Kurier (Samstag)

Ich kaufe mir ein Grab und hau’ alle Feinde hinein

Zurück zum Blues nach Mississipp­i

- – P.PISA

Nicht weglegen! Erst nach knapp einem Drittel wird man merken, dass man bei diesem Abenteuer dabei sein will. Dass man diesen Blues haben will ... der in etwa darüber lamentiert:

Die weißen Amerikaner wollen die farbigen Amerikaner nur, wenn sie mit dem „Authentisc­hen“prahlen bzw. Geld verdienen können. Die Menschen waren bzw. sind ihnen völlig egal.

Der Londoner Hari Kunzru scheint sehr damit beschäftig­t gewesen zu sein, anfangs eine Mauer zu bauen, damit nicht jeder zu „White Tears“vordringen kann.

Das Knistern

Zwei junge Amerikaner – einer reich und Plattensam­mler, der andere arm und technisch genial – gründen in New York ein Tonstudio, das zurück zum Ursprung geht. Wie der Hofer. Passt eh: Musik ist ein Lebensmitt­el. (Aus dem schwarzen Blues entstanden Jazz, Rock, Rock ’n’ Roll, Soul.)

Carter und Seth verwenden Melodien von Schellacks für neues Vinyl, so etwas mag sogar ein Rapper, und sie sorgen dafür, dass alles schön grammelt, kratzt, knistert.

Die Stimme

Bis zu diesem Punkt denkt man: Es wäre besser, daheim analoge Musik zuhören anstatt zu lesen, dass digitale Musik nichts ist, gar nichts, bloß Einser und Nullen.

Aber: Seth zog früher durch die Stadt und nahm mittels Recorder Geräusche auf. So fand sich später auf dem Band die Stimme eines Schachspie­lers im Park, der sang:

Ich kauf’ mir ein eigenes Grab und hau’ alle meine Feinde in die Grube ...

Im Studio machten sie daraus einen „Graveyard Blues“, der stark nach 1929 klingt. Sie erfanden einen Sänger, Charlie Shaw nannten sie ihn, und stellten den Song ins Internet.

Sammler fielen darauf herein und wollten die alte Platte kaufen. Ging aber nicht, es gab ja keine. Was hätte denn auf der B-Seite sein sollen? Ein Interessen­t postete: Jessas, der Charlie Shaw! Er habe seit 1959 nichts mehr von ihm gehört! Vom erfundenen Sänger. Aha.

Die Liste

„White Tears“mutiert zum Thriller. Denn einer der beiden Freunde, Carter, wird überfallen, mit Baseballsc­hlägern wird sein Schädel zertrümmer­t. Wegen ... Charlie Shaw. Hari Kunzrus Roman macht’s spannend. Eine Reise nach Mississipp­i beginnt, dann wird man den Zusammenha­ng verstehen.

Und eine Liste wird man anlegen, von Bluessänge­rn, die man hören will.

 ??  ?? Hari Kunzru: „White Tears“Übersetzt von Nicolai von SchwederSc­hreiner Liebeskind Verlag. 352 Seiten. 22,70 Euro. KURIER-Wertung:
Hari Kunzru: „White Tears“Übersetzt von Nicolai von SchwederSc­hreiner Liebeskind Verlag. 352 Seiten. 22,70 Euro. KURIER-Wertung:
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Hari Kunzru, 48, ist Journalist und Schriftste­ller in Lonwon

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