„Geisterzug“: Polizei ermittelt nicht
Geisterzüge: Polizei ermittelt nicht
Sabotage? Beim dritten derartigen Vorfall lösten sich gleich vier Bremsen. Zug rollte 30 Minuten.
Ein über 1000 Tonnen schwerer, voll beladener Güterzug rollt herrenlos fast eine halbe Stunde über die Südbahnstrecke von Bad Vöslau Richtung Mödling – und legt diese zwei Stunden lang lahm. Hier verkehren internationale Züge wie Railjets. Eine Schnellbahn war am Nebengleis unterwegs, als der Zug ohne Lok vorbeirollte. Die 19 Waggons waren mit vier Handbremsen gesichert. Natürlich ist ein Sabotageverdacht nicht von der Hand zu weisen und wurde zunächst auch von den ÖBB nicht ausgeschlossen.
Dennoch wird der brisante Vorfall vom Donnerstag ausschließlich durch von den ÖBB bezahlte Mitarbeiter untersucht. Weder die erst am Nachmittag kontaktierte Polizei noch die Staatsanwaltschaft zeigen derzeit ein Interesse daran, die genaueren Hintergründe zu untersuchen: „Wir sind in Kenntnis darüber, was passiert ist. Aber derzeit gibt es noch keine konkreten Hinweise auf ein mögliches Fremdverschulden. Sobald es vonseiten der ÖBB einen anderen Verdacht gibt, wird es eine Anzeige geben“, erklärt ein zuständiger Beamter.
„Keine konkrete Gemeingefährdung“
Damit die Staatsanwaltschaft von sich aus Ermittlungen starten kann, braucht es den Anfangsverdacht einer Straftat, erklärt der Sprecher der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt, Erich Habitzl. Führerlos dahinrollende Eisenbahnwaggons erfüllen nicht von vornherein den Tatbestand der „Gefährdung der körperlichen Sicherheit“, sagt Habitzl: „Wenn der Vorfall rechtzeitig erkannt wurde und Maßnahmen gesetzt wurden, damit niemand zu Schaden kommt, dann liegt keine konkrete Gefährdung vor. Sollte die Unfallkommission der ÖBBein anderes Ergebnis zu Tage bringen, werde ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Als Erstes prüfte die interne ÖBB-Konzernsicherheit den Vorfall. So wurden auf eigene Faust Videos gesichtet – dabei soll aber nichts Auffälliges entdeckt worden sein, erklärt Bahnsprecher Roman Hahslinger. Der Güterzug wurde in eine Halle geschleppt, anschließend wurde die Untersuchungsstelle des Verkehrsministeriums eingeschaltet.
Doch: Deren Chef bezieht sein Gehalt von den ÖBB, genauso wie zwei seiner Mitarbeiter, die diese Fälle untersuchen. Bleibt die Frage offen, ob ein mögliches Verschulden der ÖBB hier überhaupt zutage treten würde. „Das Wort Interessenskonflikt scheint man in Österreich nicht zu kennen“, kritisiert Neos-Abgeordneter Rainer Hable. Er hat diese Zustände bereits mehrfach angeprangert und dazu serienweise Anfragen ins Parlament gebracht. Doch Folgen hatte das bisher nicht, die Unfalluntersuchungen geschehen weiterhin so wie bisher, obwohl auch ÖVP und Grüne heftige Kritik daran üben.
Die ÖBB haben jedenfalls noch am Donnerstag die Order ausgegeben, dass künftig jeder stehende Zug mit Hemmschuhen (Keilen) gesichert werden muss. Einen Zusammenhang mit ähnlichen Vorfällen in Wieselburg und Wien schließt man aus. Bei diesen beidenUnfällen imHerbst gab es zuvor Verschub- arbeiten. Der aktuelle Zug stand hingegen vier Tage unberührt auf einem sogenannten „Ladegleis“, einer Art Parkplatz für Züge.
Aufgefallen ist das „Entrollen“des Zuges – so der Fachausdruck – laut Hahslinger gleichzeitig in der Betriebsführung am Wiener Hauptbahnhof sowie einem S-Bahn-Fahrer, der am Gegengleis unterwegs war. Die ÖBB haben derzeit „keine Erklärung“, wie es zu dem Vorfall gekommen ist. Um die Bremsen zu lösen sei jedenfalls „Fachwissen“notwendig, wird betont. Was Donnerstag in der Früh genau auf Gleis sieben des Bahnhof Bad Vöslau passiert ist, bleibt vorerst ein Rätsel.