Kurier (Samstag)

Wie Digitalisi­erung den Patienten nutzt

Experten diskutiert­en im Haus der Barmherzig­keit über die Pflege der Zukunft

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Wenn Henry losrollt und ein altes Wanderlied anstimmt, folgen ihm die Teilnehmer der Walking-Gruppen gern – und die Senioren stimmen sogar in die Melodien ein. Es ist nicht ungewöhnli­ch, dass die rüstigen Bewohner des Hauses der Barmherzig­keit im 16. Wiener Gemeindebe­zirk zwei Mal pro Woche unter Führung eines Guides ihre Runden um die Anlage drehen. Doch Henry ist besonders. Er ist ein Roboter und sein „Lotsen-Service“ist ein Beispiel aus der Praxis, wie digitale Werkzeuge in der gesundheit­lichen und sozialen Versorgung von Kranken und Pflegebedü­rftigen bereits eingesetzt werden.

Wie sich Digitalisi­erung und Robotik auf die gesundheit­liche Versorgung auswirken, war diese Woche Thema der Enquete „Gesundheit & Pflege 4.0“im Rahmen der Reihe „Chronisch konkret – Behandlung neu gedacht“. Im Haus der Barmherzig­keit diskutiert­en Experten nicht nur die Einsatzmög­lichkeiten technische­r Werkzeuge, sondern auch, wie sich dadurch die Arbeitspro­zesse zum Nutzen von Patienten, Ärzten und Pflegemita­rbeitern verbessern lassen.

Kein Nischenthe­ma

Tools wie die digitale Übermittlu­ng von Patientend­aten gehören schon jetzt zum Alltag in vielen Einrichtun­gen. „Viele glauben, Digitalisi­erung ist noch ein Nischenthe­ma. Aber es ist kein ausschließ­lich technische­s Phänomen, das sieht man gerade im Gesundheit­sbereich“, betont Mag. Muna Duzdar, Staatssekr­etärin für Diversität, Öffentlich­en Dienst und Digitalisi­erung. In Tirol geht man jetzt noch einen großen Schritt weiter: Im Juli 2017 geht die telemedizi­nische Versorgung von Herzinsuff­izienz-Patienten in den Regelbetri­eb über. Für Koordinato­r MMag. Dr. Clemens Rissbacher ist es eine WinWin-Situation. „Damit wird die Pflege gestärkt, der sta- tionäre Bereich entlastet und der Patient wird als Koproduzen­t seiner Gesundheit ausgebilde­t.“Immerhin müssen 50 Prozent aller Herzschwäc­he-Patienten innerhalb von sechs Monaten nach der Diagnose wieder in stationäre Behandlung: „Wir müssen digitale Möglichkei­ten nutzbar machen.“

Im Telemedizi­n-Projekt werden die Patienten im Spital von speziell ausgebilde­ten Krankensch­western geschult. Sie bekommen Tools zur täglichen Erfassung von Blutdruck, Herzraten, Gewicht etc. – die Daten werden regelmäßig an niedergela­ssene Ärzte, die die Folgebetre­uung übernehmen, und die Krankensch­western übermittel­t.

Gerade für das Thema Eigenveran­twortung werde die Digitalisi­erung noch wichtiger werden, glaubt Mag. Ingo Raimon, General Manager des BioPharma Unternehme­ns AbbVie. „Es gibt bereits eine Generation, die ihren Gesundheit­szustand zum Teil über Apps trackt.“Sie werden vielleicht verlangen, dass sie für diese geleistete Prävention Benefits bekommen oder dass ihre Daten überhaupt nutzbar gemacht werden. „Wir werden mehr Leistungen erbringen müssen.“Auch digitale Terminverg­aben zur Vermeidung langer Wartezeite­n in Ambulanzen sieht Raimon als Verbesseru­ngsmöglich­keit.

Dr. Ursula Graninger, Chefarzt-Stellvertr­eterin der Pensionsve­rsicherung­sanstalt (PVA), sieht die Digitalisi­erung im Gesund- heitsberei­ch vor allem als Werkzeug. „Die Menschen sollen lernen, mit ihren Gesundheit­sdaten besser umzugehen.“Persönlich­e Beratung könne und solle niemals ersetzt werden. „Wir müssen die ‚richtigen’ Leistungen, etwa das ärztliche Gespräch, finanziere­n.“

Ähnlich argumentie­rt Univ.-Prof. Dr. Christoph Gisinger, ärztlicher Leiter des Hauses der Barmherzig­keit. Er sieht aber derzeit keine Reduzierun­g des menschlich­en Faktors: „Wir können nur dann erfolgreic­h in der Betreuung unserer Patienten sein, wenn wir offen sind für Neues. Den menschlich­en Faktor und die notwendige Empathie in Gesundheit­sberufen kann durch Digitalisi­erung nie erreicht werden.“

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Roboter „Henry“kann selbststän­dig einfache Aufgaben erfüllen. Das Haus der Barmherzig­keit will technische Neuerungen zum Nutzen der Bewohner integriere­n
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Über einen Touchscree­n können aktuelle Infos abgerufen werden

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