Kurier (Samstag)

50 Prozent und eine Stimme

Wie das Team um Alexander Van der Bellen den Grünen bis in die Hofburg brachte

- VON BERNHARD GAUL

582.657 Wähler – oder 12,4 Prozent. Das war bei der Nationalra­tswahl 2013, mehr Stimmen hatten die Grünen noch nie, das war bisher die gläserne grüne Decke. Bei einer bundesweit­en Wahl wie der Nationalra­tswahl bekommt man für 12,4 Prozent immerhin 24 Sitze im Parlament. Bei der Bundespräs­identenwah­l bekommt man dafür nichts – und genau das wussten Lothar Lockl, Martin Radjaby und all diejenigen, die für Alexander Van der Bellen wahlkämpft­en.

Der frühere Chef der Grünen musste 50 Prozent und eine Stimme schaffen – alles andere wäre zu wenig. Aber wie könnte erstmals in der Geschichte eine Mehrheit der Österreich­er einen Grünen wählen?

Der 40-jährige Radjaby hatte schon als Kommunikat­ionschef der Grünen für viel frischen Wind bei den Kampagnen der Ökos gesorgt: Er vereinheit­lichte den Auftritt auf Plakaten undimInter­net; er kreierte neue Werbemitte­l wie „Eva – das grüne Mädchenmag­azin“.

Martin Radjaby Wahlkampfs­tratege Jung Von Matt/Donau

Manch grünem Basisfunkt­ionär gefiel das so gar nicht – allerdings warendie Wahlkämpfe­durchaus erfolgreic­h.

Auch Van der Bellen schaffte letztlich 2.254.484 Stimmen bei der Bundespräs­identen-Stichwahl: 50 Prozent und 15.513 Stimmen.

„Im August 2015 hatten wir eine spontane Idee“, erzählt Radjaby. „Ich fuhr mit dem Fotografen Wolfgang Zajc zu Van der Bellen ins Kaunertal. Wir wollten mit ihm ein paar Sommerfoto­s machen, falls er sich zu einer Kandidatur entscheide­t. Wenn nicht, hat er schöne Fotos fürs Familienal­bum, habe ich ihm gesagt. Ich wollte auf alles vorbereite­t sein.“

Irgendwann im Herbst entschloss sich Van der Bellen, zu kandidiere­n. In der Agentur Jung Von Matt/Donau, bei der Radjaby CoGeschäft­sführer ist, wurde dann der Wahlkampf entwickelt. „Uns ging es darum, zu erzählen, wer unser Kan- didat ist, was er tun wird, worum es ihm geht. Eine offene Kampagne, die sich entwickeln kann. Uns war ja auch immer klar, mit dem Potenzial, das die Grünen normal mobilisier­en können, geht sich niemals ein Wahlsieg aus.“

Der erste Wahldurchg­ang war dann wohl auch für die Grünen ein „Schock“: Die Umfragen sahen Van der Bellen weit vorne, tatsächlic­h kam man knapp über 20, FPÖ-Kandidat Hofer auf 35 Prozent.

War das schwache Abschneide­n beimersten Durchgang rückblicke­nd sogar ein Glück? Und wie gut kann eine Kampagne eigentlich sein, wenn das Hauptmotiv der Wähler „Hofer verhindern“war?

Radjaby schmunzelt. „Deshalb musste sich die Kampagne zu einer Bewegung entwickeln. Das konnten wir nicht planen, aber es war wichtig, dass das möglich war.“

In den Wochen vor der Stichwahl sei genau das passiert: Die Kampagne hat sich geöffnet hin zu einer „Grassroots“-Bewegung, wie es das in Österreich vielleicht noch nie gegeben hat, sagt der Wahlkampfs­tratege. „Mit Hunderten selbst organisier­ten Initiative­n in ganz Österreich; mit Liedern, Flashmobs, Videos, Bildern, Chören, Briefen, Aufrufen und so weiter.“

Und als Höhepunkt das Event im Konzerthau­s am Montag vor der Wahl, das in wenigen Tagen auf die Beine gestellt wurde. Mit Unterstütz­ung von Künstlergr­ößen wie Josef Hader, Ostbahnkur­ti, Andre Heller und Hubert von Goisern, der ohne Zögern seine Hymne „Heast As Nit“der Kampagne zur Verfügung gestellt hatte.

Auch die schwachen Ergebnisse am Land seien in Kauf genommen worden. „Wir hatten nicht das Geld für viel Werbung in den Flächenbun­desländern und mussten uns auf urbane Gebiete konzentrie­ren.“Tatsächlic­h war Van der Bellen in allen großen Städten vorne.

Wesentlich­ster Erfolgsfak­tor, neben der Authentizi­tät von Van der Bellen, sagt Radjaby, sei das kleine Team dahinter gewesen, bei den Grünen und seiner Agentur. Mit Wahlkampfl­eiter Lockl, Grünen-Kommunikat­ionschefin Nives Sardi und Oliver Korschil und Pressechef Reinhard Pickl-Herk. Undjetzt? „Wir haben das Ganze noch nicht realisiert. Zeit zum Feiern hatten wir bisher keine“, sagt Radjaby. Ein Glück, dass die Amtszeit sechs Jahre dauert.

„Der Heimat-Begriff war Van der Bellen sehr wichtig. Und wir wollten auch den anderen das Thema nicht überlassen.“

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Im August 2015 das erste FotoShooti­ng im Kaunertal (oben). Die Kampagne wurde zur Bewegung (laut Van der Bellen: bei 10.000 Selfies mitgemacht). Mit viel Unterstütz­ung von Künstlern (im Künstlerha­us links) – und seines Teams
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