kein Sympathie-Wettbewerb und schon gar nicht die tägliche Generalprobe für das RTL-Dschungelcamp. Morgen, Sonntag, geht es nicht um die Frage, wer das schönste Englisch spricht oder wer beim Staatsbankett am anmutigsten mit Messer und Gabel essen kann.
Lektion 5: Politik ist Interessenvertretung. Entscheidende Frage ist: Wer teilt am ehesten meine Weltsicht? Geschäftsgrundlage ist Vertrauen: Von wem kann ich am ehesten erwarten, dass er, was mir persönlich wichtig ist, öffentlich und damit politisch am besten vertritt?
Lektion 6: Bei der Hofburg-Wahl geht es primär darum, für welche moralischen Werthaltungen der künftige Bundespräsident steht, und nicht, welche nachhaltige Aktionen von ihm zu erwarten sind. Norbert Hofers Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit kann nicht größer sein als der jedes einzelnen Staatsbürgers. Alexander Van der Bellen kann persönlich nicht mehr zur besseren Integration von Zuwanderern beitragen als jeder Wähler.
Lektion 7 – last but not least: Der Bundespräsident ist das Gesicht Österreichs. Wer je eine der vielen Wirtschaftsmissionen von Heinz Fischer nach China, Russland, Lateinamerika oder zuletzt in den Iran mitgemacht hat, weiß: Die Rolle des Staatsoberhaupts als Türöffner der Wirtschaft ist unterschätzt und unersetzlich.
Österreichs Wohlstand steht und fällt mit den Einnahmen aus dem Tourismus und aus dem Export – getragen von Österreichs „hidden champions“, deren Produkte in aller Welt gefragt sind. Zwei Drittel seiner Export-Geschäfte macht Österreich innerhalb (!) der EU. Wer sich als Staatsoberhaupt bewirbt und bis zuletzt fahrlässig mit der Idee eines EU-Austritts zündelt, hat nicht das Wohl seines Landes im Auge, sondern nur das seiner Partei.