„Ohne türkische Hilfe wird es schwierig“
Behörden prüfen Austro-Türken, wasserdichtew Beweise liegen aber in Ankara
96.000 Namen, 96.000 Menschen, 96.000 Geschichten – dafür braucht es jetzt 96.000mal Sitzfleisch seitens der Beamten; aber auch jener, die im Verdacht stehen, einen illegalen Zweitpass aus der Türkei zu besitzen.
Die Verfahren, die jetzt gestartet werden, können sich über Monate, wenn nicht Jahre, hinziehen. Und für die Republik könnte der Aufwand in vielen Fällen vergeblich sein, sagt Bernd-Christian Funk, Experte für Staatsund Verwaltungsrecht von der Uni Wien. „Die Schwierigkeit liegt darin, dass die Beweisführung hieb- und stichfest über die Bühne gebracht werden muss“, erklärt Funk. „Und ohne Mitwirkung der Türkei wird das schwierig.“
Aber von vorn: Ein Verdächtiger – nennen wir ihn Herr A. – scheint auf der türkischen Wählerevidenz, die dem Innenministerium zugespielt wurde, und gleichzeitig im heimischen Melderegister auf. Die Bezirksbehörde am Wohnort von Herrn A. leitet dann ein sogenanntes Feststellungsverfahren ein.
Kommen die Beamten bei den Ermittlungen – dazu gehören auch Zeugenbefragungen – zu dem Schluss, dass sich Herr A. tatsächlich nach der Einbürgerung in Österreich wieder einen türkischen Pass geholt hat, bekommt er einen Bescheid, der aber nur bestätigt, was ohnehin schon vollzogen ist: Den rot-weiß-roten Pass verliert Herr A. „ex lege“, also automatisch.
Wasserdichter Beweis
Herr A. kann dagegen aber Berufung einlegen – und damit den langwierigen Rechtsweg starten. Zunächst geht er zum Landesverwaltungsgericht, in letzter Instanz landet er beim Verwaltungsgerichtshof bzw. beim Verfassungsgerichtshof. Spätestens dort wird dann offenkundig, dass den Behörden ein letztes Puzzlestück fehlt: „Die türkische Behörde, die bestätigt: ja, derjenige ist unser Staatsbürger“, sagt Verwaltungsjurist Funk.
Die österreichischen Behörden werden versuchen, diese Bestätigung vorab zu bekommen – ein eher aussichtsloses Unterfangen, meint Funk. „Die Türkei ist zwar völkerrechtlich dazu verpflichtet, bei der Aufklärung in Rechtsfragen mitzu- wirken, aber zwingen kann man sie nicht.“
Genauso wird Herr A. in so einem Rechtsstreit wohl kaumfreiwillig seinen Staatsbürgerschaftsnachweis bzw. illegalen Zweitpass hergeben. Die Behörden sind letztendlich also machtlos. Ohne entsprechendes Dokument fehlt der wasserdichte Beweis. Eine „Smoking Gun“ könnte auch eine Zeugenaussage sein, räumen bei einem KURIER-Rundruf andere Juristen ein.
Im Rahmen der freien Beweiswürdigung des Gerichts sei das denkbar, räumt Funk ein. Die einzelnen Fälle sind komplex, die Szenarien vielfältig, da könne man nichts ausschließen – theoretisch. „Aber praktisch gibt es nichts, das vor Gericht so glaubwürdig wäre wie ein amtliches Dokument“, betont Funk.
Der Verwaltungsjurist nennt ein Beispiel: Selbst wenn ein Zeuge vor Gericht aussagt, dass er den Verdächtigen beim Türkei-Referendum im April in ein Wahllokal gehen gesehen habe, oder dass dieser vor ihm mit seinen zwei Pässen geprahlt habe, „wäre es im Verfahren noch schwierig“. Im Zweifel müsste die Staatsbürgerschaft bestehen bleiben.
Das bestätigt auch Verfassungsjurist Heinz Mayer: „De facto können nur die Türken einen ausreichenden Beweis liefern.“
Der Republik bleibt aber immer der Wegoffen, das Verfahren wieder aufzurollen, wenn es neue Beweise gibt.
Eine politische Lösung für das Thema Doppelstaatsbürgerschaften ist nicht in Sicht – im Gespräch war vor einigen Wochen etwa eine Übergangsfrist, in der sich die Betroffenen für eine der beiden Staatsbürgerschaft entscheiden müssen.