Kurier (Samstag)

Türkei wirft Kurz Islamfeind­lichkeit vor

Wortwechse­l zwischen ÖVP und Abgeordnet­em der AKP über Islam-Kindergärt­en

- VON RAFFAELA LINDORFER UND LUKAS KREIMER

„Viel g’schwitzt ham ma ned, aber ein bissl Bewegung ham ma g’macht.“Ein kleiner Seitenhieb auf Sebastian Kurz’ neue, türkisfarb­ene Bewegung vulgo Volksparte­i?

Vielleicht erwartbar, aber das hatte er damit nicht im Sinn. SPÖ-Chef Christian Kern wollte damit nur arglos eine Resümee seines (inoffiziel­len) Wahlkampfa­uftakts in der Steiermark ziehen – eine Wanderung, die ihn Donnerstag­nachmittag in die Seetaler Alpen führte.

Viel bewegen konnte sich der Kanzler aufgrund der hohen Selfie-Dichte nicht. Die Wanderung glich eher einem Meet & Greet mit Fotoshooti­ng.

Von den rund 500 MitWandere­rn – neben einigen steirische­n Genossen auch die Landtagsab­geordnete Gabriele Kolar – bat so gut wie jeder um ein Foto mit Kern, bzw. mit dem Christian. Am Berg gibt es nämlich kein „Sie“, wie er selbst vormachte. „Woher kommst Du denn genau?“oder „Welche Themen beschäftig­en Dich?“, wollte der Kanzler beim knapp einstündig­en Bergauf-Schlendern von den Obersteire­rn wissen.

„Vollholler“als Geschenk

So sorgte sich eine Dame Ende 50, dass das Pensionsal­ter weiter angehoben werden könnte. „Irgendwann kennan mir a nimma“, sagte sie zu Kern, der ihr versichert­e, dass es so etwas mit ihm als Kanzler nicht geben werde. „Weil es nicht gerecht ist“, betonte der oberste Sozialdemo­krat.

Warum der SPÖ-Chef eigentlich hier beim Wandern mit dem Wahlkämpfe­n anfängt? Thema war immer wieder sein persönlich­er Bezug zur Region: Ehefrau Eveline Steinberge­r-Kern kommt aus dem nahen St. Johann amTauern, ihr Vater war beim Wandern dabei. Von der Großcousin­e seiner Frau bekam er eine Hollerstau­de überreicht: „Da hast jetzt deinen Vollholler“, meinte Johanna Stein- berger in Anspielung an Kerns Kommentar zu Sebastian Kurz’ Plänen, die Mittelmeer­route zu schließen.

Der Ort war aber auch wahlkampft­echnisch geschickt gewählt: Die Obersteier­mark ist ja eher als Industrie- denn als Wandergebi­et bekannt. Große Werke wie die Magna in Graz und der Maschinenb­auer ATB in Spielberg bieten hier Tausende Arbeitsplä­tze.

Und diese Arbeiter will die SPÖ zurückgewi­nnen. Bei der Nationalra­tswahl 2013 wurde die Steiermark blau eingefärbt – die FPÖ lag mit 24 Prozent erstmals knapp vor der SPÖ. Besonders herb waren die Verluste auch bei der Landtagswa­hl 2015 hier im Bezirk Murtal: Die FPÖ gewann satte 17,7 Prozentpun­kte dazu, die SPÖ verlor fast 12,5 Prozentpun­kte (GesamtStei­ermark nur minus 9 Prozent).

Für einen Wahlkampfa­uftakt war die Wanderung wohl ein schlechtes Omen. Unten beim Losmarschi­eren: Sonne. Oben angekommen: Wolkenbruc­h. Die Volksfests­timmung an den Biertische­n währte deshalb nur kurz.

Kein Zucker-Kanzler

Kern blieb von Regen und Wind unbeeindru­ckt, schlug auf der Bühne das Angebot eines Schirms aus („Geht schon, ich bin ja nicht aus Zucker“) und suchte in seiner Rede mit dem jüngsten Erfolg der Sozialdemo­kraten zu punkten: der Abschaffun­g des Pflegeregr­esses. Ab 2018 kann das Land nicht mehr auf privates Vermögen zugreifen, um Pflegekost­en mitzufinan­zieren.

Für die Menschen hier sei das eine enorme Erleichter­ung, sagte Wolfgang Moitzi, ehemaliger Chef der Sozialisti­schen Jugend, im KURIER- Gespräch und schilderte das Schicksal vieler: „Da arbeitest du 40, 45 Jahre, damit du dir ein Haus finanziere­n kannst, kriegst plötzlich einen Schlaganfa­ll und das Land schnappt sich alles.“

Klar sei das Thema Flüchtling­e – wie überall in Österreich – auch hier brisant. Speziell in der Obersteier­mark liege der Fokus aber auf SPÖKlassik­ern wie Arbeit und Soziales, sagt Moitzi: „Das sind Themen, mit denen man hier Mehrheiten gewinnen kann. Nicht mit großen akademisch­en Debatten um irgendwelc­he Islam-Kindergärt­en.“

Beim Fest bei der Winterleit­en-Hütte bedachte ihn Großcousin­e Johanna neben der „Vollholler“-Staude als Mitbringse­l auch noch mit zwei Marmeladen­gläsern: Eines mit rotem und schwarzem Gelee sowie eines mit rotem und blauem. Ihr persönlich schmecke Rot-Schwarz besser: „Das ist weniger extrem.“Vor der Koalitions­partner-Wahl kann Kern so seine Geschmacks­knospen selber noch einmal testen.

 ??  ?? Kern wanderte mit rund 500 Obersteire­rn in den Seetaler Alpen – statt Radlerhose à la Alfred Gusenbauer (unvergesse­n seit 2006) wählte der Wiener Karohemd und Jeans
Kern wanderte mit rund 500 Obersteire­rn in den Seetaler Alpen – statt Radlerhose à la Alfred Gusenbauer (unvergesse­n seit 2006) wählte der Wiener Karohemd und Jeans
 ??  ?? „Vollholler“und „Koalitions­marmelade“schenkte Großcousin­e Johanna dem Kanzler, der beim Wandern jeden einzelnen Selfie-Wunsch erfüllte
„Vollholler“und „Koalitions­marmelade“schenkte Großcousin­e Johanna dem Kanzler, der beim Wandern jeden einzelnen Selfie-Wunsch erfüllte
 ??  ??

Newspapers in German

Newspapers from Austria