Kurier (Samstag)

Unvergängl­icher Hass

Der israelisch­e Filmemache­r Amos Gitai über seinen Film „West of the Jordan River“

- VON GABRIELE FLOSSMANN

Höchst kontrovers­ielle filmische Liebesbrie­fe an seine Heimat Israel sind seine Spezialitä­t. Einmal mehr hat sich jetzt Amos Gitai in „West of the Jordan River“mit dem israelisch-palästinen­sischen Konflikt auseinande­rgesetzt und sich dabei mitten hineinbege­ben in das Pulverfass der Westbank des JordanFlus­ses. Seit der israelisch­e Premiermin­ister Benjamin Netanjahu immer offener für deren Besiedlung und militärisc­he Kontrolle eintritt, scheint eine Zwei-StaatenLös­ung unwahrsche­inlich. Gitai bezieht sich im Untertitel seines neuen Films, „Field Diary Revisited“, auf die 1982 entstanden­e Dokumentat­ion, in der er in den israelisch besetzten Gebieten der Westbank Soldaten, Politiker und Zivilisten beider Seiten zu Wortkommen­ließ. Gitai wurde damals so heftig als Landesverr­äter beschimpft, dass er Israel ein Jahrzehnt lang den Rücken kehrte und in Frankreich eine neue Existenz aufbaute. Mehr als drei Jahrzehnte später spricht Gitai – mittlerwei­le nach Israel zurückgeke­hrt – diese extrem heiklen Fragen noch einmal an. Wieder lässt er beide Seite zu Wort kommen und führt dazu auch Interviews mit israelisch­en Journalist­en, Politikern und Aktivisten. Der meditative Dokumentar­film soll während des JerusalemF­estivals (7.–17. Juli) erstmals in Israel gezeigt werden. Eine Vorführung bei der Viennale (Oktober) ist geplant. KURIER: Sie scheinen vom Thema einer friedliche­n Koexistenz von Israelis und Palästinen­sern, von Juden und Muslimen gerade beseelt um nicht zu sagen besessen zu sein. Glauben Sie noch an eine Zweistaate­nLösung? Amos Gitai: Wir haben gerade eine der schlechtes­ten Regierunge­n seit der Gründung Israels. Rechte Hardliner mit rassistisc­hen Untertönen. Als mir eine französisc­he TVAnstalt das Angebot machte, diesen Film zu finanziere­n, sagte ich: Wennihrwol­lt, dass ich die Palästinen­ser als Terroriste­n zeige und die Israelis als Provokateu­re, die gewaltsam Gebiete besiedeln, die ihnen nicht zustehen, dann könnt ihr mich vergessen. Denn solche Szenen sieht man ohnehin täglich im Fernsehen. Wenn ich diesen Film mache, dann will ich die anderen Israelis und Palästinen­ser zeigen. Jene Menschen, die immer noch bereit sind, die Hand nach der anderen Seite auszustrec­ken. Mein erlernter Beruf ist Architekt und so könne man auch sagen, dass ich lieber Brücken baue, als Mauern. Mauern reiße ich lieber ein. Sie sagen auch immer wieder, dass Sie eigentlich kein Filmemache­r sind, sondern eher ein besorgter Bürger, der Filme macht. Was ist gerade Ihre größte Sorge zum Zustand ihres Heimatland­es?

Bitte missverste­hen Sie mich nicht – ich liebe Israel! Und gerade deshalb versuche ich in meinem Film die „anderen“Israelis und die „anderen“Palästinen­ser zu Wort kommen zu lassen. All diejenigen, die noch an die Möglichkei­t eines friedliche­n Zusammenle­bens glauben. Aber unter der jetzigen israelisch­en Regierung wird es immer schwierige­r, die Wahrheit über unsere Situation zu sagen. Der Unterricht­sminister hat sogar die Finanzieru­ng für Schulen gestoppt, die das versuchen. Das Kulturmini­sterium macht Druck auf die Filmemache­r und das Justizmini­sterium versucht Richter zu manipulier­en. Die Zustände erinnern an Russland. Oder an Donald Trump – und der versteht sich ja gut mit Benjamin Netanjahu …

Ich bin kein Politiker und ich möchte auch nicht schuld daran sein, dass Donald Trump gefeuert und deshalb arbeitslos wird (lacht schallend). Aber er hat seinen Job bisher wirklich sehr schlecht gemacht. Mal sehen wie seine und damit ja leider auch unsere Zukunft aussieht. Eine determinis­tische Haltung hat da wenig Sinn. Viel schlechter kann die Weltlage kaum noch werden und in so einer Situation könnte sogar von einem negativen und vulgären Kerl wie Trump eine positive Wendung kommen. Wir dürfen also die Hoffnung nicht aufgeben. Trump war ja in Saudi-Arabien und hat dort gesagt, dass sich die moderaten Kräfte aller Länder zusammentu­n sollten, um gemeinsam gegen die Extremiste­n vorzugehen. Ist das für Sie eine positive Botschaft?

Ich will unser Gespräch bei einem so guten Kaffee nicht damit verderben, dass wir zu viel von Trump und Netanjahu reden. Zurück also zu Ihrem Film. Sie zeigen muslimisch­e und jüdische Frauen, die ihre Söhne in bewaffnete­n Auseinande­rsetzungen zwischen Israelis und Palästinen­sern verloren haben und die trotzdem versuchen, mit vereinten Kräften an einer Versöhnung zu arbeiten.

Diese Szenen gehören für mich zu den Höhepunkte­n des Films – und deshalb sollten ihn möglichst viele Menschen sehen. Wir haben gerade eine ziemlich beunruhige­nde Ansammlung von autokratis­chen Herrschen im Nahen Osten und auch im Rest der Welt – von der Türkei bis Russland, von Südamerika bis China. Auch in den USAund in Europa haben die extremen Rechten immer mehr das Sagen – denken Sie nur an Ungarn. Die Österreich­er sind ja bei der letzten Präsidents­chaftswahl gerade noch mit einem „blauen Auge“davongekom­men. Wir dürfen also nicht mehr länger in unseren Wohnzimmer­n sitzen und über die Regierunge­n schimpfen. Wir müssen selbst aktiv werden und Ideen entwickeln, wie wir unsere Zukunft besser und friedliche­r gestalten können. Kinos gehören zu jenen Orten, in denen wir solche Ideen zur Diskussion stellen können.

 ??  ?? Der Filmemache­r ist als Interviewe­r selbst zu sehen: Amos Gitai sucht den Dialog mit Hardlinern und Liberalen, mit Jungen wie Alten
Der Filmemache­r ist als Interviewe­r selbst zu sehen: Amos Gitai sucht den Dialog mit Hardlinern und Liberalen, mit Jungen wie Alten

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