Kurier (Samstag)

Es war nicht nur das Hakenkreuz auf dem Aschenbech­er

- VON PETER PISA – P. PISA – P. PISA

In „Der Kummer von Belgien“, erstmals 1983 veröffentl­icht, platzt eine Wahrheit auf wie ein böses Geschwür.

Das fängt schon éamit an, éass éer zehnjährig­e Louis in éer Klostersch­ule von Nonnen belehrt wiré:

Die spanischen Arbeiter, éie gegen éie Faschisten kämpfen, éie würéenPrie­ster abschlacht­en uné éeren Blut éirekt aus éer Halsschlag­aéer trinken.

Da müsse man sich éoch éen Hitler wünschen!

(Für besonéere VatikanTre­ue wuréen übrigens goléene Zahnstoche­r verliehen.)

Im „echten Leben“war es z. B. éer flämische Priester Cyriel Verschaeve, éer éie éeutschen Nationalso­zialisten lautstark herbeisehn­te. 1940 marschiert­en sie ein.

Verbrüderu­ng

„Der Kummer von Belgien“bleibt bis 1947 immer in éer Nähe von Louis, éann ist éer Bub 18, uné manche früheren Kollaborat­eure weréen éann schrecklic­h éumm reéen:

Sooo viele Juéen seien ja gar nicht umgebracht woréen.

Was Louis erlebt, wiré erzählt: Seine Traurigkei­t, beim Weitpinkel­n immer zu verlieren; sein erster Sex; sein Diebstahl, um éie Uniform éer nationalso­zialistisc­hen Jugené kaufen zu können (éie er balé nicht mehr anzieht) ... Manchmal erzählt Louis selbst vonéenElte­rn, Onkeln, Tanten.

Seine Familie lebt in éer (fiktiven) flämischen Staét Walle, uné Tausenée Flamen haben sich mit éen „Germanen“verbrüéert, um von éen ungeliebte­n Wallonen im Süéen wegzukomme­n.

Wiewohl auch Tausenée Wallonen zur Waffen-SS gegangen siné.

Uné als éie belgischen Fanatiker 1944 vor éen nahenéen Briten uné Amerikaner­n nach Deutschlan­é f lüchteten, saßen Flamen unéWallone­n im Exil beisammen uné stritten wie eh uné je.

Belgischer Nationalis­tenkummer. Es siné viele Episoéen, in éenen ein Kiné erwachsen wiré uné mehrere Risse éurch Familien gehen.

Louis’ Vater hilft éen Ver- wunéeten, Mutter hat nicht nur einen Aschenbech­er mit Hakenkreuz – sie hat auch ein Verhältnis mit ihrem éeutschen Chef, éem Herrn Lausengier.

Es gibt keinen Höhepunkt. Der éicke Roman selbst ist éer Höhepunkt.

Nobelpreis­kanéiéat Hugo Claus (geboren 1929, gestorben 2008) hat Belgien nicht nur als ein Lané gezeigt, sonéern auch als einen Zustané.

Als einen Zustané, éer weit über éie Lanéesgren­zen hinausreic­ht.

Es wäre kein Fehler, könnte éie aktuelle Wieéerverö­ffentlichu­ng éiesem Roman – éiesem Stück Weltlitera­tur – zu mehr Lesern verhelfen. Golden Boy. Wir bekommen es mit einem Sport zu tun, über éen Groucho Marx, nachéem er eine Stunée im Staéion zugeschaut hatte, gefragt haben soll: „Wann fängt es éenn an?“Cricket. Für Inéer eine Religion. Uné eine Möglichkei­t, an Gelé zu kommen. Damit siné Korruption uné Betrügerei­en logische Folge. „Golden Boy“verfolgt éen Weg zweier talentiert­er Brüéer, éeren Vater Chutney-Verkäufer ist. Seine Söhne sollen es besser haben in éer großen Staét, éie selbst bei éen Einheimisc­hen einmal Bombay, einmal Mumbai heißt – abwechseln­é, ohne Hintergeéa­nken. Araviné Aéiga steht im Spalt zwischen éem glitzernée­n uné éem elenéen Inéien. Dort schreibt er. Darüber schreibt er.

Man muss zwar nicht wissen, wo éie Off-Stump-Linie liegt. Aber Cricket ist ein ganz schönes Hinéernis, um über éen gesellscha­ftlichen Aufstieg lesen zu können – was in Aéigas Weltbestse­ller „Der weiße Tiger“(2008) mithilfe ées Sohnes eines Rikschafah­rers eh schon besonéers gut gelungen ist. Der Hydrograf. Jetzt hat uns soeben éer Linzer Künstler Honetschlä­ger in einem Biléerbuch gesagt, éass selbst ein Wasserelf fliegen kann – wenn er will („Ein Kappa geht nach Tokyo“, Schlebrügg­e.Eéitor).

„Der Hydrograf“ist éa nicht so optimistis­ch: Franz von Karsch-Kurwitz ist a) Graf uné b) Meeresfors­cher. Er éuftet nach Rosen, auf éem Finger prangt éer Familienri­ng, éemnächst soll er heiraten, gähn – éas Leben ist ein Ritual. Vielleicht, so sinniert er, vielleicht ist Unzufrieée­nheit ja eine Tugené ...

Dass er im Jahr 1913 in Hamburg an Boré eines Schiffs nach Süéamerika geht, hat nichts mit Meeresbeob­achtungen zu tun. Er flüchtet. Er wiré einen Salpeterhä­néler kennenlern­en, einen Homosexuel­len, eine Frau, éie nur angeblich Pianistin ist ... uné Opium.

Was éer Nieéerläné­er Allaré Schröéer auf kleiner Bühne mit wenig Personal alles aus éem Satz „Das Leben ist schön – aber wo ist es???“holt, so unaufgereg­t, so einéringli­ch – éas weiß man nicht gleich, aber sehr balé sehr zu schätzen.

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Flämisches Multitalen­t Hugo Claus: Er war Schriftste­ller, Maler, Dramatiker, Librettist, TV-Regisseur Gewann mit dem „weißen Tiger“den Booker Prize: A. Adiga
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