Der faule Apfel: Horrorjob bei Apple
Mythos. Unmenschliche Arbeitsbedingungen, Demotivation und Selbstmorde: Eine Ex-Mitarbeiterin erzählt
„Bleiben Sie hungrig, bleiben Sie verrückt“. Diese Worte gab Apple-Gründer Steve Jobs Studenten auf ihren Berufsweg mit. Apple gilt nicht nur als innovativer Konzern, sondern auch als Entfaltungsort für Kreative. Doch das ist nur das Bild, das der Konzern nach außen vermittelt. Bei Apple selbst scheint es intern wie bei vielen anderen großen Konzernen zuzugehen.
Zumindest bekommt man diesen Eindruck, wenn man das Buch der Österreicherin Daniela Kickl liest, die fast drei Jahre lang in der Europazentrale des Konzerns in Irland als Telefon-Kundenbetreuerin gearbeitet hat. Vom Mythos Apple bleibt da nicht viel übrig. Der KURIER traf Kickl zum Interview. KURIER: Sie waren fast drei Jahre lang bei Apple als Call-Center-Mitarbeiterin beschäftigt. Was hat Sie an der Arbeitssituation in Irland gestört? Daniela Kickl: Die Arbeit in einem Call Center ist generell anstrengend, weil es immer wieder Kunden gibt, die einem sehr unangenehm entgegen treten. Aber es gibt niemanden, der an diesen Dingen zerbricht. Bei Apple ist es die Art und Weise, wie mit Mitarbeitern umgegangen wird, die einen auf Dauer zermürbt. Wie genau wird mit Mitarbeitern umgegangen?
Was formale Dinge betrifft, war alles ok. Wir bekamen pünktlich unser Gehalt. Aber der Umgang mit uns hat uns regelmäßig in die Verzweiflung getrieben. Wir wurden auf Zahlen und Vergleichswerte reduziert. Als Beispiel: Wir konnten 100 positive Bewertungen von unseren Kunden bekommen, gezählt hat aber nur die eine neutrale. Diese wurde als negativ gewertet. Da stand vielleicht drin: „Daniela Kickl war nett, aber die Musik in der Warteschleife war mies.“ Die Manager geben einem trotzdem die Schuld dafür. Das ist sehr bedrückend. Was hat Sie noch gestört?
Die Einteilung der Dienstzeiten erfolgte automatisch von einem System und war nicht verhandelbar. Familien mit Kindern wurden zu Wochenenddiensten verpflichtet, während es Singles gab, die diese gerne freiwillig übernommen hätten, weil sie mit Zuschlägen versehen waren. Begründet wurde das mit wirtschaftlichen Notwendigkeiten. Die Arbeitsplätze waren so klein, dass wir uns vorgekommen sind, wie Hühner in einer Legebatterie. Und die Manager, die uns überwacht haben, waren wie Roboter. Sogar die Klozeit war auf acht Minuten pro Tag beschränkt. Wie genau wurde das kontrolliert?
Wir mussten die Klopausen ins System eintragen. Von manchen Arbeitsplätzen aus hat die Zeit, um zur nächsten Toilette zu gelangen, bereits zwei bis drei Minuten in Anspruch genommen. Wir konnten dann nur eine Klopause pro Tag machen. Manchmal sind wir einfach aufs Klo gegangen, während unsere Computersysteme hochgefahren sind, damit wir Zeit einsparen. Wenn sie uns dabei erwischt haben, wurden wir abgemahnt. Welches Ereignis hat Sie persönlich am meisten getroffen?
Ich habe die erste Weihnachtsaufführung meines Sohnes verpasst, weil ich mir zu dem Zeitpunkt keinen Urlaubstag nehmen konnte. Mein Antrag wurde einfach abgelehnt. Begründet wurde das mit „gesunder Menschenverstand“. Eine Schulaufführung seines Kindes sei kein wichtiger Grund für Abwesenheit, hieß es damals. Sie haben dann daraufhin begonnen, eine Liste zu führen mit dem Titel „Der faule Apfel“. War dieses Dossier der Grund für Ihr Buch?
Nein. Aber ich habe die Liste dazu verwendet, alles in einer schönen Analyse zu verpacken, die ich demobersten Management geschickt habe und zwar sowohl in Irland als auch in den USA. Ich habe meine gesammelten Missstände auch an Tim Cook persönlich geschickt. Ich wollte etwas Positives beitragen und habe auch konstruktive Vorschläge für Verbesserungen gemacht. Was ist dann passiert?
Die Reaktion auf meine eMail war faktisch nur ein organisatorischer Verdauungstrakt. Mein Anliegen wurde zwar offiziell behandelt, aber passiert ist nichts und alles wurde noch schlimmer. Es wurden häufiger Verfahren gegen Mitarbeiter eingeleitet, wenn die Zahlen nicht stimmten. Viele meiner Kollegen sind gegangen. Andere Mitarbeiter haben sich, wie man gehört hat, umgebracht. Haben Sie dafür Belege?
Einmal kam eine Dame aus der Personalabteilung in einer Sitzung zu uns, die uns mitgeteilt hat, dass ein Kollege nicht mehr unter uns weilt. Das habe ich komisch gefunden und mich gewundert, warum sie uns das erzählt. Hinter den Kulissen haben wir dann erfahren, dass sich die Person umgebracht hat. Auch das habe ich in dem Brief an Tim Cook angesprochen. Dazu hieß es vom Konzern jedoch nur, dass Apple dazu nicht Stellung nimmt. Ihnen persönlich ging es nach einer gewissen Zeit auch schlecht und Sie waren zehn Wochen im Krankenstand.
Ich habe mich gefühlt wie in einem kafkaesken Albtraum. Ich konnte in der Nacht nicht mehr schlafen, aus Angst vor dem morgigen Tag. Meine Gedanken waren: Wo werden sie wieder etwas finden, dass sie kritisieren können? Ich hatte alle möglichen Zustände. Auch meine Familie hat einen Unterschied bemerkt. Warum haben Sie sich entschieden, darüber ein Buch zu schreiben?
Vielleicht kann ich etwas Positives zur Arbeitswelt beitragen, indem ich aufzeige, dass es Dinge gibt, die zwar im gesetzlichen Rahmen sind, aber dennoch falsch sind. Wenn Menschen derart verzweifeln, läuft etwas falsch. Vielleicht gibt es da draußen andere, die auch sagen, dass sie das furchtbar finden. Das mag vielleicht naiv sein, aber wenn wir alle nur immer das, was uns im Leben stört und uns das Leben vermiest, immer im stillen Kämmerlein erzählen, wird sich die Welt nicht verändern. Für Sie war der Job ein beruflicher Rückschritt. Warum haben Sie es trotzdem getan?
Es hat mich gereizt, einmal ins Ausland zu gehen. Meine Kinder waren vier und elf und auch begeistert. Außerdem hat man mir beim Einstellungsprozess gesagt, dass man selbstverständlich Aufstiegschancen hat, wenn man bereits Qualifikationen hat. Das war nicht der Fall? Nein. Manager-Jobs haben die bekommen, mit denen man es leichter hatte. Aber die Manager sind ja keine bösen Menschen. Jeder hat bei Apple das zu tun, was einem das System vorschreibt. Viele sagen: „In anderen Firmen ist es auch nicht besser“.
Dieses Argument sollte eigentlich dazu führen, dass noch mehr Leute aufstehen.