Kurier (Samstag)

Kairos Müll-Berge als Chance für Österreich

Ägyptens Hauptstadt sucht Investoren und Hilfe angesichts gigantisch­er Umweltprob­leme

- AUS KAIRO INGRID STEINER-GASHI

Alles, was hier, in der riesigen Mülldeponi­e am südlichen Stadtrand von Kairo, angeliefer­t wird, hat sein Gutes: Es wird getrennt, wiederverw­ertet, gepresst, verbrannt oder letztlich unter einer dicken Schicht Wüstensand vergraben. Aber dieser Abfall landet nicht, wie fast die Hälfte des Mülls der 20 Millionen Einwohner zählenden Megacity, auf illegalen Mistbergen. Und unübersehb­ar verrotten Abfallrest­e auch, übel vor sich hin stinkend, in den Straßen, Hinterhöfe­n und Seitengass­en der Stadt. Mülltonnen gibt es in Kairo nicht. Der Dreck wird einfach auf die Straße geworfen.

30.000 Tonnen Müll produziert die ägyptische Hauptstadt jeden Tag. Wären da nicht die Zehntausen­den sogenannte­n Müllmensch­en, die Zabaleen, die den Abfall der Kairoer einsammeln, dann händisch auseinande­rklauben und verkaufen, was immer sich davon wieder verwerten lässt – der Moloch Kairo wäre längst an seinem eigenen Dreck erstickt.

Doch die Stadt kann ihre Abfallberg­e längst nicht mehr bewältigen. Der Moloch wächst unaufhalts­am weiter, ebenso wie die Bevölkerun­g des ganzen Staates. Jedes Jahr gibt es zwei Millionen Ägypter mehr. Schon jetzt leben 90 Millionen Menschen im ressourcen­armen Land amNil, ein Drittel davon in bitterer Armut.

Riesige Mülldeponi­en

Zumindest in Sachen Müllentsor­gung und -Verwertung erhofft sich Ägyptens Umweltmini­ster Khaled Fahmy Hilfe und Know-how von Österreich. Gut gelaunt und mit vielen Späßchen auf den Lippen führt der Minister, der angesichts der drückenden Umweltprob­leme Ägyptens eigentlich in Depression­en verfallen müsste, seinen österreich­ischen Amtskolleg­en durch die Deponie-Anlage. Zwischen Sandstaubw­olken sieht Andrä Rupprechte­r, wie Bagger den Restmüll niederwalz­en und begraben. In Österreich gibt es Mülldeponi­en schon seit Jahren nicht mehr.

Im Schlepptau hatte Rupprechte­r diese WocheinKai­ro fast zwei Dutzend Vertreter österreich­ischer Unternehme­r, die viel beisteuern könnten: Ideen, Wissen, Technologi­e und Konzepte, wie sich Ägypten von der Müllvermei­dung bis hin zur -Verwertung seinen gewaltigen Herausford­erungen stellen könnte. „In der Abfallbewi­rtschaftun­g“, unterstrei­cht der Umweltmini­ster aus Tirol gegenüber seinen ägyptische­n Gesprächsp­artnern immer wieder, „zählt Österreich europa- und weltweit zu den Besten.“

Doch dass sich das lockende Geschäft mit dem Müll auch als Desaster erweisen kann, mussten schon italienisc­he und spanische Unternehme­n erleben. Die hatten zwar Mülltonnen aufstellen lassen. Doch sie bedachten nicht, dass die Kairoer ihren Abfall nur bis vor die Tür bringen. Als die Regierung versuchte, die „Müllmensch­en“aus dem Abfallgesc­häft zu drängen, stapelte sich der Dreck bald meterhoch.

„Kein Müllkrieg“

Ohne die „Zabaleen“ist in Kairo kein Müllgeschä­ft zu machen. Sie sind es, die den Dreck von den Haustüren abholen und vom Verkauf des Wiederverw­ertbaren leben. Ohne Müll gibt es für die Zabaleen und ihre Familien, fast alle sind koptische Christen, in Kairo kein Überleben.

„Wir wollen hier keinen Müllkrieg starten“, warnt denn auch Umweltmini­ster Fahmy und deutet damit an, dass die herrschend­en Strukturen auch mit den moderns- ten Abfallverw­ertungssys­temen nicht einfach ignoriert werden können. „Ohne einen lokalen Partner kann man hier nicht in den Markt einsteigen“, weiß auch Martin Woller. Der Handelsdel­egierte der Wirtschaft­skammer in Ägypten brachte dieser Tage österreich­ische Unternehme­r mit ägyptische­n Interessen­ten zusammen.

Militär-Kontrolle

„Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um in Ägypten zu investiere­n“, sagt Rupprechte­r. Die Ordnung im Land sei wiederherg­estellt, meint der Minister, setzt aber nach: „Die schwierige Lage der Menschenre­chte will ich nicht leugnen.“

Konkret bedeutet dies: Nach dem Sturz des islamistis­chen Präsidente­n Mursi vor drei Jahren haben Präsident Al-Sisi und das alles beherrsche­nde Militär die Lage wieder eisenhart im Griff. „Stabi- lität“lautet die Devise, der alles untergeord­net wird. Aufbegehre­n ist unerwünsch­t, an die 40.000 politische­n Gefangenen fristen derzeit in Ägypten ein elendes Dasein.

Investiere­n – Arbeitsplä­tze schaffen und die Lebensumst­ände verbessern müsse man jetzt aber auch, weil die Probleme Ägyptens so drängend seien, sagt Rupprechte­r. Angesichts der rasant steigenden Bevölkerun­gszahlen werden in Ägypten Energie und Wasser knapp. Bis 2050 muss der Wasserverb­rauch pro Kopf um 50 Prozent gesenkt werden, um mit den Reserven auszukomme­n.

Mit mechanisch­er Bewässerun­g wäre schon ein riesiger Schritt getan, schildert Otto Roiss vom Röhren- und Pumpenwerk Bauer. „Ägypten hat große Möglichkei­ten, enorme Wassermeng­en zu sparen. „Wenn man in der Landwirtsc­haft nicht nach der traditione­llen Methode f luten, sondern mechanisch­e Bewässerun­g einsetzen würde, wären nur drei bis zehn Prozent der jetzt benötigten Wassermeng­en erforderli­ch.“

Der Austro-Ägypter Ibrahim Abouleish hat indessen das Unmögliche gewagt. Vor 40 Jahren kaufte der Pharmazeut 70 Hektar Wüste. Die erste Ernte waren zwei Steigen Melonen – heute beschäftig­t Abouleish auf seiner biologisch-dynamisch wirtschaft­enden „Sekem“-Farm an die 2000 Mitarbeite­r. Seinem Besucher Andrä Rupprechte­r gab er einen Rat mit auf den Weg. „Ägypten braucht viel Unterstütz­ung, Geld, Investoren, Entwicklun­gsarbeit. Wir müssen die Menschen trainieren, ausbilden und hier halten. Viel Aufwand ist nötig, um die Wüste zu beleben. Wir brauchen Land zum Leben.“

 ??  ?? Mülleimer gibt es in der 20-Millionen-Einwohner-Stadt Kairo nicht. Der Abfall wird von „Müllmensch­en“eingesamme­lt oder bleibt liegen
Mülleimer gibt es in der 20-Millionen-Einwohner-Stadt Kairo nicht. Der Abfall wird von „Müllmensch­en“eingesamme­lt oder bleibt liegen
 ??  ?? Umweltmini­ster Rupprechte­r im Gespräch mit einem Schäfer
Umweltmini­ster Rupprechte­r im Gespräch mit einem Schäfer

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