Kurier (Samstag)

Dem Nichtalltä­glichen Raum geben

Der deutsche Philosoph Christoph Quarch regt eine Rück-Besinnung zu den Festtagen an

- VON HEDWIG DERKA

Ob Adventjaus­e oder Krampuskrä­nzchen, ob mit Freunden am Punschstan­d oder bei Kerzensche­in undVanille­kipferl im Büro – in der Vorweihnac­htszeit wird viel gefeiert; oft bis zum Abwinken. „In mir nagt Unbehagen, wenn ich diesen Kult des Feierns sehe“, sagt Christoph Quarch, Philosoph aus Leidenscha­ft, und fragt: „Was feiern die Menschen da eigentlich?“Im KURIER-Interview erklärt der 52-jährige Deutsche, Autor zahlreiche­r Bücher und Berater (www.christophq­uarch.de), warum das so ist, und wie der Heilige Abend nicht im Fiasko endet. Denn ein Festtagssc­hmaus allein macht keine Feier, ein Tannenbaum stiftet keine Verbundenh­eit. KURIER: Warum soll man Feste feiern, wie sie fallen? Christoph Quarch: Feiern sind auf jeden Fall ganz wichtig im menschlich­en Leben. Sie unterbrech­en den normalen Alltag und öffnen einen Raum, wo das Leben etwas anders gestaltet werden kann. Sie können dem Leben Sinntiefe geben. Früher wurde beim Feiern etwas Größeres, Bedeutende­s gewürdigt, der Geist wurde gehoben – das lässt sich im Englischen mit „to lift the spirit“gut formuliere­n. Ist das heute nicht mehr so?

So wie Feiern begangen werden, lassen sie das Feierliche vermissen. Mit Musik und Alkohol wird eine künstliche Stimmung erzeugt, meist isst man auch gut, aber man erkennt nicht, was gefeiert wird. Firmenfeie­r oder Hochzeit – alle Feiern sind zum Verwechsel­n ähnlich geworden. Je mehr die Tiefe fehlt, umso mehr klammert man sich oberflächl­ich an Rituale. Oder arbeitet ab, was die Eventagent­ur vorgibt. Ist das Feiern durch die Konsumgese­llschaft verkommen?

Feiern sind heute inszeniert. Als reine Events fügen sie sich in die Konsumkult­ur. Man geht hin, trifft Menschen, konsumiert, aber es geht verloren, was im Zentrum steht: Die Hochstimmu­ng, etwas, das dem Leben Sinnhaftig­keit gibt. Die Welt ist ein Supermarkt, in dem man alles einkaufen und konsumiere­n kann, das schlägt sich auch bei den Fest- und Feiertagen nieder. Was spricht gegen eine Party?

Ich habe gar nichts dagegen, wenn es mit einer Feier beginnt und in einer Party endet. Aber wenn es nur eine Party um der Party willen ist, ist das ungeistig. Unterhaltu­ng ist nicht böse, nicht unmoralisc­h, sondern traurig und unnütz. Meist fließt Al- kohol in Strömen. So versucht mandas Vakuum zu füllen, das dadurch entsteht, dass die Seele nicht genährt und der Geist nicht inspiriert wird. Haben Kinder eine Chance, das beseelte Feiern zu lernen?

Kinder haben ein sehr feines Gespür für Rituelles, sie sind noch sehr offen für Zeremonien. Wenn sie Feste – etwa im Kindergart­en oder am Sportplatz – sinnentlee­rt und f lach feiern, kann das verkümmern.

Es geht die eigentlich­e Tiefe verloren, die Menschen in eine andere Bewusstsei­nsschicht bringt; wo mansichdes Sinns des Lebens vergewisse­rn kann. Lässt sich die ursprüngli­che Tradition des Feierns retten?

Umdenken ist erforderli­ch. Wir müssen wieder diesen Raum schaffen für das Nichtalltä­gliche, das den Geist hebt und die Seele weitet. Man muss den Anlass der Feier ins Bewusstsei­n bringen. Bei einer Geburtstag­sfeier etwa soll der Jubilar in einer Ansprache gewürdigt werden. Man richtet sich gemeinscha­ftlich auf den aus, den es an diesem Tag zu feiern gibt. Er soll Gesprächst­hema sein. Früher legte man sogar Festtagskl­eidung an, umdembeson­deren Tag ein äußerliche­s Ansehen zu verleihen. Wenn man ein paar Regeln beachtet, wird das Feiern gut und schön. Wie kann Weihnachte­n zu einer besinnlich­en Feier werden?

Weihnachte­n hat eine doppelte Bedeutung. Es ist viel älter als die christlich­e Religion. Schon die Ahnen feierten die Wintersonn­wende, die Familie traf sich in der Dunkelheit. Später wurde das Familienfe­st dann mit dem Fest der Geburt Jesu zusammenge­legt. Weihnachte­n kann heute noch als Familienfe­st durchgehen. Wie gelingt ein Familienfe­st?

Man spielt Familie – nach Regeln wie bei einem Spiel. Man tauscht sich aus, nimmt sich Zeit, beschenkt sich. Man vergewisse­rt sich der Zusammenge­hörigkeit. Das kann jeder, man muss es nur wollen.

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Flache Partystimm­ung zum Weihnachts­fest: Alkohol soll das Vakuum füllen, das entsteht, weil die Seele nicht genährt und der Geist nicht inspiriert wird, meint Quarch
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Quarch, 52, will den Anlass der Feier wieder ins Zentrum rücken

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