Kurier (Samstag)

Exekutive droht Gaffern mit Festnahmen

Hunderte Schaulusti­ge behinderte­n Einsatzkrä­fte bei tödlichem Unfall. Ein Helfer berichtet

- VON DANIEL MELCHER

Nach dem tödlichen Unfall in Wien-Simmering, bei dem am Donnerstag eine schwangere, 33-jährige Wienerin von einer Garnitur der Straßenbah­n-Linie 71 erfasst und getötet wurde, ist das Entsetzen bei der Wiener Berufsrett­ung und der Polizei groß.

Wie berichtet, hatten Dutzende Schaulusti­ge die Einsatzkrä­fte bei ihrer Arbeit stark behindert. Die Zeugen sollen mit ihren Smartphone­s auf bis zu 30 Zentimeter an die am Unfallopfe­r arbeitende­n Rettungskr­äfte herangetre­ten sein, um die dramatisch­en Szenen zu fotografie­ren und zu filmen.

Notfallsan­itäter Mathias Gatterbaue­r (33) von der Wiener Berufsrett­ung, der als einer der Ersten am Einsatzort war, schildert im KURIER-Interview, wie die Gaffer die Arbeit vor Ort erschwert haben. KURIER: Wie kam es zu dem Einsatz mit den Gaffern? Mathias Gatterbaue­r: Der Alarmierun­gscode war ein schwerer Verkehrsun­fall mit einer bewusstlos­en Person. Ich wurde als Fieldsuper­visor (erfahrener Notfallsan­itäter, Anm.) zugewiesen und der Christopho­rus 9 und zwei Rettungswa­gen waren im Einsatz. Ich bin als Erster eingetroff­en. Am Unfallort waren irrsinnig viele Leute. 200 bis 300 Personen befanden sich an der Unglücksst­elle. Die Polizei war vor Ort und hat probiert, eine Ordnung hineinzubr­ingen, weil die Situation emotional ziemlich aufgeheizt war. Wie verlief der Rettungsei­nsatz?

Eine Krankensch­wester, die zufällig vor Ort war, hat schon mit der Reanimatio­n begonnen gehabt. Das Opfer ist mit einem massiven Blutverlus­t neben der Straßenbah­n gelegen. Bei uns ist es immer so, dass man sich zuerst einen Überblick verschafft. Beim Eintreffen war eigentlich schnell klar, dass die Patientin in einem kriti- schen Zustand und schwanger war. Deshalb war die Entscheidu­ng schnell klar, dass man probiert, das Ungeborene zu versorgen und zu retten. Wir wussten, weil der Kreislauf der Mutter nicht mehr funktionie­rte, dass wir nur begrenzt Zeit haben, um das Kind zu versorgen. Wir haben dann eine mechanisch­e Re- animations­hilfe aufgeschna­llt, um den Kreislauf aufrecht zu erhalten. Haben die Schaulusti­gen Sie bei der Arbeit behindert?

Ja, es ist nicht für jeden sehr einfach, in solchen Extremsitu­ationen damit umzugehen. Und wenn man dann eine große Menge an Schaulusti­gen hat, die agieren, wie sie dort agiert haben, lenkt das einen Sanitäter schon extrem ab. Teilweise sind Leute durch die Absperrung gegangen, vorbeigefa­hren und haben Fotos geschossen. Es war ein ziemliches Chaos. Wie reagiert man als Sanitäter?

Wir müssen uns auf die Patienten konzentrie­ren. Das ist das einzige Augenmerk, das wir haben. Wir verlassen uns eigentlich immer auf die Polizei, dass die die Schaulusti­gen fernhält. Es war bei dem Fall einfach die Anzahl der Personen, die das Ganze so unkontroll­ierbar gemacht hat. Wie oft werden Sie bei der Arbeit von Gaffern behindert?

Man merkt einfach, dass die Häufigkeit enorm steigt. Vor allem in den vergangene­n Jahren. Das Hauptprobl­em dabei sind einfach die Smartphone­s.

Baby überlebte nicht

Am Freitag wurde bekannt, dass das Kind, das per Notkaisers­chnitt auf die Welt gebracht worden war, nicht überlebt hat. Die behandelnd­en Ärzte hatten in der Nacht den Kampf um das Leben des Babys verloren.

Scharfe Kritik für die Gaffer kam auch von der Polizei. „Im Rausch nach dem perfekten Foto, nach dem besten Schnappsch­uss oder was auch immer ihr euch von solchen Aufnahmen zu erhoffen scheint, wurden nicht nur die Rettungskr­äfte, sondern auch die Opfer aus nächster Nähe gefilmt und mehrfach fotografie­rt. Unsere Verständni­slosigkeit ist unbeschrei­blich groß. Wir sind fassungslo­s über ein solch unmoralisc­hes Verhalten wie es manche von euch an den Tag gelegt haben“, heißt es in einer Stellungna­hme auf Facebook. Die Exekutive erwägt jetzt sogar, bei solchen Szenen stärker durchzugre­ifen. „Künftig könnte es sein, dass diejenigen, die unsere Wegweisung­en missachten, nach dem Sicherheit­spolizeige­setz festgenomm­en werden“, sagt ein Sprecher.

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Mathias Gatterbaue­r (33), traf als erster Sanitäter an der Unfallstel­le ein und wurde wie seine Kollegen von den rund 300 Gaffern behindert.
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