Unvergänglicher Hass
Der israelische Filmemacher Amos Gitai über seinen Film „West of the Jordan River“
Höchst kontroversielle filmische Liebesbriefe an seine Heimat Israel sind seine Spezialität. Einmal mehr hat sich jetzt Amos Gitai in „West of the Jordan River“mit dem israelisch-palästinensischen Konflikt auseinandergesetzt und sich dabei mitten hineinbegeben in das Pulverfass der Westbank des JordanFlusses. Seit der israelische Premierminister Benjamin Netanjahu immer offener für deren Besiedlung und militärische Kontrolle eintritt, scheint eine Zwei-StaatenLösung unwahrscheinlich. Gitai bezieht sich im Untertitel seines neuen Films, „Field Diary Revisited“, auf die 1982 entstandene Dokumentation, in der er in den israelisch besetzten Gebieten der Westbank Soldaten, Politiker und Zivilisten beider Seiten zu Wortkommenließ. Gitai wurde damals so heftig als Landesverräter beschimpft, dass er Israel ein Jahrzehnt lang den Rücken kehrte und in Frankreich eine neue Existenz aufbaute. Mehr als drei Jahrzehnte später spricht Gitai – mittlerweile nach Israel zurückgekehrt – diese extrem heiklen Fragen noch einmal an. Wieder lässt er beide Seite zu Wort kommen und führt dazu auch Interviews mit israelischen Journalisten, Politikern und Aktivisten. Der meditative Dokumentarfilm soll während des JerusalemFestivals (7.–17. Juli) erstmals in Israel gezeigt werden. Eine Vorführung bei der Viennale (Oktober) ist geplant. KURIER: Sie scheinen vom Thema einer friedlichen Koexistenz von Israelis und Palästinensern, von Juden und Muslimen gerade beseelt um nicht zu sagen besessen zu sein. Glauben Sie noch an eine ZweistaatenLösung? Amos Gitai: Wir haben gerade eine der schlechtesten Regierungen seit der Gründung Israels. Rechte Hardliner mit rassistischen Untertönen. Als mir eine französische TVAnstalt das Angebot machte, diesen Film zu finanzieren, sagte ich: Wennihrwollt, dass ich die Palästinenser als Terroristen zeige und die Israelis als Provokateure, die gewaltsam Gebiete besiedeln, die ihnen nicht zustehen, dann könnt ihr mich vergessen. Denn solche Szenen sieht man ohnehin täglich im Fernsehen. Wenn ich diesen Film mache, dann will ich die anderen Israelis und Palästinenser zeigen. Jene Menschen, die immer noch bereit sind, die Hand nach der anderen Seite auszustrecken. Mein erlernter Beruf ist Architekt und so könne man auch sagen, dass ich lieber Brücken baue, als Mauern. Mauern reiße ich lieber ein. Sie sagen auch immer wieder, dass Sie eigentlich kein Filmemacher sind, sondern eher ein besorgter Bürger, der Filme macht. Was ist gerade Ihre größte Sorge zum Zustand ihres Heimatlandes?
Bitte missverstehen Sie mich nicht – ich liebe Israel! Und gerade deshalb versuche ich in meinem Film die „anderen“Israelis und die „anderen“Palästinenser zu Wort kommen zu lassen. All diejenigen, die noch an die Möglichkeit eines friedlichen Zusammenlebens glauben. Aber unter der jetzigen israelischen Regierung wird es immer schwieriger, die Wahrheit über unsere Situation zu sagen. Der Unterrichtsminister hat sogar die Finanzierung für Schulen gestoppt, die das versuchen. Das Kulturministerium macht Druck auf die Filmemacher und das Justizministerium versucht Richter zu manipulieren. Die Zustände erinnern an Russland. Oder an Donald Trump – und der versteht sich ja gut mit Benjamin Netanjahu …
Ich bin kein Politiker und ich möchte auch nicht schuld daran sein, dass Donald Trump gefeuert und deshalb arbeitslos wird (lacht schallend). Aber er hat seinen Job bisher wirklich sehr schlecht gemacht. Mal sehen wie seine und damit ja leider auch unsere Zukunft aussieht. Eine deterministische Haltung hat da wenig Sinn. Viel schlechter kann die Weltlage kaum noch werden und in so einer Situation könnte sogar von einem negativen und vulgären Kerl wie Trump eine positive Wendung kommen. Wir dürfen also die Hoffnung nicht aufgeben. Trump war ja in Saudi-Arabien und hat dort gesagt, dass sich die moderaten Kräfte aller Länder zusammentun sollten, um gemeinsam gegen die Extremisten vorzugehen. Ist das für Sie eine positive Botschaft?
Ich will unser Gespräch bei einem so guten Kaffee nicht damit verderben, dass wir zu viel von Trump und Netanjahu reden. Zurück also zu Ihrem Film. Sie zeigen muslimische und jüdische Frauen, die ihre Söhne in bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Israelis und Palästinensern verloren haben und die trotzdem versuchen, mit vereinten Kräften an einer Versöhnung zu arbeiten.
Diese Szenen gehören für mich zu den Höhepunkten des Films – und deshalb sollten ihn möglichst viele Menschen sehen. Wir haben gerade eine ziemlich beunruhigende Ansammlung von autokratischen Herrschen im Nahen Osten und auch im Rest der Welt – von der Türkei bis Russland, von Südamerika bis China. Auch in den USAund in Europa haben die extremen Rechten immer mehr das Sagen – denken Sie nur an Ungarn. Die Österreicher sind ja bei der letzten Präsidentschaftswahl gerade noch mit einem „blauen Auge“davongekommen. Wir dürfen also nicht mehr länger in unseren Wohnzimmern sitzen und über die Regierungen schimpfen. Wir müssen selbst aktiv werden und Ideen entwickeln, wie wir unsere Zukunft besser und friedlicher gestalten können. Kinos gehören zu jenen Orten, in denen wir solche Ideen zur Diskussion stellen können.