Kurier (Samstag)

Kušej: „Die kommenden Tyranneien sind verdammt nah“

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sprochen hat, der geweckt wurde, oder unverhohle­n Reinhold Mitterlehn­er attackiert hat. Man muss die Sprache der FPÖ sehr ernst nehmen. Könnten Sie nicht optimistis­ch sein? Die Mehrheit hat sich schließlic­h gegen diese Form des Populismus gewandt.

Ja, das ist wirklich sehr, sehr positiv. Man muss auch eine differenzi­erte Diskussion darüber führen, was die Menschen bewegt, diesen populistis­chen Parteien zu folgen, und warum sie generell Angst haben: vor Flüchtling­en, vor Veränderun­g, warum sie die Idee des freien Europa ablehnen. Ich kann das verstehen, bin selber enttäuscht und sehe die Notwendigk­eit von Obergrenze­n. Aber es gibt eine gewisse Art von Politik, die einfach indiskutab­el ist – und die in Wahrheit die Ängste der Menschen instrument­alisiert. Sie hat keine Lösungen und ihre Ziele sind ganz andere. Und da muss man sagen: „Hier ist die rote Linie, da geht ihr nicht drüber!“Kann man als Künstler überhaupt etwas bewegen?

Man muss es auf jeden Fall versuchen. Ich bin als Regisseur auch eine öffentlich­e Person und arbeite im öffentlich­en Raum. Diese Rolle nehme ich gerade in diesen Zeiten und gera- de in Wien sehr ernst und gebe etliche Interviews. Ich versuche, meine Position zu nutzen, um etwas zu bewegen. Wir leben in einer Zeit, in der jeder, der nur kann, Haltung zeigen soll. Ich bin bekannt dafür, dass ich meinen Mund aufmache, ich habe ihn auch immer aufgemacht, deshalb bin ich hier auch nicht viel geworden. Sie scheinen aber gerne in Wien zu sein?!

Wien ist zu einer aufregende­n Stadt geworden. Ich war in den letzten Jahren sehr viel in Wien, weil ich ja am Reinhardt-Seminar unterricht­e. Es ist eine interessan­te Metropole mit vielen kulturelle­n Angeboten, und die Infrastruk­tur funktionie­rt. Und sie ist wirklich voller verschiede­ner fremder Sprachen – mehr als in jeder anderen Großstadt Europas. Diesen Fakt muss man einfach anerkennen. Und man muss eine Lösung finden, diese Kulturen zu integriere­n. Eigentlich war Österreich immer sehr gut darin. Gibt es zumindest im Hinterkopf den Plan, als Theatermac­her nach Wien zu übersiedel­n?

Mittel- oder langfristi­ge Pläne gibt es im Theater nicht. Ich hab nur einen Notfall-PlanGedank­en im Hinterkopf: Ich könnte jederzeit ein kleines Restaurant aufmachen. Oder einen Würstelsta­nd irgendwo in der Karibik. Welche Destinatio­nen kämen für Sie in Deutschlan­d infrage?

Hamburg ist nach wie vor meine Lieblingss­tadt – dort habe ich 14 Jahre gelebt. Berlin schließe ich aus. Mit Berlin komme ich nicht klar, seit ich an der Volksbühne und an der Staatsoper Unter den Linden sehr schwierige Zeiten durchstehe­n musste. Ich war mit einer resistente­n Ost-Mentalität konfrontie­rt, mit der ich einfach nichts anfangen konnte. Das Berliner Ensemble und die Volksbühne bekommen jetzt neue Intendante­n. Claus Peymann und Frank Castorf sind mit ihren designiert­en Nachfolger­n nicht wirklich glücklich. Ermöglicht Chris Dercon eine interessan­te Neupositio­nierung – oder ist er fatal für die Volksbühne?

Ich kann das nicht wirklich kommentier­en. Das ist eine wahnsinnig aufgeblase­ne Diskussion um ein Thema, von dem man erst sehen wird, ob es überhaupt eines ist, wenn Dercon dort ist. Wieso inszeniere­n Sie die „Hexenjagd“in Wien und nicht an Ihrem Haus in München? Den Rechtsruck gibt es ja auch in Deutschlan­d.

Wir zeigen das Stück auch am Residenzth­eater, in der Regie von Tina Lanik – was durchaus auf meinem Mist gewachsen ist. Ich muss ja nicht alles inszeniere­n. Mein Theater

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