„Ich halte das für untragbar“
ORF-Chefredakteur Fritz Dittlbacher hält seiner Mannschaft gegen FPÖ-Angriffe die Stange. Dass nach einer Recherchepanne „Unvollständigkeiten“auf Sendung gingen, bedauert er dennoch.
ORF- Chefredakteur Dittlbacher über den Clinch mit der FPÖ und Facebook-Drohungen.
Die Bundespräsidentenwahl markierte einen neuen Tiefpunkt im Verhältnis zwischen ORF und FPÖ. Nach einem Recherchefehler beim „TV-Duell“zur Israelreise Norbert Hofers geriet der ORF vier Tage vor dem Urnengang argumentativ in höchste Nöte. Der Chefredakteur des aktuellen Dienstes, Fritz Dittlbacher ist also mit drängenden Fragen zur ORFBerichterstattung konfrontiert. Im KURIER-Interview nimmt er Stellung zu Versäumnissen und dem heiklen Umgang mit einer Partei, die alles andere als zimperlich ist. KURIER: Die Bundespräsidentenwahl ist geschlagen und für die FPÖ steht fest: Der ORF will uns verhindern. Haben Sie Verständnis für diese Wahrnehmung? Fritz Dittlbacher: Nein, dafür habe ich überhaupt kein Verständnis. Der ORF hat auch in diesem Wahlkampf wie in vielen davor gezeigt, dass sein Anliegen die möglichst umfassende Information ist und genau so haben wir es auch diesmal wieder gemacht. Wenn man sich die Aussendungen der FPÖ ansieht, dürfte das dort anders wahrgenommen werden. Dort wird das Thema ORF fast hysterisch behandelt. Am Tag nach dem letzten TV-Duell war von „Entgleisung“die Rede und Rücktritte von Ingrid Thurnher und ORF-Chef Alexander Wrabetz wurden gefordert.
Sie haben das Wort „hysterisch“in den Mund genommen. Ich dürfte es nicht aussprechen, aber widersprechen muss ich Ihnen natürlich auch nicht. Rücktrittsaufforderungen gegen TV-Moderatoren richten sich von selbst. Das ist kein politisches Amt, sondern eine journalistische Tätigkeit. Bei Norbert Hofers Besuch am Tempelberg 2014 gab es aber eine Amtshandlung, bei der auf eine Frau geschossen worden ist. Sie überlebte, auch wenn Hofer behauptete, sie sei zehn Meter neben ihm erschossen worden. Von Maschinenpistolen oder Granaten konnte im Gegensatz zu seiner Darstellung keine Rede sein. Zudem war sie Jüdin, nicht Muslima. Dennoch: Der ORF wusste von der Amtshandlung nichts, als Hofer damit vor Millionenpublikum konfrontiert wurde. Das war peinlich.
Wir haben das nachrecherchiert, was Herr Hofer über diesen Vorfall erzählt hat. Es ist immer schwierig, etwas zu recherchieren, das nicht stattgefunden hat. Aber räumen Sie auch ein, dass da ein Fehler passiert ist?
Ein Fehler wäre es gewesen, wenn es eine Fehlinformation gewesen wäre. Wir haben eine Unvollständigkeit auf Sendung gebracht, das bedaure ich. Wir haben danach versucht, diese Vollständigkeit vor einem zumindest genauso großen Publikum wieder herzustellen. Das hätte ich aber natürlich gerne gleich auf Sendung gehabt. Wir hätten Herrn Hofer nämlich dennoch gefragt, warum er von einem Terroranschlag spricht, wenn in Wirklichkeit einer unbewaffneten Frau ins Bein geschossen wurde. Denn bei jemandem, der für das höchste Amt des Staates kandidiert, müssen eben besondere Kriterien der Glaubwürdigkeit angelegt werden. Gerade die FPÖ spitzt in der politischen Debatte gerne zu – bis hin zum kreativen Umgang mit Fakten. Den Journalisten unterstellt die Partei dann, sie würden wie im Falle Hofers besonders hart nachfragen. Wie geht die Grätsche zwischen Aufklären und fair behandeln?
Es ist die Aufgabe von Journalisten, alles abzuklopfen und gerade in so wichtigen Wahlen möglichst genau hinzusehen. Wir haben auch bei Alexander Van der Bellen die Frage seiner Glaubwürdigkeit in Sachen Parteiunabhängigkeit hinterfragt, ebenso wie seine Position zu TTIP, die sich im Wahlkampf deutlich anders dargestellt hat wie noch vor einem Jahr. Um solche Glaubwürdigkeitsfragen ging es eben auch bei Norbert Hofer. Wenn sich wiederum führende Interviewer wie Armin Wolf öffentlich über das Thema lustig machen, kann das nicht dazu angetan sein, dass man einen normalen Umgang miteinander findet. Er hat am Montag mit den Worten Hofers gespielt und getwittert: „Als ich in Wien war, habe ich etwas Fürchterliches erlebt. 10 Meter neben mir wurde ein Wahlergebnis im Fernsehen nicht verkündet.“Was sagen Sie dazu?
Zentrales Augenmerk meiner Tätigkeit als Chefredakteur gilt dem, was die Kollegen in ihrer beruflichen Rolle machen, das heißt also: bei uns auf Sendung. Wir haben aber ein Regulativ für ORF- Journalisten, wie sie sich auf Social Media verhal- ten sollen. Ganz verkürzt steht dort: „Mach nichts Dummes.“Diesen Satz unterstreiche ich jedes Mal und in jedem Gespräch. Auf Facebook-Seiten der FPÖ waren nach dem TV-Duell Hofer/Van der Bellen Postings mit Vergewaltigungsfantasien zu lesen, die Ingrid Thurnher im Mittelpunkt gehabt haben. Ist das eine neue Realität, der man sich als Frau in dem Beruf stellen muss?
Ich halte das für vollkommen untragbar. Wir haben bereits am Freitag unsere Rechtsabteilung eingeschaltet. Aber auch die FPÖ hat hier eine andere Linie in ihren Social-Media-Auftritten angekündigt und auch schon durchgeführt. Derartige Angriffe in diesem halböffentlichen Bereich hinterlassen schon Spuren. Im Internet für alle lesbar herabgewürdigt und beschimpft zu werden, lässt niemanden unbeeindruckt. Eine Abrüstung der Worte würde ich sehr unterstützen. Ein Thema für die FPÖ waren auch die Hochrechnungen des ORF. Ihre Experten haben den wirklich knappen Sieg von Van der Bellen schon zu einem Zeitpunkt vorausgesagt, als die gezählten Stimmen noch einen hohen Vorsprung für Norbert Hofer zeigten. Heinz-Christian Strache fand das auf Facebook verdächtig. Wenn ein Vorsitzender einer Parlamentspartei Hochrech-