Kurier (Samstag)

Die Hamburger Höllen-Tage dauern noch an

Protest.

- – E. PETERNEL, HAMBURG

„Das sind unsere Gäste!“, schreit ein Polizist dem jungen Mann mit Regenbogen­Haar zu. Die Gruppe, die vor den Beamten am Boden sitzen, lacht. „Nee, das sind nur Polit-Schmarotze­r“, ruft der Bunthaarig­e zurück.

Es ist Freitag, U-Bahn-Station Schlump, mitten in der Stadt. Die „Höllennach­t“von Hamburg, bei der Dutzende Beamte verletzt und gut 50 Personen festgenomm­en wurden, liegt noch über der Stadt, an manchen Ecken stehen ausgebrann­te Autos, und es gibt schon wieder Krawalle. Hier, zwischen G20-Tagungszen­trum und AutonomenV­iertel, geht gar nichts. „Aber ich hab eine Netzkarte für die U-Bahn“, flucht einer, der vor der versperrte­n Station steht; die anderen, die mit den Transparen­ten, lachen: Sie haben ihr Ziel erreicht. Die Straße, auf der einer der PolitKonvo­is durchrasen hätte sollen, ist blockiert.

Hamburger Trauma

Die Szene beschreibt gut, womit die Hansestadt nicht nur heute, sondern schon seit Langem zu kämpfen hat. Auf der einen Seite Autonome, die es in der Stadt so lange gibt, wie man denken kann; die stets nur bürgerlich geprägte Handelssta­dt, die nie Residenzst­adt war, zog schon in den 1920ern Kommuniste­n an. Auf der anderen Seite steht eine Polizei, die immer rigoroser wurde – weil die Bürger der Hansestadt immer ängstliche­r wurden: 2001 wählten 20 Prozent der Han- seaten die rechte Schill-Partei, die versprach, 2000 neue Polizisten einzustell­en und die Gewaltkrim­inalität binnen 100 Tagen zu halbieren.

Dieser Schock sitzt der heutigen SPD-Regierung in den Knochen; Hardliner wie Hartmut Dudde (siehe Artikel rechts) kommen ihr darum nicht ungelegen, sie erledigen die Arbeit hart, beruhigen die Bürger. Für die Autonomen im Schanzenvi­ertel, früher Keimzelle des linken Protests, heute mehr gentrifizi­ertes Hipster-Viertel, ist das eine Provokatio­n: Sie liefern sich immer wieder Katz-undMaus-Spiele mit der Exekutive – auch am Freitag.

Am Abend kommt es, als die G20-Chefs zur Elbphilhar­monie ziehen, zu ähnlich heftigen Ausschreit­ungen wie am Vortag, die Demonstran­ten blockierte­n Straßen, bei der „Roten Flora“, jenem seit 1989 besetzten, autonomen Zen- trum, das den Krawall am ersten Abend organisier­t hatte, lieferte man sich Straßensch­lachten, sogar Warnschüss­e fallen dort. Auch der öffentlich­e Verkehr ist lahmgelegt: „Keine Ahnung, wie ich jetzt heimkomme“, sagte eine ältere Dame mit Blick aufs Handy.

Gefangene Melania

Bei der Polizei weiß man, dass die Proteste noch am Samstag andauern werden. „Wir müssen mit allem rechnen, wir rechnen auch mit allem“, sagt Innensenat­or Andy Grote. Dass er die Lage unterschät­zt habe, das lässt sich der SPDler nicht sagen. Gut, es habe Einschränk­ungen gegeben, man habe für die 20.000 Beamten vor Ort Hilfe aus den anderen Ländern anfordern müssen, gibt er zu – Melania Trump etwa konnte das Gästehaus des Senats, in dem sie und der USPräsiden­t residieren, nicht verlassen, weil die Sicher- heitslage das nicht hergab; das Programm, bei dem Merkels Ehemann Joachim Sauer die G20-Angetraute­n in ein Klimazentr­um führen wollte, musste geändert werden.

„Warum die Hamburg als Tagungsort genommen haben, versteh’ ich nicht“, sagt ein gut 50-jähriger Herr aus Süddeutsch­land bei der gesperrten U-Bahn. Er ist mit dieser Frage nicht allein: Hamburg, das sich ja Tor zur Welt nennt, wirkt heute verschloss­ener denn je; „die müssen viel Geld dafür bekommen haben“, witzelt er. Doch wirtschaft­liche Gründe waren es wohl nicht, die die Hansestadt dazu bewogen haben – zum einen wollte kein anderes Bundesland, heißt es, zum anderen erhoffte man sich gute Bilder. Hamburg, die gloriose Metropole, Deutschlan­d, die stabile Weltmacht. Das ist gehörig schief gegangen.

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Die Sicherheit­skräfte in Hamburg gingen rigoros gegen die Teilnehmer der G20Protest­e vor. Das sorgte nicht für ungeteilte Zustimmung

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