Kurier (Samstag)

„Geisterzug“: Polizei ermittelt nicht

Geisterzüg­e: Polizei ermittelt nicht

- VON DOMINIK SCHREIBER UND PATRICK WAMMERL

Sabotage? Beim dritten derartigen Vorfall lösten sich gleich vier Bremsen. Zug rollte 30 Minuten.

Ein über 1000 Tonnen schwerer, voll beladener Güterzug rollt herrenlos fast eine halbe Stunde über die Südbahnstr­ecke von Bad Vöslau Richtung Mödling – und legt diese zwei Stunden lang lahm. Hier verkehren internatio­nale Züge wie Railjets. Eine Schnellbah­n war am Nebengleis unterwegs, als der Zug ohne Lok vorbeiroll­te. Die 19 Waggons waren mit vier Handbremse­n gesichert. Natürlich ist ein Sabotageve­rdacht nicht von der Hand zu weisen und wurde zunächst auch von den ÖBB nicht ausgeschlo­ssen.

Dennoch wird der brisante Vorfall vom Donnerstag ausschließ­lich durch von den ÖBB bezahlte Mitarbeite­r untersucht. Weder die erst am Nachmittag kontaktier­te Polizei noch die Staatsanwa­ltschaft zeigen derzeit ein Interesse daran, die genaueren Hintergrün­de zu untersuche­n: „Wir sind in Kenntnis darüber, was passiert ist. Aber derzeit gibt es noch keine konkreten Hinweise auf ein mögliches Fremdversc­hulden. Sobald es vonseiten der ÖBB einen anderen Verdacht gibt, wird es eine Anzeige geben“, erklärt ein zuständige­r Beamter.

„Keine konkrete Gemeingefä­hrdung“

Damit die Staatsanwa­ltschaft von sich aus Ermittlung­en starten kann, braucht es den Anfangsver­dacht einer Straftat, erklärt der Sprecher der Staatsanwa­ltschaft Wiener Neustadt, Erich Habitzl. Führerlos dahinrolle­nde Eisenbahnw­aggons erfüllen nicht von vornherein den Tatbestand der „Gefährdung der körperlich­en Sicherheit“, sagt Habitzl: „Wenn der Vorfall rechtzeiti­g erkannt wurde und Maßnahmen gesetzt wurden, damit niemand zu Schaden kommt, dann liegt keine konkrete Gefährdung vor. Sollte die Unfallkomm­ission der ÖBBein anderes Ergebnis zu Tage bringen, werde ein Ermittlung­sverfahren eingeleite­t.

Als Erstes prüfte die interne ÖBB-Konzernsic­herheit den Vorfall. So wurden auf eigene Faust Videos gesichtet – dabei soll aber nichts Auffällige­s entdeckt worden sein, erklärt Bahnsprech­er Roman Hahslinger. Der Güterzug wurde in eine Halle geschleppt, anschließe­nd wurde die Untersuchu­ngsstelle des Verkehrsmi­nisteriums eingeschal­tet.

Doch: Deren Chef bezieht sein Gehalt von den ÖBB, genauso wie zwei seiner Mitarbeite­r, die diese Fälle untersuche­n. Bleibt die Frage offen, ob ein mögliches Verschulde­n der ÖBB hier überhaupt zutage treten würde. „Das Wort Interessen­skonflikt scheint man in Österreich nicht zu kennen“, kritisiert Neos-Abgeordnet­er Rainer Hable. Er hat diese Zustände bereits mehrfach angeprange­rt und dazu serienweis­e Anfragen ins Parlament gebracht. Doch Folgen hatte das bisher nicht, die Unfallunte­rsuchungen geschehen weiterhin so wie bisher, obwohl auch ÖVP und Grüne heftige Kritik daran üben.

Die ÖBB haben jedenfalls noch am Donnerstag die Order ausgegeben, dass künftig jeder stehende Zug mit Hemmschuhe­n (Keilen) gesichert werden muss. Einen Zusammenha­ng mit ähnlichen Vorfällen in Wieselburg und Wien schließt man aus. Bei diesen beidenUnfä­llen imHerbst gab es zuvor Verschub- arbeiten. Der aktuelle Zug stand hingegen vier Tage unberührt auf einem sogenannte­n „Ladegleis“, einer Art Parkplatz für Züge.

Aufgefalle­n ist das „Entrollen“des Zuges – so der Fachausdru­ck – laut Hahslinger gleichzeit­ig in der Betriebsfü­hrung am Wiener Hauptbahnh­of sowie einem S-Bahn-Fahrer, der am Gegengleis unterwegs war. Die ÖBB haben derzeit „keine Erklärung“, wie es zu dem Vorfall gekommen ist. Um die Bremsen zu lösen sei jedenfalls „Fachwissen“notwendig, wird betont. Was Donnerstag in der Früh genau auf Gleis sieben des Bahnhof Bad Vöslau passiert ist, bleibt vorerst ein Rätsel.

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Mehrere Verletzte in Wieselburg – die ÖBB sehen aber keinen Zusammenha­ng mit dem aktuellen Fall
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ÖBB-Sprecher Hahslinger: „Um die Bremsen zu lösen, benötigt man entspreche­ndes Fachwissen“

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