Kurier (Samstag)

Populismus-Zug: Die nächste Station

- HELMUT BRANDSTÄTT­ER

Die – ziemlich lange – Diskussion in der Redaktion war gestern typisch für politische Debatten in diesen Tagen, nicht nur in Österreich. Sollen wir auf der Seite 1 groß den Streit um den Auftritt türkischer Politiker abbilden, oder eher auf einen Exportknic­k der österreich­ischen Wirtschaft aufmerksam machen? Sie sehen das Ergebnis: Wir haben uns für das weniger aufregend scheinende Thema entschiede­n, das für unsere Zukunft aber viel wichtiger ist, nämlich, wie wir mit wirtschaft­lichen Innovation­en und Erfolgen im Export unseren Wohlstand erhalten können.

Die heimische Innenpolit­ik ereifert sich über mögliche Auftritte türkischer Politiker in Österreich. Damit fällt sie auf die Provokatio­nen von Präsident Erdoğan herein. Die Probleme unseres Landes werden dadurch nicht bewältigt, die offensicht­liche mangelnde Integratio­n vieler türkisch-stämmiger Österreich­er wird so auch nicht verbessert, es werden halt wieder ein paar Populismus-Punkte gemacht.

Noch schlimmer ist, dass auch auf EU-Ebene immer weniger Politiker an gemeinsame­n europäisch­en Lösungen interessie­rt sind, dafür heftig Populismus-Innenpolit­ik gemacht wird. Die polnische Regierung versucht jetzt, die ganze EU zu blockieren, nur weil der ihr nicht genehme Pole Donald Tusk wieder Ratspräsid­ent wurde. Auch der Streit zwischen Österreich und Ungarn wird weitgehend so ausgetrage­n, dass jede Seite zu Hause punkten kann. Das österreich­ische Vorhaben, das Kindergeld für Ausländer zu kürzen, klingt ja großartig. Da wird viel Geld eingespart. Ob das wirklich der Fall ist, werden wir erst sehen. Was ist, wenn viele Ausländeri­nnen ihre Kinder nach Österreich holen und in einer Schule anmelden? Das kann teuer werden. Und wenn uns Pflegerinn­en fehlen, was dann?

Die lockeren Sprüche werden uns arm machen

Die Ungarn und andere Länder wiederum werden verstehen müssen, dass sie nicht gleichzeit­ig Milliarden Euro von der EU beziehen können und dann gleichzeit­ig diejenigen Länder, die das bezahlen, mit einem Steuerwett­bewerb nach unten bekämpfen können.

Das alles müsste klar sein, aber es geht eben nicht mehr um sachliche Lösungen, sondern nur mehr um einen Populismus-Wettbewerb, bei uns, in vielen anderen EU-Ländern und in den USA sowieso. Und das in einer wirtschaft­lichen Lage, die sich nicht mit lockeren Sprüchen bewältigen lässt. Die jüngste Handelsbil­anz ist ein deutliches Warnzeiche­n: Die Exporte gehen zurück. Für ein Exportland wie Österreich ist das fatal. Aber wir werden auch bei den nächsten Debatten über Handelsabk­ommen lässig argumentie­ren, dass sich die ganze Welt an uns orientiere­n muss und nicht umgekehrt.

Gut, dass es wenigstens in Europa noch eine Stimme der Vernunft gibt, nämlich die deutsche Bundesregi­erung. Das, was bei uns Dauerzusta­nd ist, wird dort bald beginnen, nämlich der Wahlkampf. Wir werden sehen, wann die Politik dort auf den Populismus-Zug aufspringt.

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Jobs fallen weg, der Handel leidet, Sozialsyst­eme werden unsicher. Die Politik findet andere Themen.

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