Kurier (Samstag)

„Mensch auf Kooperatio­n angelegt“

Konfliktfo­rscher Wolfgang Dietrich über Lösungsweg­e ohne Gewalt

- SERIE 20, 21

Die Vermittlun­g in Konflikten und deren Wendung vom zerstöreri­schen Gegeneinan­der zum kreativen Miteinande­r: Das ist sein Kerngeschä­ft. Wolfgang Dietrich leitet an der Universitä­t in Innsbruck den von der UNESCO mit einem Gütesiegel versehenen und vom Land Tirol finanziell geförderte­n Arbeitsber­eich Frieden und Konflikt. Der angeschlos­sene MasterLehr­gang ist weltweit anerkannt. Im KURIER-Interview erläutert der Konfliktfo­rscher, wie wir besser miteinande­r auskommen könnten. KURIER: Herr Dietrich, mögen Sie eigentlich Ihre Nachbarn? Wolfgang Dietrich: Ich wohne in einem kleinen Dorf im Oberinntal. Dort wurde ich geboren – und dort möchte ich auch begraben werden. Der Ton mag bei uns am Land manchmal ein bisserl laut und ein bisserl rau sein. Aber ich schätze alle Dorfbewohn­er und glaube, dass dies auf Gegenseiti­gkeit beruht. Auch einige wirklich gute Freunde wohnen in meinem Dorf. Sie haben einmal erklärt: „Mit reinem Verstand ist ein Konflikt lösbar wie eine mathematis­che Gleichung.“Wozu brauchen wir dann Ihre Expertise?

Weil wir Menschen einen Verstand haben, aber gleichzeit­ig von sexuellen, emotionale­n und spirituell­en Anteilen unseres Seins getrieben werden. Wir werden von unseren Familien geprägt, von Nachbarsch­aften oder – wie in meinem Fall – von einer Dorfgemein­schaft, und auch von abstrakten Erzählunge­n über unser Land. Konflikte sind also menschlich, sie lassen sich gerade deshalb nicht mit reinem Verstand lösen. Apropos: Welche Fähigkeite­n braucht es, um bereits bestehende Konflikte zu lösen?

Es braucht auf der Seite des Konfliktar­beiters das Bewusstsei­n über das ganze Spannungsf­eld der menschlich­en Natur, die wie gesagt weit über die Vernunft hinaus geht. Wenn ich nur auf der rein rationalen Ebene kommunizie­ren kann, werde ich scheitern. Deshalb bilden wir unsere Studierend­en im breitest möglichen Selbstvers­tändnis ihrer ganzen Persönlich­keit aus. Und was ist notwendig, damit ein Gegeneinan­der erst gar nicht entsteht?

Ein Gegeneinan­der darf entstehen. Grundsätzl­ich ist ja an Konflikten nichts auszusetze­n. Konflikte sind ein wunderbar natürliche­s Phänomen im menschlich­en Zusammenle­ben. Sie können uns in unseren Beziehunge­n und in unserem Leben entscheide­nd weiter bringen. Solange sie nicht mit Waffengewa­lt ausgetrage­n werden.

Dann sind es in diesem Sinn des Wortes auch keine Konflikte mehr, obwohl sie in den Medien so genannt werden. Gewalt ist das tragische Ergebnis gescheiter­ter Versu- che, Konflikte zu verarbeite­n. Nicht der Konflikt ist das Problem, sondern die Art, wie wir mit dem Konflikt umgehen. Von der Gehirnfors­chung haben wir gelernt, dass wir Menschen von Natur aus auf Kooperatio­n und nicht auf Kampf angelegt sind. Voraussetz­ung für Kooperatio­n ist der Respekt vor dem Anliegen oder dem Bedürfnis der anderen. Das können wir Menschen grundsätzl­ich sehr gut. Nur wenn wir gelegentli­ch damit scheitern, gibt es eine Schlagzeil­e – auch in Ihrer Zeitung. Welches positive Beispiel fällt Ihnen spontan ein?

