„Ende der Sozialpartnerschaft alten Stils“
Minimal-Konsens. Ja zu höherem Mindestlohn, kein Fortschritt bei flexiblerer Arbeitszeit
Das Wesen von SozialpartnerKompromissen ist es, dass unterschiedliche Arbeitnehmerund Arbeitgeber-Interessen unter einen Hut gebracht werden. So war es die vergangenen 70 Jahre, welche Verhandlungsmühe das auch gekostet hat. Und so wurde über Jahrzehnte, als es noch viel mehr als heute zu verteilen gab, der soziale Friede gewahrt. In Österreich wird so selten gestreikt, wie sonst fast nirgends auf der Welt.
Irgendwann setzte sich dafür der Begriff von der „Win-win-Situation“durch.
Seit Freitag gibt es auch das Phänomen der „Win-loseSituation“und wer hier gewonnen und wer verloren hat, lässt sich leicht an den Reaktionen auf die jüngste Sozialpartner-Einigung ablesen.
Konkret gelungen ist dabei eine Erhöhung aller Mindestlöhne bis Ende 2019 auf dann 1500 Euro brutto. Nicht gelungen ist die lang diskutierte Flexibilisierung der Arbeitszeit.
Einfädler beim Slalom
Arbeiterkammer-Präsident Rudolf Kaske spricht von einem „großen Erfolg“, und auch ÖGB-Präsident Erich Foglar freut sich naturgemäß über die Stärkung der Kaufkraft für Abertausende Mindestlohn-Bezieher.
Doch außerhalb des Arbeitnehmer-Lagers hagelt es teils herbe Kritik. Seit Jänner ist verhandelt worden. Beim höheren Mindestlohn hat man letztlich zusammengefunden, bei der Flexibilisierung der Arbeitszeit nicht. Und das ruft Unmut hervor.
Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl nimmt den Misserfolg sportlich: „Man kann nicht immer gewinnen. Das ist wie beim Slalom, man kann einmal einen Einfädler haben. Aber ich resigniere nicht. Jetzt reizt es mich erst recht.“
Doch die Arbeitszeitflexibilisierung liegt jetzt erst einmal auf Eis. Es ist höchst unwahrscheinlich, dass das in der Bevölkerung unbeliebte Thema im Wahlkampf aufge- griffen wird, so sehr manch Minister oder Interessensvertreter auch drängt. Die Wirtschaft fordert seit Jahren die Möglichkeit zum 12-Stunden-Arbeitstag ohne Überstundenzuschläge.
So verwundert kaum, dass Wirtschaftsminister Harald Mahrer (ÖVP) und Industriepräsident Georg Kapsch die Sozialpartner-Einigung „bedauern“. Die höheren Mindestlöhne kosten Österreichs Betrieben 900 Millionen Euro, sagt Kapsch. Die für die Wettbewerbsfähigkeit nötige Arbeitszeitflexibilisierung sei wieder nicht geglückt.
Am schärfsten schimpft die Metalltechnische Industrie, Österreichs größte Industriebranche. Deren Fachverbandsobmann Christian Knill ruft sogar das „Ende der Sozialpartnerschaft alten Stils aus“. Die einseitige Erhöhung der Mindestlöhne sei ein „Desaster“und so nicht hinnehmbar. Auch die Arbeitgeberseite, also Christoph Leitl, habe „die Interessen der Unternehmen mit dieser Lösung
Christoph Leitl Wirtschaftskammer-Präsident
außer Acht gelassen“, drückt sich Knill diplomatisch aus.
Was die Kritiker mitunter zu vergessen scheinen, ist jedoch der Faktor Wahlkampf. Die Sozialpartner waren de facto handelseins, auch bei der Arbeitszeit. Dann hätte es eine politische Intervention geben und der Deal wäre ge- Christian Knill Industrie-Vertreter platzt. Das sagt Leitl, nennt aber keine Namen.
In der ÖVP wird erzählt, es wäre SPÖ-Chef Christian Kern gewesen, der quasi im letzten Moment die Einigung auf die Arbeitszeit-Flexibilisierung verhindert habe. Der verhasste 12-Stunden-Tag sollte die roten Wahlchancen nicht schmälern, ergo hat die Gewerkschaft auch nicht zustimmen dürfen, heißt es. Bestätigt wird das freilich nicht. „Kern agiert wie ein Angeschlagener“, ätzt ein ÖVP-ler.
Kritik an den Sozialpartnern gibt es seit ihrer Gründung in den Nachkriegsjahren 1945/1946. Ihr Ziel nach dem Krieg war die wirtschaftspolitische Beratung der Regierung, insbesondere aber die Neuordnung der Lohn- und Preispolitik – historisch bekannt und nachhaltig verankert in den fünf Lohn-Preis-Abkommen.
Während die frühere Preisregulierung durch die paritätische Kommission schon seit dem EU-Beitritt keine Rolle mehr spielt, bleibt die Lohnpolitik die Grundfeste der Sozialpartnerschaft.
Die Bilanz: Rund 98 Prozent aller Arbeitnehmer arbeiten unter dem Schutz eines Kollektivvertrages. Davon gibt es rund 860, wobei 480 jährlich neu verhandelt werden. Die Kollektivverträge regeln bei Weitem nicht nur die jeweilige Lohnuntergrenze.
Ohne sie gebe es es keine Sonderregelungen für verschiedene Berufe. Seien das Schutzbestimmungen bei Kündigung, die Bezahlung von Überstunden oder Zulagen, Prämien, Taggelder, Freizeitansprüche (bei Übersiedlung, Hochzeit etc.) und vieles mehr. Auch die Auszahlung des Urlaubs- und Weihnachtsgeldes (13./14.) erfolgt nicht automatisch, sondern ist ausschließlich im Kollektivvertrag geregelt.
„Man kann nicht immer gewinnen. Das ist wie beim Slalom, man kann einmal einen Einfädler haben.“ „Ich bin entsetzt. Diese sogenannte Einigung ist für mich das Ende der Sozialpartnerschaft, wie wir sie kennen.“
Rot-Schwarzes-Kartell
Ferner spielen die Sozialpartner eine entscheidende Rolle bei der Lehre, indem sie dort Rahmenbedingungen festlegen oder neue Lehrberufe schaffen. (Ge)wichtig ist auch ihre Entsendung von Vertretern in die Pensions-, Kranken- und Unfallversicherungen.
Der Opposition geht diese Machtfülle zu weit, sie sehen in der Sozialpartnerschaft vor allem Reformblockierer und ein institutionelles Kartell von Rot-Schwarz. FPÖ und Neos fordern die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft. Ohne die, so meint WKO-Boss Leitl, gebe es auch die vielen Außenhandelsstellen nicht. „Da schaue ich mir an, wie sich ein kleiner Betrieb im Ausland durchsetzen kann“.