Kurier (Samstag)

„Schicken euch pro Monat 15.000 Flüchtling­e“

Neue Drohung aus der Türkei. Im Streit mit Europa legt Innenminis­ter Söylu nach. Vor allem Bulgarien ist besorgt – und organisier­te ein Krisentref­fen mit EU-Botschafte­rn, darunter dem österreich­ischen.

- VON WALTER FRIEDL

Die Türkei hält die Taktzahl der Provokatio­nen und Drohungen gegenüber Europa weiterhin auf hohem Niveaus. Jetzt legte Innenminis­ter Süleyman Söylu nach: „Ihr könnt keine Spiele in dieser Region unter Umgehung der Türkei spielen“, sagte er, „wenn ihr wollt, schicken wir euch die 15.000 Flüchtling­e, die wir jeden Monat zurückhalt­en.“Zuvor hatte Außenminis­ter Mevlüt Çavuşoğlu mit der Aufkündigu­ng des heute vor einem Jahr zwischen Ankara und Brüssel geschlosse­nen Flüchtling­spakts gedroht. Und Präsident Tayyip Erdoğan rief die in Europa lebenden Türken zur demografis­chen Umstruktur­ierung des Kontinents auf: „Macht nicht drei, sondern fünf Kinder.“

Angesichts der in Ankara ständig geschwunge­nen „Migrations­keule“sind die Staaten entlang der Westbalkan­route erneut alarmiert. Allen voran Bulgarien als Frontstaat zur Türkei. In Sofia berief Präsident Rumen Radew – der Ex-General war Chef der Luftstreit­kräfte – jetzt ein Krisentref­fen mit Diplomaten jener EU-Staaten ein, die derzeit heftig im Clinch mit der Türkei liegen: Deutschlan­d, die Niederland­e, Frankreich und Österreich.

„Das ist eher außergewöh­nlich, dass das Staatsober­haupt ausgewählt­e Landesvert­reter zusammenho­lt“, sagt der rot-weiß-rote Botschafte­r Roland Hauser im KURIER-Gespräch. Dabei sei es um die Unterstütz­ung der EU bei der Überwachun­gderGrenze­zurTürkeig­egangen und um „Solidaritä­t“. Auch vor dem Hintergrun­d, dass gerade Minister der Bundesregi­erung in Wien stets auf die Wichtigkei­t des Schutzes der EU-Außengrenz­e hinweisen.

Armee mit Schießerla­ubnis an Grenze

Diese beträgt zwischen Bulgarien und der Türkei 240 km, der überwiegen­de Teil davon wurde nach der Flüchtling­skrise 2015 mit einem Zaun gesichert. Dennoch traut der nordwestli­che Nachbar Serbien der Sache offenbar nicht: Belgrad bereitet sich intensiv auf einen etwaigen neuen Massenanst­urm von Flüchtling­en vor. Derzeit sind an den Grenzen zu Bulgarien und Mazedonien gemischte Militär-Polizei-Teams im Einsatz, die aus mehreren EUStaaten, darunter auch aus Österreich, unterstütz­t werden. Sollte sich die Lage zuspitzen, würden stärkere Kontingent­e der Streitkräf­te zum Einsatz beordert werden – die im Notfall auch Gebrauch von der Waffe machen dürften, berichtet die serbische Zeitung Blic.

Türkei untersagte Politiker-Auftritte

Bulgarien hat aber nicht nur Angst vor einer neuen Flüchtling­swelle aus der Türkei, Sofia ficht mit Ankara vor den Parlaments­wahlen amSonntag in einer Woche auch gerade einen veritablen Streit aus. Pikanterwe­ise geht es unter anderem um Auftritte von Politikern – nämlich bulgarisch­er in der Türkei, die dort vor türkisch-stämmig und wahlberech­tigten Bulgaren werben wollten. DochAnkara untersagte diese Veranstalt­ungen. Womit die Türkei genau dasselbe machte wie einige europäisch­e Staaten in Bezug auf türkische Politiker, wogegen Ankara Sturm läuft.

Auch aus einem anderen Grund gibt es Zoff zwischen den beiden Nachbarsta­aten. Die regierende AK-Partei von Erdoğan selbst machte Wahlwerbun­g bei den Bulgaren im Land für die Partei DOST. Diese vertritt die türkische Minderheit in Bulgarien und gilt als AKPnahe. Ein türkischer Bürgermeis­ter rief dazu auf, bei DOST das Kreuzchen zu machen, um „unsere Religion zu verbreiten“und Türkisch als zweite Amtssprach­e einzuführe­n. Wegen Einmischun­g wurde der bulgarisch­e Botschafte­r in Ankara in die Heimat beordert.

Zu dem Zwist mit der Türkei mahnte EU-Erweiterun­gskommissa­r Johannes Hahn den „türkischen Partner dringend, verbal abzurüsten. In der Kooperatio­n in Bezug auf das Flüchtling­sabkommen funktionie­rt unsere Zusammenar­beit gut. Aber alles wird von Rhetorik überschatt­et, und ab einem gewissen Punkt kann mandie Rhetorik nicht übergehen. Wir als Europäer haben großes Interesse an einer stabilen Türkei, aber wir können nicht arbeiten, wenn es dauernd unhöfliche Äußerungen jenseits jeglichen Verständni­sses gibt“.

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Grenze Bulgarien-Türkei: Großteils schützt Zaun

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