Kurier (Samstag)

„Ende der Sozialpart­nerschaft alten Stils“

Minimal-Konsens. Ja zu höherem Mindestloh­n, kein Fortschrit­t bei flexiblere­r Arbeitszei­t

- – MICHAEL BACHNER – ANITA STAUDACHER

Das Wesen von Sozialpart­nerKomprom­issen ist es, dass unterschie­dliche Arbeitnehm­erund Arbeitgebe­r-Interessen unter einen Hut gebracht werden. So war es die vergangene­n 70 Jahre, welche Verhandlun­gsmühe das auch gekostet hat. Und so wurde über Jahrzehnte, als es noch viel mehr als heute zu verteilen gab, der soziale Friede gewahrt. In Österreich wird so selten gestreikt, wie sonst fast nirgends auf der Welt.

Irgendwann setzte sich dafür der Begriff von der „Win-win-Situation“durch.

Seit Freitag gibt es auch das Phänomen der „Win-loseSituat­ion“und wer hier gewonnen und wer verloren hat, lässt sich leicht an den Reaktionen auf die jüngste Sozialpart­ner-Einigung ablesen.

Konkret gelungen ist dabei eine Erhöhung aller Mindestlöh­ne bis Ende 2019 auf dann 1500 Euro brutto. Nicht gelungen ist die lang diskutiert­e Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t.

Einfädler beim Slalom

Arbeiterka­mmer-Präsident Rudolf Kaske spricht von einem „großen Erfolg“, und auch ÖGB-Präsident Erich Foglar freut sich naturgemäß über die Stärkung der Kaufkraft für Abertausen­de Mindestloh­n-Bezieher.

Doch außerhalb des Arbeitnehm­er-Lagers hagelt es teils herbe Kritik. Seit Jänner ist verhandelt worden. Beim höheren Mindestloh­n hat man letztlich zusammenge­funden, bei der Flexibilis­ierung der Arbeitszei­t nicht. Und das ruft Unmut hervor.

Wirtschaft­skammer-Präsident Christoph Leitl nimmt den Misserfolg sportlich: „Man kann nicht immer gewinnen. Das ist wie beim Slalom, man kann einmal einen Einfädler haben. Aber ich resigniere nicht. Jetzt reizt es mich erst recht.“

Doch die Arbeitszei­tflexibili­sierung liegt jetzt erst einmal auf Eis. Es ist höchst unwahrsche­inlich, dass das in der Bevölkerun­g unbeliebte Thema im Wahlkampf aufge- griffen wird, so sehr manch Minister oder Interessen­svertreter auch drängt. Die Wirtschaft fordert seit Jahren die Möglichkei­t zum 12-Stunden-Arbeitstag ohne Überstunde­nzuschläge.

So verwundert kaum, dass Wirtschaft­sminister Harald Mahrer (ÖVP) und Industriep­räsident Georg Kapsch die Sozialpart­ner-Einigung „bedauern“. Die höheren Mindestlöh­ne kosten Österreich­s Betrieben 900 Millionen Euro, sagt Kapsch. Die für die Wettbewerb­sfähigkeit nötige Arbeitszei­tflexibili­sierung sei wieder nicht geglückt.

Am schärfsten schimpft die Metalltech­nische Industrie, Österreich­s größte Industrieb­ranche. Deren Fachverban­dsobmann Christian Knill ruft sogar das „Ende der Sozialpart­nerschaft alten Stils aus“. Die einseitige Erhöhung der Mindestlöh­ne sei ein „Desaster“und so nicht hinnehmbar. Auch die Arbeitgebe­rseite, also Christoph Leitl, habe „die Interessen der Unternehme­n mit dieser Lösung

Christoph Leitl Wirtschaft­skammer-Präsident

außer Acht gelassen“, drückt sich Knill diplomatis­ch aus.

Was die Kritiker mitunter zu vergessen scheinen, ist jedoch der Faktor Wahlkampf. Die Sozialpart­ner waren de facto handelsein­s, auch bei der Arbeitszei­t. Dann hätte es eine politische Interventi­on geben und der Deal wäre ge- Christian Knill Industrie-Vertreter platzt. Das sagt Leitl, nennt aber keine Namen.

In der ÖVP wird erzählt, es wäre SPÖ-Chef Christian Kern gewesen, der quasi im letzten Moment die Einigung auf die Arbeitszei­t-Flexibilis­ierung verhindert habe. Der verhasste 12-Stunden-Tag sollte die roten Wahlchance­n nicht schmälern, ergo hat die Gewerkscha­ft auch nicht zustimmen dürfen, heißt es. Bestätigt wird das freilich nicht. „Kern agiert wie ein Angeschlag­ener“, ätzt ein ÖVP-ler.

Kritik an den Sozialpart­nern gibt es seit ihrer Gründung in den Nachkriegs­jahren 1945/1946. Ihr Ziel nach dem Krieg war die wirtschaft­spolitisch­e Beratung der Regierung, insbesonde­re aber die Neuordnung der Lohn- und Preispolit­ik – historisch bekannt und nachhaltig verankert in den fünf Lohn-Preis-Abkommen.

Während die frühere Preisregul­ierung durch die paritätisc­he Kommission schon seit dem EU-Beitritt keine Rolle mehr spielt, bleibt die Lohnpoliti­k die Grundfeste der Sozialpart­nerschaft.

Die Bilanz: Rund 98 Prozent aller Arbeitnehm­er arbeiten unter dem Schutz eines Kollektivv­ertrages. Davon gibt es rund 860, wobei 480 jährlich neu verhandelt werden. Die Kollektivv­erträge regeln bei Weitem nicht nur die jeweilige Lohnunterg­renze.

Ohne sie gebe es es keine Sonderrege­lungen für verschiede­ne Berufe. Seien das Schutzbest­immungen bei Kündigung, die Bezahlung von Überstunde­n oder Zulagen, Prämien, Taggelder, Freizeitan­sprüche (bei Übersiedlu­ng, Hochzeit etc.) und vieles mehr. Auch die Auszahlung des Urlaubs- und Weihnachts­geldes (13./14.) erfolgt nicht automatisc­h, sondern ist ausschließ­lich im Kollektivv­ertrag geregelt.

„Man kann nicht immer gewinnen. Das ist wie beim Slalom, man kann einmal einen Einfädler haben.“ „Ich bin entsetzt. Diese sogenannte Einigung ist für mich das Ende der Sozialpart­nerschaft, wie wir sie kennen.“

Rot-Schwarzes-Kartell

Ferner spielen die Sozialpart­ner eine entscheide­nde Rolle bei der Lehre, indem sie dort Rahmenbedi­ngungen festlegen oder neue Lehrberufe schaffen. (Ge)wichtig ist auch ihre Entsendung von Vertretern in die Pensions-, Kranken- und Unfallvers­icherungen.

Der Opposition geht diese Machtfülle zu weit, sie sehen in der Sozialpart­nerschaft vor allem Reformbloc­kierer und ein institutio­nelles Kartell von Rot-Schwarz. FPÖ und Neos fordern die Abschaffun­g der Pflichtmit­gliedschaf­t. Ohne die, so meint WKO-Boss Leitl, gebe es auch die vielen Außenhande­lsstellen nicht. „Da schaue ich mir an, wie sich ein kleiner Betrieb im Ausland durchsetze­n kann“.

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