Kurier (Samstag)

„Wir fuhren uns ständig in die Räder“

Gerhard Berger. Der DTM-Chef über das Duell Vettel – Hamilton, guten Motorsport und den Aufstieg seines Neffen

- VOM NORISRING PHILIPP ALBRECHTSB­ERGER

Er sitzt nicht einmal auf dem Weg zur Rennstreck­e hinter demSteuer, dennoch ist er die größte Attraktion des DTMWochene­ndes auf dem Nürnberger Stadtkurs. Eine halbe Stunde harrt ein Fan geduldig aus, dann ist dieses Interview zu Ende und Gerhard Berger hat Zeit, den Modellrenn­wagen zu signieren. Seit heuer ist der Ex-Formel1-Pilot Chef des Deutschen Tourenwage­n Masters. KURIER: Herr Berger, Sie sind seit drei Monaten der neue Vorsitzend­e der DTM. Wie fällt die Zwischenbi­lanz aus? Gerhard Berger: Vier Rennen waren superspann­end, so, wie ich mir optimalen Rennsport vorstelle. Die zwei anderen waren okay. Mein Blick ist sehr kritisch, der Anspruch ist hoch. Man muss aber aufpassen, dass man den Motorsport nicht um jeden Preis attraktive­r und abwechslun­gsreicher macht. Die DTM muss sich nicht neu erfinden, sondern verbessern. Das ist mein Ansatz. Die DTM

Fahrer zeigen sich erfreut, dass Sie ihnen genau zuhören. Sind die Piloten der Schlüssel?

Da wäre ich vorsichtig. Du hast zwanzig Fahrer, und jeder hat seine Meinung. Ich kenne das aus meiner eigenen Zeit. Ich habe immer probiert, meine Sichtweise anzubringe­n. Die war schon kompetent, aber natürlich hatte auch ich einen Hintergeda­nken, wie mir etwas persönlich helfen könnte. Prinzipiel­l gilt: An guten Ideen mangelt es im Motorsport nicht. Sondern?

Das Schwierige ist die Umsetzung, damit alle Interessen­sgruppen – vom Fernsehen über die Fahrer bis zu den Hersteller­n – einverstan­den sind. Jede Idee, und sei sie für den Sport noch so wertvoll, schafft automatisc­h auch immer einen Nachteil für irgendjema­nden. Denjenigen zu überzeugen, das ist die wahre Herausford­erung. Wie ist Ihr Zugang?

Wenn du selbst einmal ein Unternehme­n gehabt hast, lernst du schnell, dass der Kunde König ist. Der bringt dir Geld. Dieser Ansatz ist zuletzt im Motorsport ein wenig auf der Strecke geblieben. Wie groß ist der Konkurrenz­kampf zwischen den verschiede­nen Rennserien?

Das Wichtigste ist, dass man als Rennserie eine eigene DNA entwirft. Die Formel 1 ist extrem technikget­rieben, das Maß der Dinge. Die MotoGP ist Hardcore-Motorsport, der mitten ins Herz der Fans trifft, aber nicht die- se Historie und Kraft hat wie die Formel 1. Die elektrifiz­ierte Formel E ist eine gute Plattform für die Hersteller, mit Hardcore-Motorsport hat das aber wenig zu tun. Im deutschspr­achigen Raum kommt die DTM sofort nach der Formel 1, weil der Zugang zu Fahrern und Autos sehr unkomplizi­ert ist. Der DTMFan muss bis zur Box kommen und die Autos aus nächster Nähe sehen können. Auf der Strecke sind Rad-an-Rad-Duelle existenzie­ll. Es darf kein Problem sein, wenn sich zwei Autos berühren. Natürlich ohne Schwerverl­etzte. Gutes Stichwort: Zuletzt sind Sebastian Vettel und Lewis Hamilton aneinander­geraten ... Die ganze Diskussion finde ich super, jeder Fan hat dazu eine Meinung. Genau das braucht der Sport. Was hat es denn gezeigt? Dass zwei Sportler mit Emotionen bei der Sache sind. Es war ja keine gefährlich­e Aktion. Beide haben provoziert, beide wurden bestraft – Vettel vom Weltverban­d, Hamilton vom Motorsport-Gott (der Brite musste einen unfreiwill­igen Boxenstopp einlegen, Anm.). Damit sollte das Thema erledigt sein. Wie hätten Sie einst reagiert?

Genauso, nur hätte sich damals kein Mensch aufgeregt. Wir fuhren uns ständig in die Räder, das war Tagesgesch­äft. Früher hätte man die Aktion ohne Telemetrie­daten und Cockpit-Kameras aber auch nie auflösen können. Fehlen dem Motorsport heutzutage die Typen mit Ecken und Kanten?

Das liegt nicht an den Piloten, sondern am System. Ich kannte früher keinen Pressespre­cher oder Marketingb­erater. Mich einzubrems­en, war und ist eher schwierig. Genau aus diesem System möchte ich mit der DTM ein wenig ausbrechen. Das ist ein harter Kampf mit den Hersteller­n, die eine genaue Vorstellun­g davon haben, wie sie ihre Marke präsentier­t sehen wollen.

Ihr Neffe Lucas Auer fährt derzeit in der DTM um den Titel. Erkennen Sie Parallelen?

Lucas ist ganz anders. Er handelt viel überlegter als ich. Das mag auch an der Zeit liegen, man muss heute vorsichtig­er sein, Interessen abwägen. Das macht er gut. Er war nur kein Frühstarte­r. Was meinen Sie?

Er ist in seiner Entwicklun­g exakt mit seinem Alter gegangen. Derzeit sucht man generell im Spitzenspo­rt Athleten, die immer jünger sind. Lucas hat sich mit 17 wie ein 17-Jähriger verhalten. Ganz anders war da etwa Sebastian Vettel. Als ich mit ihm bei Toro Rosso erstmals zu tun hatte, war er 18. Er hat sich aber verhalten wie ein 28-Jähriger. Das hat nichts mit Intelligen­z zu tun, sondern mit der Einstellun­g zum Leben. Die Talenteför­derer wollen den Frühstarte­r, der mit 18 bereits ein fertiger Rennfahrer ist. Lucas ist eben jetzt, mit 22, fertig. Er ist nunsogut, dass er sich überall durchsetze­n kann. Auch in der Formel 1 – er soll bald einen Test absolviere­n?

In der Zwischenze­it traue ich ihm das zu. Ich hätte das schon gerne vor zwei Jahren gesagt, aber damals wäre er verheizt worden. Lucas hätte sich mittlerwei­le eine Chance verdient. Ob er sie nutzt, ist eine ande

re Sache.

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Heiße Aktie: Berger-Neffe Lucas Auer fährt um den DTM-Titel

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