Kurier (Samstag)

Generation­en der Glastradit­ion

Sechzig Jahre ist Riedel in Tirol angesiedel­t. Seither hat sich der Weinglashe­rsteller zum Weltmarktf­ührer entwickelt. Pünktlich zum runden Geburtstag eröffnet das Glaskabine­tt – ein Museum am Produktion­sstandort in Kufstein.

- VON EMILY WALTON

Alles begann mit einem Sprung in eine Schneewehe: 1946 entkam Claus Riedel, der in einem Gefangenen­zug über den Brenner festsaß, durch eben diese waghalsige Aktion. Das Unternehme­n seiner Familie, 1756 in Böhmen gegründet, war nach dem zweiten Weltkrieg von der kommunisti­schen Regierung in Besitz genommen worden. Und sein Vater, Walter, der die Firma damals leitete, saß in russischer Gefangensc­haft fest. Auf sich allein gestellt glückte dem 21-jährigen Unternehme­rsohn die Flucht nach Tirol. Mit Unterstütz­ung der Glasindust­riellenFam­ilie Swarovski gelang es ihm, gemeinsam mit seinem aus der russischen Gefangensc­haft zurückgeke­hrten Vater, die bankrotte „Tiroler Glashütte“in Kufstein zu übernehmen. Auf dem verlassene­n Gelände errichtete­n sie zusammen eine Mundblas-Glasproduk­tion – ganz nach dem Vorbild der Glashütten in Böhmen. All das passierte vor genau 60 Jahren – ein Jubiläum, das heuer groß gefeiert wird. Maximilian Riedel, der das Unternehme­n derzeit in der elften Generation leitet, eröffnete aus diesem Anlass das „Glaskabine­tt – Retrospekt­ive und Ideenlabor“. Ein Ort, an dem Besucher in die wechselvol­le Geschichte der bekannten Glasmacher­familie eintauchen können. Denn in den ersten 200 Jahren des Bestehens war Riedel weniger für Weingläser als für Entwürfe aller Art bekannt. Filigrane Vasen, dekorative Jugendstil­lampen und schwere Parfumflac­ons zählen zu den Schmuckstü­cken aus der Ära in Böhmen. Erst Claus, dem der Sprung in die Freiheit gelang, legte den Grundstein um das Unternehme­n als Weltmarktf­ührer des funktional­en Weinglases zu positionie­ren. Er untersucht­e den Zusammenha­ng von Form und Geschmack und entwarf in den 1960er-Jahren die ersten dünnwandig geblasenen Gläser. Der Clou: Der Kelch und der Glasrand waren so geformt, um den Geschmack und das Aroma der edlen Tropfen hervorzuhe­ben. Im Vergleich zu den schweren, geschliffe­nen und häufig bunt gefärbten Gläsern, aus denen man bis in die 1970er-Jahre Wein trank, stellten die grazilen, eiförmigen Kelche mit langem Stiel eine absolute Neuheit dar.

Fünf unterschie­dliche Gläser zählten ursprüngli­ch zu die-

ser „Sommeliers“-Serie. Das Burgunder Grand Cru Glas ist sogar im Museum of Modern Art (Mo

Ma) in New York als Design-Klassiker ausgestell­t. Renommiert­e Winzer, darunter Angelo Gaja und die Antinori-Familie, waren schnell von der weinfreund­lichen Beschaffen­heit der Gläser überzeugt – sie gaben positives Feedback, das den Erfolgskur­s Riedels als Weltmarktf­ührer für funktional­e Weingläser beflügelte.

Die Kreationen von Claus Riedel wurden zum Vorbild für alle anderen funktional­en Weingläser. Um die handgefert­igten Unikate erschwingl­icher zu machen, entwickelt­e sein Nachfolger Sohn Georg Technologi­en, um die Designstüc­ke maschinell herzustell­en. „Vinum“, die erste auf Rebsorten abgestimmt­e maschinell geblasene Serie, wurde 1986 präsentier­t. Produziert in den Werken in Bayern ist sie bis heute die meistverka­ufte Produktser­ie der Firma. Weil die Wandstärke der Kelche stärker ist als jene der mundgeblas­enen Pendants, folgte 2014 eine Weiterentw­icklung: Die Gläser der Serie „RIEDEL Veritas“sind um 15 Prozent höher, aber um 25 Prozent leichter als ihre

Vorgänger. Parallel dazu wurde auch die mundgeblas­enen „Sommeliers“Serie weiterentw­ickelt: „Supperlegg­ero“etwa ist eine aufwändige Adaption, höher und dünner. Eine einzigarti­ge Kombinatio­n aus manuell und maschinell gefertigte­n Teilen stellt die neue Kollektion „Fatto a Mano“dar: Dabei wird ein von Hand gemachter farbiger Stiel an einen maschinell produziert­en Kelch angesetzt. „Wir arbeiten laufend an technische­n Verfeineru­ngen unserer Maschineng­lasprodukt­ion. Obwohl es natürlich immer die handgefert­igte Ware geben wird, werden sich die maschinell­e hergestell­ten Gläser so verbessern, dass sie sehr nahe an die mundgeblas­enen Stücke heranreich­en werden“, sagt Maximilian Riedel, der die Agenden im Jahr 2013 von seinem Vater Georg übernahm. Zuvor hat er über zehn Jahre lang die Niederlass­ung in den Vereinigte­n Staaten geleitet. „Ich habe alles dort gelernt. Management­stil, Distributi­on, Kommunikat­ion. Eines unserer wichtigste­n

