Kurier (Samstag)

Das Bildungswe­sen hat auf die Burschen vergessen

- martina.salomon@kurier.at

Ein Opernsänge­r (Ludovic Tézier) hat in einem Presse- Interview kürzlich sehr liebevoll über seinen schon verstorben­en Vater gesprochen und dabei etwas Ungewöhnli­ches gesagt: „Ein S Vater muss ein bisschen Angst machen. Heute gibt es kaum mehr Väter, die Angst machen, deshalb gibt es dieses Chaos überall.“Natürlich lehnt man diese These instinktiv ab – aber möglicherw­eise steckt doch etwas Wahres drin: Dass nämlich die männliche Autorität in unserer sozialpäda­gogischen Kuschelges­ellschaft abhanden gekommen ist, ja sogar als verwerflic­h gilt. Wenn das Wort „Angst“durch „Respekt“ersetzt wird, wird die Zustimmung schon größer.

Nein, niemand sollte sich die Rückkehr zur Rohrstaber­lPädagogik wünschen oder die Arbeit der Frauen im Erziehungs­und Bildungswe­sen abwerten. Aber zum Aufwachsen braucht es im Idealfall beide Geschlecht­er. Auch und gerade in unserer multikultu­rellen Gesellscha­ft, in der viele Burschen daheim leider keinen Respekt gegenüber Frauen erfahren haben.

Mädchen bevorzugt

Jahrzehnte­lang haben wir im Bildungswe­sen den Blick hauptsächl­ich auf die Mädchen geheftet, damit sie alte Rollenklis­chees hinter sich lassen. Das war schon wichtig. Aber auf die Bedürfniss­e der (oft ungleich unreiferen und zappeliger­en) männlichen Schüler wurde im- mer mehr vergessen. Hahnenkämp­fe, Türenknall­en, Fußbälle an die Wand dreschen? Kein ungewöhnli­ches Bubenverha­lten, das aber schnell als asozial geahndet und womöglich im „geschlecht­ssensiblen“Sesselkrei­s besprochen wird.

Auch in den modernen Wohnsilos, die derzeit verstärkt in die Höhe schießen, vermisst man Freiräume, damit sich Jugendlich­e beiderlei Geschlecht­s austoben können. Die gibt’s im Sportclub, doch das geht sich wegen der ganztägige­n Schule immer weniger aus. Diese wiederum bietet – vor allem in innerstädt­ischen Bezirken – oft viel zu wenig Fläche. Platz, wenn möglich unregulier­t, ist in Bauordnung­en leider nicht vorgesehen. Kein Wunder, dass Jugendlich­e daher bevorzugt in Shoppingma­lls herumhänge­n.

„Helden“gesucht

Nicht nur angesichts der zunehmende­n Zahl haltloser, zorniger junger Männer ist es hoch an der Zeit, auf die Buben zu achten. Auf die Lauten genauso wie auf die Stillen, um zu verhindern, dass sie sich problemati­sche „Helden“suchen. Diese finden sie dann manchmal in martialisc­hen Buben-Gangs, bei rechten Recken oder auch im Umfeld autoritäre­r Prediger. In diesen Gruppen sind sie dann plötzlich kein schwaches Würstel mehr, das schlechte Noten heimbringt, miese Chancen auf dem Jobmarkt hat und noch von keinem Mädel angeschaut wurde.

Burschen brauchen wahrschein­lich mehr noch als Mädchen positive Identifika­tionsfigur­en, „coole Typen“, ja, auch „wilde Hunde“, an denen sie sich messen und manchmal auch reiben können. Und wenn wir schon in der Berufswelt glauben, ohne Frauenquot­en nicht mehr auszukomme­n, dann wäre es nur logisch, auch umgekehrt in manchen „Frauenberu­fen“Männerquot­en einzuführe­n: also im gesamten Bildungs- und Erziehungs­wesen, bei der Pflege und im Marketing. Selbstbewu­sste, und dadurch partnersch­aftliche Männer wären ein Bildungszi­el. Lasst uns doch einmal darüber reden, statt ewig nur über Organisati­onsreforme­n zu streiten.

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