Mehr als eine Wiese: Die Wissenschaft vom Rasen
Gutes Grün ist besonders viel wert. Das zeigt sich gerade bei dieser EM. Bianca Götz-Richter hat drei Stadien ausgestattet. Sie verrät, was guter Rasen braucht und weshalb es in Frankreich nicht nach Plan lief
Nicht ganz so gelaufen, wie erhofft. Dabei war die Qualität der Österreicher hochgelobt. Die UEFA persönlich hatte sie überprüft und attestiert: „Der beste Europas!“
Nein, die Rede ist nicht von den heimischen Fußballern, sondern vom Rasen, den die Firma Richter für drei der zehn EM-Stadien – Marseille, Nizza und Lille – geliefert hat. Doch ausgerechnet dort hielt das Grün den Tritten nicht stand. Es gab Kritik von den Turnierveranstaltern am niederösterreichischen Rasen. Besonders in Marseille lief es nicht rund für die Österreicher.
In Lille wurde der österreichische Rasen am Donnerstag abgetragen und durch ein neues Grün aus den Niederlanden ersetzt. „Schwierige Wetterbedingungen hätten dem Rasen irrepa- rable Schäden zugefügt“, teilten die EURO-Organisatoren mit. Auf dem niederländischen Rasen treffen bereits am Sonntag Deutschland und die Slowakei aufeinander.
Bianca Götz-Richter, JuniorChefin von Richter Rasen aus Niederösterreich, ist alles andere als zufrieden: „Leider herrschen in zwei der drei Stadien ganz miese Bedingungen für Naturrasen. Fakt ist, dass wir reiner RasenLieferant waren. Und genau da liegt das Problem. Wir durften weder den Untergrund verbessern, noch haben wir unseren Rasen verlegt, noch gepflegt. Sie können sich sicher vorstellen, was passiert, wenn man ein Naturprodukt zwei Wochen lang falsch behandelt.“In Marseille besteht der Untergrund aus einem Gemisch mit Plastikfasern. Das seien keine guten Voraussetzungen für die Verwurzelung von Naturrasen. In Lille ist die Rasentragschicht ein schwarzer, lehmiger und schwach durchlässiger Oberboden. Das lasse Wasser nur langsam abfließen, der tagelange Starkregen in Lille habe das seine getan.
Test-Labor
600 Hektar Anbaufläche nennt Götz-Richter in Niederösterreich ihr Eigen. Rasen-Test-Labor inklusive. Dort untersucht ihr Team verschiedene GräserMischungen auf Stabilität und Krankheitsanfälligkeit. Und dort wird der Rasen zwei Jahre lang gezüchtet, ehe er ins Stadion darf.
Besonders kräftig, belastbar, regenerationsfreudig und anspruchslos. Die Eigenschaften der Pflanzenarten lesen sich fast wie das Anforderungsprofil der Spieler, die ihn mit Füßen treten. Perfekt gestutzt auf knapp drei Zentimeter sind Weidelgras und Wiesenrispe die ästhetische Grundlage der EM.
Auch bei Rasen Richter in Deutsch-Brodersdorf sind die beiden Gräser Standard. Die Mischung? „Ein Coca-Cola-Geheimnis“. Bianca Götz-Richter lacht. „In den vergangenen Jahren haben wir eine Mischung entwickelt, die für Fußball optimal ist.“
Ein Geheimnis verrät sie: „Unser Anzucht-Boden ist etwas Besonderes. Wir produzieren auf reinemQuarz-Sand, der in der Eiszeit entstanden ist. Es geht um Faktoren wie Reiß- und Schär-Festigkeit, Rebound-Verhalten zum Fußball.“Götz-Richter wirft mit Fachbegriffen umsich – so ein Rasen ist eine Wissenschaft: „Der Rasen entscheidet, wie schnell der Ball rollt. Wir testen alles im Vorfeld, denn all diese Faktoren können für das Gelingen eines Turniers ausschlaggebend sein.“Nur eben diesmal nicht. Schade. ... das Grün im Schatten der Fußballstadien zur Wachstumsförderung mit UV-Licht bestrahlt wird? ... spezielle Rasenmäher den Unterschied in der Optik machen? Nach dem Mähen werden die Halme in die Richtung plattgedrückt, in die die Maschine fährt. Für ein Karomuster wird der Rasen doppelt gemäht – einmal längs und einmal quer. ... beim Rasen „Kurzhaarschnitt“Pflicht ist? Etwa 25 bis 28 Millimeter Grashöhe sind Usus. Spieler würden 20 mm bevorzugen, denn dann läuft der Ball schneller. Weniger als 25 Millimeter schaden dem Grün aber. ... Fußballer mit ihren Stollenschuhen im Torraum das 120-fache der Bodenbelastung von Bullen auf der Weide verursachen? Das haben deutsche Rasen-Experten errechnet.