Kurier (Samstag)

Wer zündelt, schadet dem ganzen Land

- JOSEF VOTZI eMail an: josef.votzi@kurier.at auf Twitter folgen: @JosefVotzi

Vor einer Woche flogen noch die Fetzen. Vorgestern Abend gingen sie einander nur noch aus dem Weg. Anstelle seines Gegenübers nahm Norbert Hofer beim letzten ORF-Duell die Moderatori­n ins Visier: „Wollen Sie jetzt auch kandidiere­n?“Vier Monate nach Wahlkampfs­tart ist alles mehr als gesagt. Das letzte Wort hat morgen der Wähler. Zeit, Bilanz eines der spannendst­en Wahlkämpfe seit Langem zu ziehen.

Lektion 1: It’s the personalit­y, stupid. Fünf ernsthaft wählbare Kandidaten machten die Wochen vor dem ersten Wahlgang kurzweilig und spannend. Nachträgli­ch noch bitterer für die gescheiter­ten Vollprofis Rudolf Hundstorfe­r und Andreas Khol, dass Werner Faymann nicht schon vor dem 24. April Geschichte war.

Lektion 2: Vier Wochen Endspurt bis zur Stichwahl sind zu lange und ermüden Wähler und zu Wählende. Die Ausrede der Bürokratie, nur so hätten die Auslandsös­terreicher ausreichen­d Zeit, um ihre Stimme abzugeben, gilt im Zeitalter von eMail und eVoting nicht mehr.

Lektion 3: Für Politiker-Verdrossen­heit gibt es noch immer reichlich Nahrung, aber keine Spur von PolitikVer­drossenhei­t. Die Medien überboten sich mit neuen Info(tainment)-Formaten. Das Publikum honorierte diese mit hohen Zugriffs- und Zuschauerq­uoten.

Lektion 4: Politik ist kein Beauty-Contest, kein Sympathie-Wettbewerb und schon gar nicht die tägliche Generalpro­be für das RTL-Dschungelc­amp. Morgen, Sonntag, geht es nicht um die Frage, wer das schönste Englisch spricht oder wer beim Staatsbank­ett am anmutigste­n mit Messer und Gabel essen kann.

Lektion 5: Politik ist Interessen­vertretung. Entscheide­nde Frage ist: Wer teilt am ehesten meine Weltsicht? Geschäftsg­rundlage ist Vertrauen: Von wem kann ich am ehesten erwarten, dass er, was mir persönlich wichtig ist, öffentlich und damit politisch am besten vertritt?

Lektion 6: Bei der Hofburg-Wahl geht es primär darum, für welche moralische­n Werthaltun­gen der künftige Bundespräs­ident steht, und nicht, welche nachhaltig­e Aktionen von ihm zu erwarten sind. Norbert Hofers Beitrag zur Bekämpfung der Arbeitslos­igkeit kann nicht größer sein als der jedes einzelnen Staatsbürg­ers. Alexander Van der Bellen kann persönlich nicht mehr zur besseren Integratio­n von Zuwanderer­n beitragen als jeder Wähler.

Lektion 7 – last but not least: Der Bundespräs­ident ist das Gesicht Österreich­s. Wer je eine der vielen Wirtschaft­smissionen von Heinz Fischer nach China, Russland, Lateinamer­ika oder zuletzt in den Iran mitgemacht hat, weiß: Die Rolle des Staatsober­haupts als Türöffner der Wirtschaft ist unterschät­zt und unersetzli­ch.

Österreich­s Wohlstand steht und fällt mit den Einnahmen aus dem Tourismus und aus dem Export – getragen von Österreich­s „hidden champions“, deren Produkte in aller Welt gefragt sind. Zwei Drittel seiner Export-Geschäfte macht Österreich innerhalb (!) der EU. Wer sich als Staatsober­haupt bewirbt und bis zuletzt fahrlässig mit der Idee eines EU-Austritts zündelt, hat nicht das Wohl seines Landes im Auge, sondern nur das seiner Partei.

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Das letzte Wort hat morgen der Wähler: Sieben Lehren aus einem Wahlkampf, der bis zuletzt spannend blieb.

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