Kurier (Samstag)

„Der Schmied schlägt den Schmiedl“ist out

- JOSEF VOTZI

Rückt die Mitte nach rechts, haben Krawallmac­her das Nachsehen – sechs Lehren aus der Holland-Wahl.

„Gut gemacht Holland“, jubelte Bild. „Die populistis­che Welle hat die Niederland­e nicht überwältig­t“, frohlockt La Repubblica. Die Bibel der italienisc­hen Intellektu­ellen und das deutsche Massenblat­t tönten selten einmal einstimmig: Bravo Niederland­e, ihr habt Euch und Europa viel erspart.

Dass Geert Wilders und seine FPÖ-Getreuen dagegen an-twittern – geschenkt. Neu ist, dass der heftige Widerspruc­h weit über den Wilders-Fanclub hinausgeht. „Warum reden wir hier von Niederlage von Wilders (plus 2 Mandate) und Sieg von Rutte (minus 9 Mandate)?“, twittert etwa die Chefin des SPÖ-nahen Meinungsfo­rschungsin­stituts IFES. Vor allem Soziallibe­rale bis Linke monieren unisono: Wilders sitze zwar weiterhin nicht in der Regierung, wird aber mehr denn je die Agenda prägen.

Ein Wahlergebn­is, zwei total diametrale Deutungen – was lässt sich daraus für den dräuenden Wahlgang in Österreich lernen? Simple Vergleichs­rechnungen zwischen Blau, Rot oder Schwarz bleiben ein Fischen im Trüben. In den Niederland­en standen mehr als 20 Parteien zur Wahl, 13 schafften es ins Parlament. Spannender­e Erkenntnis­se ergibt ein Blick auf die Wahl-Dramaturgi­e:

– Rückt die politische Mitte nach rechts, haben Krawallmac­her das Nachsehen: Noch vor zwei Wochen war Platz 1 für Wilders in Greifweite. Als der konservati­ve Premier Rutte Erdoğans Ministerin außer Landes wies, war ihm der Sieg nicht mehr zu nehmen. Die Theorie, man ginge lieber zum Schmied als zum Schmiedl, fiel im Praxistest durch.

– Starren auf die Stammwähle­r wird zum Blick ins Leere. Wahlen werden mit jenen gewonnen, die sich knapp davor und bald überwiegen­d jeweils anders entscheide­n.

– Der zunehmende Wettlauf beim EU-Bashing führt in die Sackgasse: Europa ist beim Wahlvolk (wieder) weitaus höher im Kurs als „die da oben“glauben. Pro-EUParteien haben mehr zugelegt als EU-Hasser wie Wilders. Der neue Polit-Star, Jesse Claver, vervierfac­hte als „grüner Justin Trudeau“seine Stimmen – mit einem weit über Holland hinaus überfällig­en Motto: „ Wir müssen wieder miteinande­r reden. Und nicht gegeneinan­der schreien.“

– Die Polarisier­ung zwischen linkem und rechtem Rand wird zwar schärfer. Gewonnen und verloren werden Wahlen aber im Kampf um den besten Platz in der breiten Mitte.

– Die Zeit, in der Mitte-Politiker mit Sowohl-als-auch reüssieren konnten, sind vorbei. Ohne Law and Order geht es für Mitte-Parteien auch im Vorzeigela­nd der Weltoffenh­eit nicht mehr. Gefragt sind nicht schwammige Floskeln, sondern kantige Ansagen – aber mit dem Florett und nicht mit dem Dreschfleg­el. Schrille Töne sind nach Brexit und Trump in Europa (wieder) out.

– Politik-Verdrossen­heit bleibt eine Fata Morgana. Was explodiert, ist die Politiker-Verdrossen­heit. Wenn Spitzenkan­didaten allerdings ein klares Angebot und einen inhaltlich spannenden Wahlkampf bieten, dann ist über Nacht Schluss mit der Wahlmüdigk­eit. In Holland gingen diese Woche wieder mehr als 80 Prozent zu den Urnen.

So gesehen hat Bild ohne jedes Wenn und Aber recht: „Gut gemacht, Holland.“

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