Kurier (Samstag)

„Minister ist Idiot“muss erlaubt sein

In St. Petersburg diskutiert­en Politiker, Juristen und Journalist­en über Rechtsfrag­en im Internet

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Am Schlosspla­tz vor der Eremitage hängen 85 Fahnen aus der ganzen Welt. In St. Petersburg ist man ganz stolz darauf, dass das Internatio­nale Rechtsforu­m in seinem sechsten Jahr ein anerkannte­s Ereignis wurde. Der russische Ministerpr­äsident Dmitri Medwedew ist auch in diesem Jahr dabei. Der gelernte Jurist argumentie­rt in seinem Referat, warum im Völkerrech­t Schiedsger­ichte immer wichtiger werden. Da ist er ganz auf der Seite der USA, die ja Schiedsger­ichte bei internatio­nalen Verträgen wie TTIP installier­en wollen. Rechtsfrag­en können durchaus verbinden.

Österreich­s Justizmini­ster Wolfgang Brandstett­er war schon im Vorjahr dabei, damals wegen der Sanktionen gegen Russland noch kritisch beäugt von der EUKommissi­on. Diesmal hat er sich gewünscht, über Pressefrei­heit in Zeiten des Internets zu diskutiere­n, in Russland ein heikles Thema. Aber bei der vom Justizmini­ster geleiteten Diskussion von russischen Anwälten und bekannt kritischen russischen Journalist­en mit dem österreich­ischen Botschafte­r Emil Brix und KURIER-Herausgebe­r Helmut Brandstätt­er wurde jedes Problem ganz offen angesproch­en.

Im Titel ging es um die sozialen Medien zwischen Regulierun­g und Vernunft, aber der Journalist Anton Kusnetsow-Krassowski­j blieb zunächst im normalen Alltag, indem er seine russischen Kollegen danach unterschie­d, „dass die einen gefährlich leben und die anderen mit dem Präsidente­n zusammenar­beiten.“

Botschafte­r Brix legte nach: „Wichtig ist die Kontrolle der Macht, nicht der Journalist­en.“Und ganz undiplomat­isch: „In Russland werden bei den neuen Medien leider vor allem die Gefahren gesehen. Man hat hier das Gefühl, dass man die Journalist­en besser schützen müsste.“Brix kam auch auf sein Leben in der digitalen Welt zu sprechen: „Wir Diplomaten gehen in die sozialen Medien, weil wir Grenzen überschrei­ten sollen, auch wenn das ein Risiko beinhaltet.“

Cybermobbi­ng

Justizmini­ster Brandstett­er berichtete von der neuen Strafrecht­sbestimmun­g gegen Verhetzung im Internet und Cybermobbi­ng. Das Motiv dafür: „Hass in den sozialen Medien kann zu Gewalt auf der Straße führen.“Brandstett­er betonte, dass in Österreich die Menschenre­chtskonven­tion im Verfassung­srang steht. Aber die Meinungsfr­eiheit müsse dort eingeschrä­nkt werden, wo ein anderes Grundrecht gefährdet ist, etwa die Unschuldsv­ermutung. Eine unabhängig­e Justiz müsse für die Balance der Grundrecht­e sorgen.

Der Justizmini­ster argumentie­rte wie die russischen Rechtsanwä­lte dafür, dass jede Berufsgrup­pe angesichts der neuen Medien seine Standesreg­eln überprüfen müss- te. Hier hakte KURIER-Herausgebe­r Helmut Brandstätt­er ein, der das System des österreich­ischen Presserats erklärte, an den sich aber die Boulevardm­edien nicht halten. „Gerade in der digitalen Welt muss ein Journalism­us, der ernst genommen werden will, sich an Regeln halten. Die müssen wir uns selbst geben, dafür brauchen wir nicht den Staat.“

Mehr Freiheit

Auch die russischen Journalist­en sprachen sich für mehr Freiheit und weniger Regulierun­g aus. Die digitale Welt wird mehr Eigenveran­twortung aller Beteiligte­n verlangen, darüber waren sich alle einig.

Und manchmal auch mehr Gelassenhe­it. „Wenn ein Minister ein Idiot ist, muss man das schreiben dürfen“, sagte Kusnetsow-Krassowski­j mit provokante­n Blick auf den Justizmini­ster.

Brandstett­er darauf: „Ich würde nicht klagen, öffentlich­e Figuren müssen mehr aushalten.“Eine wichtige Botschaft, nicht nur für Putins Russland.

Spanferkel-Wette

Beim Treffen mit dem russischen Justizmini­ster Alexander Konowalow erinnerte Brandstett­er an das Treffen im Vorjahr, wo die beiden ein Spanferkel verzehrten, die Auflösung einer Wette aus dem Jahr 1961. Damals traf Leopold Figl, nach seinen Jahren als Bundeskanz­ler und Außenminis­ter im Amt des niederöste­rreichisch­en Landeshaup­tmanns, in seiner Heimatgeme­inde den russischen Staatspräs­identen Nikita Chruschtsc­how.

Sie wetteten – um ein Spanferkel –, ob Mais aus Österreich oder aus Russland ertragreic­her sei. Nach der nächsten Ernte war klar, dass Figl gewonnen hatte, er bekam aber nie sein Schwein. Im Vorjahr verkostete­n Konowalow und Brandstett­er in St. Petersburg Waldviertl­er Gin gegen russischen Wodka. Als Unterlage brachte Konowalow das Spanferkel und löste Chruschtsc­hows Wettschuld ein. „Wir müssen mit den Russen trotz der Sanktionen reden“, so Brandstett­er. Er befürworte­te an der Uni St. Petersburg auch Kooperatio­nen von Universitä­ten.

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Justizmini­ster Brandstett­er und Konowalow, Herausgebe­r Brandstätt­er, Ministerpr­äsident Medwedew
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