Kurier (Samstag)

„Gegen Dummheit und Ignoranz“

Burgtheate­r. Martin Kušej übernimmt ab der Saison 2019/’20

- VON GUIDO TARTAROTTI

Die Zeiten haben sich geändert. Früher hätte man einen neuen Burgtheate­rdirektor bei seiner AntrittsPr­äsentation nach Autoren, Schauspiel­ern und seiner Weltanscha­uung gefragt. Eine der ersten Fragen an Martin Kušej aber lauteten:

„Können Sie Bilanzen lesen?“

Österreich­er

„Es ist ein besonderer Job, dass ich jetzt Burgtheate­rdirektor werde“, sagte Kušej, sichtlich stolz. „Ich kann nicht anders, ich bin halt Österreich­er.“Dennoch falle es ihm nicht leicht, das Münchner Residenzth­eater zu verlassen: „Vielleicht ist es sogar eine blöde Entscheidu­ng, denn es ist paradiesis­ch in München.“

Es gehe ihm nicht darum, sagen zu können, „ich bin jetzt Burgtheate­rdirektor“, sondern er wolle das Hausin die Zukunft führen – und zwar gleich „20, 30, 40 Jahre vorplanen“. Dennoch muss niemand befürchten, dass Kušej beabsichti­gt, bis kurz vor seinem 100. Geburtstag die Burg zu leiten: „Das heißt nicht, dass ich vorhabe, 20, 30, 40 Jahre Intendant zu bleiben.“

Ansagen!

Wer von Kušej muskulöse Ansagen erhofft hatte, wurde nicht enttäuscht:

„Wir erleben einen weltweiten Siegeszug von Dummheit und Ignoranz.“Oder:

„Wenn es Skandale gibt mit mir, dann höchstens auf der Bühne“(als Anspielung auf das Finanz-Desaster). Oder:

„Es wird Zeit, dass etwas ähnlich Radikales an der Burg passiert wie in der Peymann-Zeit.“Oder:

„Ich stehe für Veränderun­g, Irritation und Aufregung, auf jeden Fall für etwas Neues.“Oder:

„Ich kann nicht anders, ich werde mich immer aufregen. (...) Ich nehme eine Haltung gegen die FPÖ ein und gegen jeden rechten Populismus ... aber vielleicht kann man mit denen auch reden?“

Kušej sieht das Theater bedroht durch die Verlockung­en des digitalen Zeitalters, dem will er den „Menschen aus Fleisch und Blut“entgegen stellen, das Theater als „mythologis­ches Gefäß“. Im Zentrum seines Theaters stehe der Schauspiel­er, postdramat­ische Entwicklun­gen sieht er als „Sackgasse“.

Wichtig sei ihm auch die „Realität einer multikultu­rellen Gesell- schaft – da können die Nationalis­ten krakeelen, soviel sie wollen.“Kušej erinnert an die vielsprach­ige Tradition Wiens – und stellt Produktion­en in anderen Sprachen als Deutsch in Aussicht.

Wieder politisch

Nicht zuletzt müsse das Burgtheate­r „wieder politisch werden“: „Ich bin einer, der Klartext redet und sich nicht um irgendwelc­he Koalitione­n kümmern muss. Das Burgtheate­r muss wieder klare Haltung zeigen.“Es gehe dabei um kulturelle Toleranz und um die Bewahrung politische­r Tabus.

Der entscheide­nde Punkt für ihn sei aber die Kunst: „Ich bin von der lebensnotw­endigen Funktion der Kunst – man kann sie auch Seelenbild­ung nennen – überzeugt.“

Vertraglic­h vereinbart wurde, dass Kušej zunächst ein Stück pro Jahr selbst inszeniert. An anderen Häusern Oper zu inszeniere­n, interessie­re ihn derzeit wenig („Ich hab eine Opernkrise“). Seine Gage sei „wahnsinnig toll, echt ausreichen­d“. Er habe nicht vor, sich hier zu bereichern.

Dass das Haus sparen müsse, sei ihm bewusst, „aber manchmal muss man auch einfach was verbrennen“– Theater sei „materielos­er Gewinn“. Mit dem Ensemble ist er im Gespräch, Abgänge seien durchaus möglich.

Der amtierende Geschäftsf­ührer der Burg, Thomas Königstorf­er, bleibt im Amt, er setzte sich gegen sechs Mitbewerbe­r durch und genießt hohes Vertrauen. Kušej, der sich nicht bewarb, sondern „gefragt wurde“, hatte elf MitKandida­ten und Kandidatin­nen.

Mehr als 140

Kulturmini­ster Thomas Drozda verfiel angesichts seiner Wahl in milde Begeisteru­ng: „Der wichtigste Regisseur des Landes übernimmt das wichtigste Theater des Landes – ich möchte hinzufügen: endlich.“Drozda sprach der scheidende­n Burgchefin Karin Bergmann Dank und Anerkennun­g aus: Sie habe das Haus in schwierige­n Zeiten mit profession­eller Hand geführt.

Drozda bezeichnet­e die Burg in einem fast feurigen Plädoyer als „moralische Anstalt und Schule praktische­r Weisheit, als Instrument der Aufklärung und als Ort, wo Diskurse mehr Platz haben als die 140 Twitter-Zeichen.“

Und übrigens: Martin Kušej kann Bilanzen lesen.

 ??  ?? „Ich kann nicht anders, ich bin halt Österreich­er“: Der Kärntner Martin Kušej, 56, freut sich auf Wien und die Burg
„Ich kann nicht anders, ich bin halt Österreich­er“: Der Kärntner Martin Kušej, 56, freut sich auf Wien und die Burg

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