„Geteiltes Leid ist halbes Leid“
Immer mehr Menschen brauchen Lebensmittelausgaben. Vor Weihnachten ist der Andrang besonders groß
Maria steht am sogenannt Pack-Tisch. Eine Kiste voller Lebensmittel vor ihr. Ihr Einkaufstrolley hinter ihr. Zuerst schlichtet sie die Erdäpfel hinein. Dann Kohlrüben und Gurke, Brokkoli und Paprika. Brot, Weckerln, Schnitten und zum Schluss Joghurts.
Seit Mai kommtdie 65-Jährige jeden Mittwoch in die Lebensmittelausgabestelle des Caritas-Projekts LeO in der Pfarre Erlöserkirche in Wien-Liesing. Maria, gebürtige Ungarin, lebt seit 1975 in Österreich. Sie hat als Putzfrau gearbeitet, drei Kinder großgezogen und ist jetzt Mindestsicherungsbezieherin. „Ich sage es Ihnen, wie es ist: Ohne LeO hätte ich schon aufgegeben. Mir bleiben im Monat 50 Euro zum Leben.“
Seit 2009 gibt es das Projekt LeO (Lebensmittel und Orientierung) der Caritas Wien in Kooperation mit Pfarren in Wien und Umgebung. Um einen symbolischen Beitrag von 3,50 Euro können armutsbetroffene Menschen etwa zehn Kilogramm Lebensmittel einkaufen, deren Mindesthaltbarkeitsdatum zwar schon erreicht oder überschritten ist, die aber noch genießbar sind. Jede Woche holen freiwillige Helfer die Lebensmittel aus den Lagern der Supermärkte und bringen sie in die Ausgabestellen. Dort werden sie von Freiwilligen verteilt. 15 LeO-Ausgaben gibt es in Wien. Jeden Tag hat eine andere geöffnet. In Wien-Liesing ist es der Mittwoch.
Immer mehr Kunden
Umhalbelf amVormittagöffnet die Pfarre ihre Pforten. Und schon ein paar Minuten nach zehn Uhr stehen die Menschen mit ihren Einkaufstrolleys Schlange. „Vor Weihnachten ist immer mehr los“, sagt Elisabeth Lehninger. Sie koordiniert die Ausgabestelle ehrenamtlich. Normalerweise kommen am Mittwoch etwa 80 Personen in die Ausgabe. „Vorige Woche hatten wir genau 99. Ein neuer Rekord“, sagt Lehninger. Ein trauriger. Denn die Zahl der Klienten in den Lebensmittelausgaben steigt nicht nur vor der Weihnachtszeit an: 2010 wurden knapp 11.000 Personen unterstützt, heuer waren es 18.000. Es sind Migranten und Flüchtlinge, die in die Ausgaben kommen. Aber auch Familien, viele Pensionisten und alleinerziehende Mütter.
Elisabeth Unterrainer kommt mit ihrer Tochter Isabella (4) in die Lebensmittelausgabe. „Es war eine Überwindung für mich, herzukommen. Und es ist jedes Mal wieder eine“, sagt sie. Aber es werde leichter, wenn sie ihre Tochter mit leuchtenden Augen sieht. Denn zu Weihnachten bereiten die 40 LeO-Helfer in Liesing für jeden Kunden ein kleines Weihnachtsgeschenk vor. Für die Erwachsenen gibt es Tee oder Kaffee und Parfümproben, für die Kinder Nutella, Kakao und Honig. „Wow, schau was du bekommen hast“, sagt Elisabeth Unterrainer zu ihrer Tochter. Es sind Nüsse. „Isabella liebt Nüsse. Und Honig“, sagt ihre Mama. Dinge, die sie sich nie leis- ten kann. Die Vierjährige kriegt große Augen, nimmt das Sackerl mit den Nüssen und drückt es fest an sich.
Täglicher Kampf ums Überleben
„Die Situation, in der sich unsere Klienten befinden, ist oft aussichtslos“, sagt Koordinatorin Lehninger. Manche würden ums Überleben kämpfen. So wie Ursula Baumann (Name von der Redaktion geändert). Sie habe ihr Leben lang gearbeitet, ihre Kinder allein großgezogen und bekomme jetzt knapp über 1000 Euro Pension, etwas mehr als die Mindestpension. „Deswegen falle ich um alle Zuschüsse um“, sagt Baumann. Sie bekomme keinen Mietzuschuss, keinen Heizkostenzuschuss und werde nicht von der Rezeptgebühr befreit. Am Ende jedes Monats müsse sie sich entscheiden, obsie mit demrestlichen Geld etwas zu essen kauft, oder die Wohnung heizt. „Im Moment dreh’ ich die Heizung nicht auf“, sagt Frau Baumann. Die Nachzahlung, sagt sie, würde sie sich nicht leisten können, und Schulden wolle sie keine machen. „Ich will nicht betteln“, sagt die Frau und beginnt zu weinen. „Ich hab’ mein Leben lang gearbeitet und will für mich selbst sorgen.“Aber es gehe sich einfach nicht aus. Für die freiwilligen Helfer in der Pfarre hat Frau Baumann etwas zusammengespart und Schoko-Marzipan-Engel gemacht. „NehmenS’ den“, sagt sie. „Es ist traurig, das Leben. Auf Wiederschauen.“(In jeder LeO-Ausgabestelle stehen zwei Sozialarbeiter bereit, Anm.).
Auch für die freiwilligen Helfer sind Schicksalsgeschichten, wie jene von Frau Baumann, nicht einfach zu verdauen. „Aber wie heißt es so schön?“, sagt Elisabeth Lehninger. „Geteiltes Leid ist halbes Leid.“Die Klienten danken es den Freiwilligen. „Ich bin so froh, dass ich hierher kommen kann“, sagt Mindestpensionistin Maria zu Alba, einer Freiwilligen, die ihr beim Packen der Einkaufstasche hilft. Dann kommen ihr die Tränen. „Ich komme mit Ach und Krach über die Runden“, sagt Maria. „Es ist nicht leicht, aber irgendwo geht immer ein Lichtlein auf.“
Für LeO wird dringend ein neuer Bus benötigt: Spendenkonto: IBAN: AT47 2011 1890 8900 0000. Kennwort: KURIER hilft Leo.