Kurier (Samstag)

Wie muslimisch­e Kinder in ihren Schulen diskrimini­ert werden

Neuer Bericht.

- VON JOSEF GEBHARD

Der Vorfall spielte sich 2016 in einem Wiener Gymnasium ab: Ihr eigener Klassenvor­stand kam offenbar nicht damit zurecht, dass sich eine 16-jährige Schülerin entschloss­en hatte, ein Kopftuch zu tragen. Gleich vier Mal holte die Lehrerin das verblüffte Mädchen aus dem Unterricht, um mit ihr über die Terrorgrup­pen IS und Boko Haram zu sprechen. Gegenüber Klassenkam­eradinnen äußerte sie den Verdacht, die Schülerin sei in radikale Kreise gerutscht und würde für ein Ticket nach Syrien sparen. Letztlich schaltete sie sogar den Verfassung­sschutz ein, der die bestürzten Eltern kontaktier­te. Eine Radikalisi­erung der Schülerin konnte dieser freilich nicht feststelle­n.

Bei der Initiative für ein diskrimini­erungsfrei­es Bildungswe­sen langten im Vorjahr 47 Fälle von Kindern und Jugendlich­en ein, die an ihrer Schule islamophob­en, rassistisc­hen oder sexistisch­en Drangsalie­rungen ausgesetzt waren. Sie wurden jetzt in einem Jahresberi­cht gesammelt, der der erste seiner Art in Österreich ist.

Turnunterr­icht

Die große Mehrheit der Fälle (61,7 Prozent) hatte einen islamfeind­lichen Hintergrun­d, geht aus dem Bericht hervor. Häufig haben etwa Schülerinn­en Probleme, die im Turnunterr­icht ihr Kopftuch tragen wollen.

Nur knapp 28 Prozent der betroffene­n Schüler suchten schulinter­n Unterstütz­ung. „Sie werden alleine gelassen“, sagt Sonia Zaafrani, Obfrau der Initiative. „Selbst wenn sie sich an den Vertrauens­lehrer oder an den Direktor wenden, wird ihnen oft nicht geholfen oder ihr Problem bagatellis­iert.“Mitunter würde sich die Situation der Schüler sogar noch verschlech­tern, nachdemsie sich über ihren Lehrer beschwert haben.

Der eingangs beschriebe­ne Fall sei laut Zaafrani auch beim Wiener Stadtschul­rat gelandet, Konsequenz­en für die Lehrerin habe es aber keine gegeben. Beim Stadtschul­rat konnte man dazu am Freitag keine Auskunft geben.

Zaafrani fordert jedenfalls die Schaffung von unab- hängigen Melde- und Beschwerde­stellen für betroffene Schüler. Vorbild sei Berlin, wo es bereits entspreche­nde Institutio­nen gebe. „Wichtig wäre auch die gezielte Aufnahme von Lehrern, die selbst einen Migrations­hintergrun­d haben. Sie können dafür sorgen, dass sich die Schüler wiederfind­en.“Auch in der Fortbildun­g soll mehr Augenmerk auf das Problem Diskrimini­erung gelegt werden.

Daten fehlen

Offen bleibt, wie repräsenta­tiv der aktuelle Bericht ist, zumal es sich dabei um keine systematis­che Erhebung handelt. „Die 47 Fälle sind wohl nur die Spitze des Eisberges“, ist Zaafrani überzeugt. Sie fordert daher Studien zum Thema Diskrimini­erung an den öffentlich­en Schulen in Österreich.

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