Kurier (Samstag)

Der Gequake der Frösche klingt heute nicht wie Glöckchen

Karl Ove Knausgård. Letzter Teil des Mammutproj­ekts. Wie reagierten die vom Norweger Bloßgestel­lten?

- VON PETER PISA

Angst!

Denn dass Karl Ove Knausgård seine Kinder badet und ins Bett bringt, dass er überlegt, ob seine LindebergJ­eans zum Ted-Baker-Jackett passen, dass er ein Silberfisc­hchen beobachtet, nur 30 cmvoneinem Fuß entfernt ... das kennt man vom Norweger, das mag man. Sehr viele mögen das. Aber die Glockenfrö­sche! Karl Ove trifft einen Fotografen, der Fotograf geht mit ihm spazieren, sie gehen zu einem Teich, der Fotograf sagt: Hier, nur hier gibt es Glockenfrö­sche. Und dann erklärt der Fotograf, Glockenfrö­sche heißen Glockenfrö­sche, weil ihr Gequake wie Glöckchen klingt, und dann sagt er: Leise! Hören wir zu!

Alles opfern

Und dann schweigen und lauschen sie, aber da ist nichts. Kein Frosch ist zu hören. Und Karl Ove und der Fotograf gehen weiter.

Ob man so etwas Nichtquake­ndes 1200 Seiten lang durchhält? „Kämpfen“ist der sechste und letzte Teil seines mehr oder minder autobiogra­fischen Riesenroma­ns.

Er hat ein Thema, nämlich die Reaktionen auf die ersten Bücher, die in Skandinavi­en ab 2009 – bis 2011 – veröffentl­icht wurden (und den heute 48-Jährigen weltberühm­t machten).

Die Reaktionen jener Menschen, die er schonungsl­os für seine Literatur vorgeführt hat.

Knausgård würde alles für einen guten Roman opfern. Sagt er selbst, und einige Leser fanden das derart unsympathi­sch, dass sie aufhör- ten, die Bücher zu lesen.

Seine Frau Linda Boström zum Beispiel und ihre umfangreic­hen psychische­n Probleme hat er vorgeführt.

Er hätte Linda erlaubt, einzelne Textteile zu streichen. Sie habe tagelang nichts mit ihm gesprochen, habe viel geweint, aber geändert habe sie keine Zeile. (Getrennt hat sie sich von ihm.)

Ich, Ich, Ich

Sein Onkel hielt Buch eins nicht aus: Er ist der Bruder von Karl Oves Vater, der als Alkoholike­r stirbt; in einem Haus voller Flaschen; eine arge Szene.

Vom Onkel wurde der Autor daraufhin als Lügner hingestell­t. Aber es dürfte nichts Großes sein, das der Wahrheit widerspric­ht.

Nur in der Art: Ob leere Schnapsfla­schen auch auf der Treppe im Haus standen oder nur unterm Bett, auf dem Klavier ... 1200 Seiten: Ich, Ich, Ich. Davon kann man sich allerdings 400 Seiten für später aufheben, denn da schaut er sich Hitler und dessen „Mein Kampf“genau an, das Böse, das wie du und ich ist zunächst; und er philosophi­ert klug über die Macht von Namen und über Identitäte­n – ich, wir es ... bis er dort ankommt, wo ihn sowieso alle vermuten: Er sei unfähig, Teil eines Wir zu sein.

Und jetzt bitte Linda Boström. Sie hat ihren ersten Roman geschriebe­n, er wurde bisher nur ins Englische übersetzt: Ein Mädchen wird geboren, als Zwölfjähri­ge, sie kommt im Kopf ihres Vaters zur Welt. Der Kopf platzt, das Mädchen läuft davon.

Und dann bitte einen Lese-Urlaub.

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Unfähig für ein Wir: Karl Ove Knausgård bekommt den Staatsprei­s für Europäisch­e Literatur
 ??  ?? Karl Ove Knausgård: „Kämpfen“Übersetzt von Paul Berf und Ulrich Sonnenberg. Luchterhan­d Verlag. 1280 Seiten. 29,90 Euro.
Karl Ove Knausgård: „Kämpfen“Übersetzt von Paul Berf und Ulrich Sonnenberg. Luchterhan­d Verlag. 1280 Seiten. 29,90 Euro.
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