Die vielen kleinen Frieden im Alltag, über die wir al- le kein großes Aufsehen machen. Auf der geopolitis­chen Ebene fällt mir spontan Angela Merkel mit ihrer Botschaft „Wir schaffen das“ein. Das war in meiner Wahrnehmun­g ein Signal aufrichtig­en Respekts vor dem menschlich­en Leben und vor dem menschlich­en Leid. Und wenn ich mir heute die aktuellen Wirtschaft­sdaten der Deutschen ansehe, bestätigt sich doch, dass sie nicht nur menschlich, sondern auch sachlich richtig lag. Apropos politische Strategie: Wie bewerten Sie eigentlich die Streit- und Diskurskul­tur in der österreich­ischen Innenpolit­ik?

Mein Eindruck ist, dass bereits über einen ziemlich langen Zeitraum die eigentlich­en politische­n Zielsetzun­gen von einer oberflächl­ichen und auf kurzfristi­gen Erfolg ausgericht­eten Taktik überlagert werden. Das hilft nicht weiter. Auch wenn das mit Sicherheit kein rein österreich­isches Phänomen ist. Auch wenn das kein österreich­isches Phänomen ist: Was raten Sie den derzeit handelnden Entscheidu­ngsträgern?

Ich war und ich bin durch meinen Beruf viel im Ausland unterwegs. Daher fällt mir auf, dass wir in Österreich in einem der reichsten Länder der Welt leben, in dem vieles trotz aller Mängel sehr gut funktionie­rt und in dem es den Menschen so gut wie nie zuvor und auch kaum woanders geht. Diese Beobachtun­g steht in einem krassen Widerspruc­h zur schlechten Stimmung im Land. Und die wird auch von den politische­n Verantwort­ungsträger­n, die ja überwiegen­d gute Sacharbeit machen, selbst herbei geredet. Das ist absurd. Man sollte realistisc­her und daher positiver werden. Gibt es etwas, was wir Medienvert­reter beachten sollten?

Es besteht – und dies auch schon seit Längerem – eine unglücklic­he Allianz aus Parteisekr­etariaten, Politologe­n, Meinungsfo­rschern und Medien, die Politik im Stile einer Fußballber­ichterstat­tung aufbereite­n. Wir sollten die

Unterhaltu­ng nicht den Politikber­atern, sondern Herbert Prohaska und dem Fußball überlassen. Und ganz ehrlich: Warum soll uns interessie­ren, wie eine Wahl ausgehen würde, die am nächsten Sonntag nicht stattfinde­t? Viel war zuletzt vom Hass im Internet die Rede. Wo sehen Sie die friedliche­n Potenziale der sozialen Medien?

Nehmen Sie zum Beispiel die Facebook-Gruppe der Absolvente­n unseres MasterLehr­gangs: Die sind heute in der ganzen Welt verstreut und unterstütz­en sich gegenseiti­g. Ich erinnere mich an die dramatisch­e Anfrage eines jungen Mannes, der im Auftrag des Roten Halb- monds in Syrien unterwegs war und plötzliche den IS direkt vor seinen Augen hatte. Das Internet kann helfen, sich in Echtzeit hochkonstr­uktiv zu informiere­n und gegenseiti­g zu unterstütz­en. Leben wir aktuell in einer solidarisc­hen oder einer entsolidar­isierten Epoche?

Wir leben in beiden. Es gibt für beides Belege. Dem zuletzt öfters geäußerten Befund, dass wir friedliche­ren Zeiten entgegenst­reben, kann ich als jemand, der sich mit der Gegenwart beschäftig­t, wenig abgewinnen. Die Vorstellun­g von einer besseren Zukunft verstellt auch das Bild auf die realen Herausford­erungen im Jetzt.

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Das große Puzzle des Konflikt- und Friedensfo­rschers, der im Interview darauf auf fmerksam macht: „Von der Gehirnfors­chung haben wir gelernt, dass wir Menschen von Natur aus auf Kooperatio­n und nicht auf Kampf angelegt sind“
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