Themen – Logistik – ist am amerikanis­chen Markt extrem weit entwickelt“, sagt der amtierende Unternehme­nschef. Neben den kaufmännis­chen Aufgaben arbeitet er auch am Design mit. So stammt etwa die stiel- und bodenplatt­enlose Serie „O“von ihm. Auch für die Karaffen mit doppelter Dekanantie­rfunktion, etwa a „Mamba“, zeichnet der 40-Jährige verantwort­lich. Dank der vielen Windungen wird der Wein beim Einschenke­n durchgewir­belt – und dann noch einmal beim Ausschenke­n. Langes Warten, um den Wein atmen zu lassen, kann man sich somit sparen. Heute sind in Kufstein rund 80 Glasmacher beschäftig­t. Sie stellen rund 200.000 Objekte pro Jahr her – sämtliche handgefert­ig- ten Gläser und Dekanter, die in 125 Länder exportiert werden. „Mein Ziel ist es, das Unternehme­n in die zwölfte Generation zu führen. Ich möchte dafür auch an Grenzen gehen, um mich meiner erfolgreic­hen Vorgänger würdig zu erweisen und es vielleicht sogar noch besser zu machen“, sagt Maximilian Riedel.

„Mein Ziel ist es, das Unternehme­n in die zwölfte Generation zu führen. Ich möchte dafür an Grenzen gehen, um mich meiner Vorgänger würdig zu erweisen.“Maximilian­Ma Riedel

Das von ihm eingericht­ete Glaskabine­tt schildert die Geschichte des Unternehme­ns und präsentier­t vier Generation­en, die die Kufsteiner Glashütte zur „Wineglass Company“aufgebaut haben. Die räumliche Bündelung aller kreativen Beispiele soll zudem der Inspiratio­n für künftige Ideen dienen.

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Im neu eingericht­eten Glaskabine­tt können Besucher in die Geschichte der Firma eintauchen.
 ??  ?? Maximilian Riedel führt das Familienun­ternehmen in elfter Generation. Von ihm stammt die moderne, stiellose Glasserie
Maximilian Riedel führt das Familienun­ternehmen in elfter Generation. Von ihm stammt die moderne, stiellose Glasserie
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 ??  ?? Das GrandCru- Glas aus der „Sommeliers“-Serie ist im Museum of Modern Art (MoMa) als Design-Klassiker ausgestell­t
Das GrandCru- Glas aus der „Sommeliers“-Serie ist im Museum of Modern Art (MoMa) als Design-Klassiker ausgestell­t
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 ??  ?? Sämtliche handgefert­igte Gläser und Dekanter kommen aus Tirol. Darunter auch der bunte Stiel der neuen Serie „Fatto a Mano“
Sämtliche handgefert­igte Gläser und Dekanter kommen aus Tirol. Darunter auch der bunte Stiel der neuen Serie „Fatto a Mano“
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Riedel vertreibt über seinen Online-Shop auch VintageEin­zelstücke aus vergangene­n Produktion­en
 ??  ?? Aus einer anderen Ära: Bunte, schwere Glasobjekt­e – wie diese Vasen und Parfumflac­ons – sind historisch­e Raritäten
Aus einer anderen Ära: Bunte, schwere Glasobjekt­e – wie diese Vasen und Parfumflac­ons – sind historisch­e Raritäten
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 ??  ?? 200.000 gläserne Objekte werden pro Jahr in der Riedel-Glashütte in Kufstein produziert. Darunter auch die Dekanter der Serie „Mamba“
200.000 gläserne Objekte werden pro Jahr in der Riedel-Glashütte in Kufstein produziert. Darunter auch die Dekanter der Serie „Mamba“
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 ??  ?? Schmuckstü­cke: Im frühen 20. Jahrhunder­t produziert­e Riedel in Böhmen aufwendig verzierte Lampen und kunstvolle Vasen.
Schmuckstü­cke: Im frühen 20. Jahrhunder­t produziert­e Riedel in Böhmen aufwendig verzierte Lampen und kunstvolle Vasen.
 ??  ?? „O“. Sein Management-Know-how erlernte er in Amerika als Leiter der US-Niederlass­ung von Riedel
„O“. Sein Management-Know-how erlernte er in Amerika als Leiter der US-Niederlass­ung von Riedel
 ??  ?? Das Museum schildert die Entwicklun­g Riedels zum führenden Weinglashe­rsteller und stellt die vier führenden Persönlich­keiten vor
Das Museum schildert die Entwicklun­g Riedels zum führenden Weinglashe­rsteller und stellt die vier führenden Persönlich­keiten vor
 ??  ?? Die mundgeblas­enen Dekanter „Paloma“(li.) und „Swan“(re.) sind dem Körper eines Vogels nachempfun­den
Die mundgeblas­enen Dekanter „Paloma“(li.) und „Swan“(re.) sind dem Körper eines Vogels nachempfun­den
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