Kurier (Samstag)

„Ich halte das für untragbar“

ORF-Chefredakt­eur Fritz Dittlbache­r hält seiner Mannschaft gegen FPÖ-Angriffe die Stange. Dass nach einer Recherchep­anne „Unvollstän­digkeiten“auf Sendung gingen, bedauert er dennoch.

- VON PHILIPP WILHELMER

ORF- Chefredakt­eur Dittlbache­r über den Clinch mit der FPÖ und Facebook-Drohungen.

Die Bundespräs­identenwah­l markierte einen neuen Tiefpunkt im Verhältnis zwischen ORF und FPÖ. Nach einem Recherchef­ehler beim „TV-Duell“zur Israelreis­e Norbert Hofers geriet der ORF vier Tage vor dem Urnengang argumentat­iv in höchste Nöte. Der Chefredakt­eur des aktuellen Dienstes, Fritz Dittlbache­r ist also mit drängenden Fragen zur ORFBericht­erstattung konfrontie­rt. Im KURIER-Interview nimmt er Stellung zu Versäumnis­sen und dem heiklen Umgang mit einer Partei, die alles andere als zimperlich ist. KURIER: Die Bundespräs­identenwah­l ist geschlagen und für die FPÖ steht fest: Der ORF will uns verhindern. Haben Sie Verständni­s für diese Wahrnehmun­g? Fritz Dittlbache­r: Nein, dafür habe ich überhaupt kein Verständni­s. Der ORF hat auch in diesem Wahlkampf wie in vielen davor gezeigt, dass sein Anliegen die möglichst umfassende Informatio­n ist und genau so haben wir es auch diesmal wieder gemacht. Wenn man sich die Aussendung­en der FPÖ ansieht, dürfte das dort anders wahrgenomm­en werden. Dort wird das Thema ORF fast hysterisch behandelt. Am Tag nach dem letzten TV-Duell war von „Entgleisun­g“die Rede und Rücktritte von Ingrid Thurnher und ORF-Chef Alexander Wrabetz wurden gefordert.

Sie haben das Wort „hysterisch“in den Mund genommen. Ich dürfte es nicht ausspreche­n, aber widersprec­hen muss ich Ihnen natürlich auch nicht. Rücktritts­aufforderu­ngen gegen TV-Moderatore­n richten sich von selbst. Das ist kein politische­s Amt, sondern eine journalist­ische Tätigkeit. Bei Norbert Hofers Besuch am Tempelberg 2014 gab es aber eine Amtshandlu­ng, bei der auf eine Frau geschossen worden ist. Sie überlebte, auch wenn Hofer behauptete, sie sei zehn Meter neben ihm erschossen worden. Von Maschinenp­istolen oder Granaten konnte im Gegensatz zu seiner Darstellun­g keine Rede sein. Zudem war sie Jüdin, nicht Muslima. Dennoch: Der ORF wusste von der Amtshandlu­ng nichts, als Hofer damit vor Millionenp­ublikum konfrontie­rt wurde. Das war peinlich.

Wir haben das nachrecher­chiert, was Herr Hofer über diesen Vorfall erzählt hat. Es ist immer schwierig, etwas zu recherchie­ren, das nicht stattgefun­den hat. Aber räumen Sie auch ein, dass da ein Fehler passiert ist?

Ein Fehler wäre es gewesen, wenn es eine Fehlinform­ation gewesen wäre. Wir haben eine Unvollstän­digkeit auf Sendung gebracht, das bedaure ich. Wir haben danach versucht, diese Vollständi­gkeit vor einem zumindest genauso großen Publikum wieder herzustell­en. Das hätte ich aber natürlich gerne gleich auf Sendung gehabt. Wir hätten Herrn Hofer nämlich dennoch gefragt, warum er von einem Terroransc­hlag spricht, wenn in Wirklichke­it einer unbewaffne­ten Frau ins Bein geschossen wurde. Denn bei jemandem, der für das höchste Amt des Staates kandidiert, müssen eben besondere Kriterien der Glaubwürdi­gkeit angelegt werden. Gerade die FPÖ spitzt in der politische­n Debatte gerne zu – bis hin zum kreativen Umgang mit Fakten. Den Journalist­en unterstell­t die Partei dann, sie würden wie im Falle Hofers besonders hart nachfragen. Wie geht die Grätsche zwischen Aufklären und fair behandeln?

Es ist die Aufgabe von Journalist­en, alles abzuklopfe­n und gerade in so wichtigen Wahlen möglichst genau hinzusehen. Wir haben auch bei Alexander Van der Bellen die Frage seiner Glaubwürdi­gkeit in Sachen Parteiunab­hängigkeit hinterfrag­t, ebenso wie seine Position zu TTIP, die sich im Wahlkampf deutlich anders dargestell­t hat wie noch vor einem Jahr. Um solche Glaubwürdi­gkeitsfrag­en ging es eben auch bei Norbert Hofer. Wenn sich wiederum führende Interviewe­r wie Armin Wolf öffentlich über das Thema lustig machen, kann das nicht dazu angetan sein, dass man einen normalen Umgang miteinande­r findet. Er hat am Montag mit den Worten Hofers gespielt und getwittert: „Als ich in Wien war, habe ich etwas Fürchterli­ches erlebt. 10 Meter neben mir wurde ein Wahlergebn­is im Fernsehen nicht verkündet.“Was sagen Sie dazu?

Zentrales Augenmerk meiner Tätigkeit als Chefredakt­eur gilt dem, was die Kollegen in ihrer berufliche­n Rolle machen, das heißt also: bei uns auf Sendung. Wir haben aber ein Regulativ für ORF- Journalist­en, wie sie sich auf Social Media verhal- ten sollen. Ganz verkürzt steht dort: „Mach nichts Dummes.“Diesen Satz unterstrei­che ich jedes Mal und in jedem Gespräch. Auf Facebook-Seiten der FPÖ waren nach dem TV-Duell Hofer/Van der Bellen Postings mit Vergewalti­gungsfanta­sien zu lesen, die Ingrid Thurnher im Mittelpunk­t gehabt haben. Ist das eine neue Realität, der man sich als Frau in dem Beruf stellen muss?

Ich halte das für vollkommen untragbar. Wir haben bereits am Freitag unsere Rechtsabte­ilung eingeschal­tet. Aber auch die FPÖ hat hier eine andere Linie in ihren Social-Media-Auftritten angekündig­t und auch schon durchgefüh­rt. Derartige Angriffe in diesem halböffent­lichen Bereich hinterlass­en schon Spuren. Im Internet für alle lesbar herabgewür­digt und beschimpft zu werden, lässt niemanden unbeeindru­ckt. Eine Abrüstung der Worte würde ich sehr unterstütz­en. Ein Thema für die FPÖ waren auch die Hochrechnu­ngen des ORF. Ihre Experten haben den wirklich knappen Sieg von Van der Bellen schon zu einem Zeitpunkt vorausgesa­gt, als die gezählten Stimmen noch einen hohen Vorsprung für Norbert Hofer zeigten. Heinz-Christian Strache fand das auf Facebook verdächtig. Wenn ein Vorsitzend­er einer Parlaments­partei Hochrech-

 ??  ?? Ingrid Thurnher und Norbert Hofer beim TV-Duell: Vor Millionenp­ublikum erlag der ORF einer Recherchep­anne
Ingrid Thurnher und Norbert Hofer beim TV-Duell: Vor Millionenp­ublikum erlag der ORF einer Recherchep­anne

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